Corona-Pandemie:Zombie-Alarm

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Die Hilfen der Bundesregierung halten 5000 Firmen am Leben, die eigentlich schon pleite seien, warnt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW).

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Wer zuckt nicht zusammen, wenn von einem Zombie die Rede ist? Scheintote, wie gruselig. Dieser Reflex funktioniert auch, wenn es darum geht, die Wirtschaftshilfen der Bundesregierung zu bewerten. Um die 5000 Zombiefirmen seien bereits entstanden, weil die Pflicht zum Insolvenzantrag ausgesetzt worden sei, meldet das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer Studie. Man denkt sofort: Warum züchtet die Bundesregierung Zombies heran?

Danach aber stellen sich weitere Fragen. Sehen das die Kollegen des IW-Direktors Michael Hüther auch so? Und welche Firmen könnten überhaupt zu Zombies geworden sein, denen das Dasein künstlich verlängert wird mit den Milliarden des Staates?

Die Wirtschaftsweise der Bundesregierung, Veronika Grimm, kann mit dem Sprachbild der Zombies nicht so viel anfangen. Sie bestätigt zwar, dass es Anzeichen gibt, dass nach dem Auslaufen der Wirtschaftshilfen mit überdurchschnittlich vielen Insolvenzen gerechnet werden müsse. Allerdings gebe es auch zahlreiche Neugründungen. Gemessen an den Gewerbeanmeldungen seien im Handel in der zweiten Jahreshälfte 2020 mehr Unternehmen neu gegründet worden, als im Vorjahreszeitraum. Insgesamt, sagt die Wirtschaftsprofessorin, seien die Entwicklungen "noch schwer abzuschätzen". Wie viele Unternehmen ihr Geschäft aufgeben müssten, hänge "entscheidend von dem Verlauf der Pandemie ab und dem durch sie ausgelösten Strukturwandel". Noch sei unklar, wie sich Veränderungen im Arbeitsalltag auf einzelne Geschäftsmodelle auswirken werden. Grimm nannte als Beispiele weniger Dienstreisen, weniger Fernreisen, mehr Home-Office sowie die zunehmende Digitalisierung. Sie rechnet über die kommenden Jahre "auch mit einer umfassenden Anpassung von Geschäftsmodellen", darunter auch bei großen Unternehmen aus der Reisebranche.

Der frühere Wirtschaftsweise Peter Bofinger verweist auf die Ursprünge der Zombie-Debatten. Sie stamme aus den 1990er-Jahren. Damals sei der Vorwurf laut geworden, dass japanische Banken über niedrige Kreditzinsen Firmen mit untauglichen Geschäftsmodellen am Leben erhalten hätten. Später dann schwappte das Gruselige nach Europa. In der Schulden- und Eurokrise gab es Vorwürfe, dass die Europäische Zentralbank über die niedrigen Zinsen Unternehmen (und Staaten) überleben lasse, die eigentlich schon pleite seien. Der Begriff des Zombies, sagt Bofinger, rufe zuverlässig das Gruseln hervor. "Die Leute zahlen ja auch für die Geisterbahn."

2020 sind Unternehmensinsolvenzen deutlich zurückgegangen

Bofinger vergleicht den Lockdown mit einem künstlichen Koma, in das Teile der Wirtschaft versetzt wurden. Die Wirtschaftshilfen einschließlich des Aussetzens der Pflicht zum Insolvenzantrag sorgten dafür, dass die Patienten weiteratmeten. Der Staat sei in der Pflicht, diese Unternehmen bis zum Ende der Krise am Leben zu erhalten. Danach werde sich zeigen, wer weiter atmen könne ohne Hilfe. Bofinger verweist darauf, dass die meisten Unternehmen, die am Tropf hingen, völlig schuldlos in diese Lage versetzt worden seien.

Die Unternehmensinsolvenzen sind von Januar bis November 2020 um knapp 16 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zurückgegangen. Der Rückgang dürfte nach Ansicht der Wirtschaftsweisen Grimm auf die ausgesetzte Insolvenz-Antragspflicht und die staatliche Hilfe zurückgehen. Auch die vollständigen Gewerbeaufgaben seien um gut elf Prozent auffällig gesunken. Zugleich stiegen die durchschnittlichen Forderungen der Gläubiger stark an, was darauf hindeute, "dass im Jahr 2020 vermehrt kleinere Insolvenzen ausgeblieben sind". Dazu passe, dass ein stärkerer Rückgang der Insolvenzen von Einzelunternehmen (minus 29 Prozent) gegenüber Kapital- und Personengesellschaften (minus 8,6 Prozent) registriert wurde.

Dem IW zufolge sind 2020 etwa 16 300 Unternehmen pleitegegangen. Weitere 5000 gelten als Zombies, "weil es für sie trotz der Hilfen kaum eine Perspektive mehr gibt". Der Wohlfahrtsverlust in Deutschland durch Corona belaufe sich bislang auf 250 Milliarden Euro.

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