Daimlers E-Auto:"Das Ei wird jetzt gelegt"

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Schnauzbart, Jeans und Turnschuhe: Dieter Zetsche hat die Marke Daimler verjüngt, sympathisch gemacht – und damit wohl mehr verändert als jeder andere Manager vor ihm. (Foto: Soren Andersson/AP)

Daimler-Chef Dieter Zetsche stellt sein erstes rein elektrisches Modell vor. Damit will er vor allem den Pionier Tesla ärgern. Ob der sich davon beeindrucken lässt, ist eine ganz andere Frage.

Von Stefan Mayr, Stockholm

Dieter Zetsche hat mitten in die Natur geladen. An einem Ufer der Stockholmer Schärenlandschaft, Fichtenwald auf der einen Seite und Wasser auf der anderen, ruft der Daimler-Chef "eine neue Ära" aus. "Dieser Wagen ist der erste Repräsentant einer neuen Generation", sagt Zetsche. Dann ertönen Pianoklänge, Naturbilder flimmern über viele riesige Leinwände, und der erste rein elektrisch betriebene Mercedes rollt auf die spiegelnde Bühne des Kunstmuseums Artipelag.

Der mittelgroße Geländewagen namens EQC soll die Vormachtstellung des kalifornischen Konkurrenten Tesla im Premiumsegment der Strom-Pkws beenden und den schwäbischen Autobauer in die Zukunft führen. Ob das gelingt, wird sich Mitte 2019 zeigen, wenn der SUV im Bremer Daimler-Werk vom Band rollt. Aber eines wird bei der Präsentation am Dienstagabend klar: Schlaflose Nächte wird Tesla-Chef Elon Musk wegen des EQC nicht haben müssen.

"Er ist ein echter Mercedes", wirbt Zetsche zwar. Der EQC sei genauso sicher, leise, komfortabel, elegant und dynamisch wie alle anderen Fahrzeuge aus dem Hause Daimler. Allerdings lässt Zetsche seinen neuen Hoffnungsträger bei einzelnen Kennziffern vergleichsweise alt aussehen: Bei der Batteriekapazität etwa begnügt er sich mit 80 Kilowattstunden. Das ist weniger als Tesla (bis zu 100 kWh), Audi (95 kWh) und Jaguar (90 kWh). Wie das zum Daimler-Slogan "Das Beste oder nichts" passt? Dieter Zetsche siedelt seinen ersten reinen Stromer trotzdem an der Spitze an: "Das Gesamtpaket zählt", tönt er.

Der EQC beschleunigt von Null auf 100 km/h in 5,1 Sekunden. Die Höchstgeschwindigkeit ist allerdings auf 180 Kilometer pro Stunde begrenzt. Damit verspricht Daimler eine Reichweite von 450 Kilometern. Äußerlich ist das Auffälligste an dem 2,4-Tonner sein weißes Lichtband zwischen den Frontscheinwerfern. Über den Verkaufspreis schweigt sich Zetsche noch aus - spekuliert wird über einen Preis von etwa 70 000 Euro. Ansonsten kommt der EQC wie ein aufgehübschtes Modell der konventionellen GLC-Reihe daher. Mit solidem Design und all den anderen Premium-Bestandteilen, die man von Mercedes gewohnt ist. So weit, so gut. Aber ein großer Wurf?

Der sieht anders aus. Ob Zetsche damit den Sprung in die Zukunft schafft? "Die Zeit ist jetzt reif für einen elektrischen Mercedes-SUV", sagt der 65-Jährige. Daimler sei nicht zu spät, soll das heißen. Vielmehr habe man abgewartet, bis die Technologie ausgereift ist.

Wobei, die Infrastruktur müsse sich schon noch weiterentwickeln, erklärt Zetsche: "Es wird in Europa sicherlich noch Bereiche geben, in denen es sehr aufwendig und schwierig ist, elektrisch unterwegs zu sein." Aber eigentlich wolle er sich nicht mehr abmühen mit der viel zitierten Henne-Ei-Frage, ob es zuerst die E-Autos oder die Ladestationen braucht. Stattdessen ruft er aus: "Das Ei wird jetzt gelegt."

Das klingt entschlossen. Aber kritischere Stimmen sagen: Daimler und die anderen deutschen Hersteller haben bei der E-Mobilität viel zu lange gezögert. Vor allem beim zentralen Bestandteil der Stromautos haben die Deutschen den Anschluss verloren: der Batteriezelle. Sie macht künftig etwa ein Viertel der Wertschöpfung aus. Doch im Gegensatz zu den Benzin- und Diesel-Motoren, auf die die deutschen Ingenieure so stolz sind, kommt das Herz der Autos künftig aus Asien. Mit negativen Folgen: "Da wir das Thema Elektroauto so lange vor uns hergeschoben haben und jetzt über Nacht auf 100 hochfahren, wird es knapp mit den Kapazitäten für Zellen", sagt Ferdinand Dudenhöffer. Auch Jaguar-Chef Ralf Speth prophezeit für 2019 einen Engpass bei den Batterien.

New York, San Francisco, Peking: BMW zieht noch im September die ganz große Elektro-Show auf

Jaguar ist im März den deutschen Premium-Herstellern zuvorgekommen und hat mit seinem Modell i-Pace dem US-Hersteller Tesla Marktanteile abgeluchst. Daimler, BMW und Volkswagen starten also nicht aus der zweiten Reihe, sondern aus der dritten. Immerhin: Nachdem sie sich lange Zeit sehr zurückhielten, kann es ihnen jetzt nicht schnell genug gehen. Einen Tag vor der Mercedes-Show verkündete Audi noch schnell den Produktionsstart seines E-Tron. In zwei Wochen soll der SUV in San Francisco präsentiert werden und noch 2018 auf die Straße rollen. 2019 folgen der Mercedes EQC und der Porsche Taycan. 2020 kommen dann VW mit dem ID Neo und BMW mit dem Elektro-Mini.

BMW zieht ebenfalls noch im September eine große Show auf, um seine neueste E-Studie iNext zu zeigen: Auf einem Rundflug von München über New York, San Francisco und Peking nach Frankfurt wird das Auto in fünf Tagen auf drei Kontinenten vorgeführt. Drei bombastische Elektroauto-Auftritte innerhalb weniger Tage - die deutschen Hersteller scheinen tatsächlich den Schalter umgelegt zu haben.

Allerdings nicht aus Überzeugung, sondern aus purer Not; Sie brauchen ihre E-Autos, um in Europa von 2021 an die strengeren EU-Grenzwerte für den CO2-Flottenverbrauch von 95 Gramm pro Kilometer einhalten zu können. Wer die Marke reißt, muss Strafe zahlen. "Es wird sicher eine große Herausforderung, das Flottenziel zu erreichen", sagt Daimlers Entwicklungsvorstand Ola Källenius. Auch die Margen schrumpfen bei den Strom-Autos, deshalb haben Daimler und Porsche bereits sinkende Gewinne angekündigt. Aber noch ist nichts verloren, meint Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen: "Man kommt auf den letzten Drücker, der Zug fängt an zu rollen, aber man kann noch aufspringen." Die Marktforscher von LMC Automotive sagen sogar voraus, dass die deutschen Hersteller Tesla überrunden werden. Insgesamt investiert Daimler mehr als elf Milliarden Euro in seine Strom-Offensive. Bis 2022 sollen neun weitere Elektro-Modelle auf dem Markt sein - vom Kompaktwagen bis zur Luxuskarosse. Ob das Tesla-Boss Musk beeindruckt? Man weiß es nicht.

© SZ vom 06.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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