Chinas Auslandsinvestitionen:Die Milliarden bleiben hier

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Chinesische Konzerne haben in den vergangenen Monaten ungehemmt im Ausland investiert, zuletzt auch bei der Deutschen Bank. Damit könnte es bald vorbei sein.

Von Christoph Giesen und Meike Schreiber, Peking/Frankfurt

Der Beginn der Krise für Chinas Finanzjongleure lässt sich ziemlich genau datieren. Es war am Donnerstag gegen Nachmittag als in Shenzhen, Shanghai und Hongkong die Kurse von drei Unternehmen nachgaben. Erst war es ein Gerücht, dann sickerten Fakten durch. Inzwischen ist klar: Die chinesische Bankenaufsicht hat etliche Institute aufgefordert, die Finanzierungen ihrer Auslandsübernahmen neu zu bewerten. Im Fokus der Untersuchung stehen die Konglomerate HNA und Dalian Wanda sowie der Firmenjäger Fosun. Just jene Unternehmen also, bei denen die Kurse einbrachen. Ebenfalls überprüft werden sollen die Investitionen des Versicherers Anbang, der allerdings nicht an der Börse notiert ist. In den vergangenen Jahren waren es zumeist diese vier Unternehmen, die Milliarden in Europa und in den Vereinigten Staaten angelegt haben, die der Schwerkraft zu trotzen schienen: Immer neue Deals, neue Übernahmen, noch mehr Geld. All das steht nun auf dem Prüfstand. Ziemlich sicher ist, dass ein politischer Machtkampf in Peking tobt. Der Ausgang? Ungewiss. Der Anlass: Unklar.

Das erste Anzeichen war eine Verhaftung. Vergangene Woche wurde bekannt, dass Anbang-Chefaufseher Wu Xiaohui verschwunden ist. Inzwischen ist er von seinem Posten zurückgetreten. Fast 20 Milliarden Dollar investierte Anbang im Ausland. Der erste große Zukauf: das Waldorf Astoria Hotel in New York für knapp zwei Milliarden Dollar. Etliche Immobiliendeals folgten, dann Übernahmen in der Finanzbranche. Ende 2016 kaufte Anbang das Südkorea-Geschäft der Allianz für 1,6 Milliarden Euro. Ein niederländischer Versicherer kam hinzu. Auch in Deutschland hielt Anbang sich bereit. Die HSH Nordbank, die auf Anordnung der Europäischen Kommission verkauft werden muss, sollte es sein. Aufsichtsratschef Wu fühlte sich offenbar unangreifbar.

Die Firmenzentrale des chinesischen Unternehmens Anbang. (Foto: UPI/laif)

Eine ungeschriebene Regel in China lautet: Familienmitglieder von Revolutionären, jenen Kadern also, die die Volksrepublik 1949 mitgegründet haben, müssen sich vor Verhaftungen und der allgegenwärtigen Anti-Korruptionskampagne der Partei nicht fürchten. Wu ist mit einer Enkelin des Reformpatriarchen Deng Xiaoping verheiratet. Innerster Zirkel. Doch das scheint nicht mehr auszureichen.

Was die vier Unternehmen eint: Sie alle geben im Ausland Milliarden aus, und dass, obwohl die Regierung in Peking die Kapitalausfuhrkontrollen enorm verschärft hat. Sie alle haben charismatische Gründer, die über großen politischen Einfluss verfügen - man könnte sie glatt als politische Investoren beschreiben. Außerdem sind sie Geheimniskrämer. Wer versucht, die Unternehmen zu verstehen, stößt auf undurchschaubare Firmengeflechte. Verschleierung überall.

Was die Unternehmen eint: Sie sind Geheimniskrämer. Verschleierung überall

Hinter Anbang etwa stehen knapp 40 Unternehmen, fast alle Aktionäre sind Freunde und Verwandte von Aufsichtsratschef Wu. Sind es Strohmänner? Wenn ja für wen? Man weiß es schlicht nicht. Anbang legt die Strukturen nicht offen. Oder Dalian Wanda: Die Macht hat dort Wang Jianlin, der reichste Mann Chinas. 62 Jahre ist er alt, ein Ex-Soldat, der 16 Jahre gedient hat, bevor er eine Karriere als Unternehmer startete. Auf mehr als 30 Milliarden Dollar wird sein Vermögen geschätzt. Den Großteil davon hat er mit Immobilien gemacht. Seit 2012 kauft er sich in Hollywood ein. Ihm wird eine Nähe zu Staats- und Parteichef Xi Jinping nachgesagt. Sein Imperium - ein Rätsel.

Ende Mai tagte die Hauptversammlung der Deutschen Bank in der Frankfurter Festhalle. Aufsichtsratschef Paul Achleitner und Vorstandschef John Cryan versicherten wieder einmal, dass die Bank das Schlimmste hinter sich habe. Es gehe aufwärts, riefen sie den Aktionären zu - soweit so gewöhnlich. Dann trat das Phantom ans Rednerpult: Alexander Schütz dunkle Brille, gegelte Haare, ernster Blick. Er habe zwei Töchter, arbeite in London und Wien, trug er vor, seine Stimme war leise. Über seine Fondsgesellschaft C-Quadrat habe man eine "größere Anzahl Aktien an der Deutschen Bank übernommen". Und deshalb wolle er in den Aufsichtsrat gewählt werden. Was Schütz verschwieg, aber im Saal jeder wusste: Der Österreicher sprach für HNA, den neuen Großaktionär bei der Deutschen Bank.

Die HNA-Zentrale ist einem sitzenden Buddha nachempfunden. (Foto: Gao lin/Imaginechina)

Im Frühjahr hatte sich das chinesische Konglomerat via C-Quadrat mit 9,9 Prozent bei Deutschlands größtem Geldhaus eingekauft, für etwa 3,4 Milliarden Euro. Alleine hätte Schütz das nicht stemmen können, seine Gesellschaft ist nur Mittel zum Zweck. Eine Nebelkerze - wie sooft. Alexander Schütz statt Chen Feng.

Chen Feng ist der wirklich starke Mann bei HNA. Er hat das Unternehmen gegründet. Zunächst eine Fluggesellschaft auf der chinesischen Insel Hainan. Seitdem sind mehr als ein Dutzend Firmen hinzugekommen: Flugplätze, Immobilien. Landet man auf Hainan, kann man fast kein Geld ausgeben, ohne dass HNA irgendwie davon profitiert. Und natürlich ist auch HNA-Gründer Chen politisch bestens verdrahtet. Seit 2002 ist er Parteitagsdelegierter, alle fünf Jahre bestimmt er mit, wer an der Spitze Chinas steht. In diesem Herbst ist es wieder soweit. "Ich bin Mitglied der Kommunistischen Partei, also glaube ich an den Kommunismus", sagte Chen einmal.

Mehr als 40 Milliarden Dollar hat HNA im Ausland investiert. Der Regionalflughafen Hahn im Hunsrück gehört dazu, genauso wie eine Beteiligung an den Hilton-Hotels. 6,5 Milliarden Dollar für 25 Prozent. Vor einem Jahr übernahm der Konzern den US-IT-Großhändler Ingram Micro. Kostenpunkt: sechs Milliarden Dollar. Wie die genau die Besitzverhältnisse bei HNA aussehen, auch darüber wird gestritten.

Der lautstärkste Kritiker sitzt in einem Apartment mit Blick auf New Yorks Central Park: Guo Wengui, ein in die USA entflohener Milliardär. In Videos und Tweets behauptet er, dass HNA mit Wang Qishan verbandelt sei und nur deshalb ungestört auf Einkaufstour gehen könne. Wang ist Xi Jinpings rechte Hand und übersieht die Antikorruptionskampagne im Land. Ein idealer Pate, wie Guo meint. HNA hat ihn in New York wegen Verleumdung verklagt.

Fosun-Zentrale. (Foto: AFP/Getty Images)

Bei der Deutschen Bank ist dennoch eine neue Zeitrechnung angebrochen. In den vergangenen Jahrzehnten hatte sie nie einen so einflussreichen Großaktionär. Es ist wohl nicht allzu gewagt zu sagen, dass das berufliche Schicksal von Aufsichtsratschef Achleitner und Vorstandschef Cryan nunmehr von den Kataris (zwei Scheichs aus der Herrscherfamilie Al-Thani halten rund acht Prozent) und Chinesen abhängt, mithin also von Investoren aus Ländern ohne Demokratie.

Kurzfristig trauen die Chinesen der Bank offenbar nicht all zuviel zu: Wie aus Pflichtmitteilungen an die US-Börsenaufsicht hervorgeht, hat HNA größere Kursrisiken mit Hilfe der Schweizer Großbank UBS abgesichert. "Das ist kein wirklich großer Vertrauensbeweis des größten Anteilseigners der Bank", sagt der Deutsche-Bank-Analyst Stuart Graham. In jedem Fall ist es ein Hinweis, dass für die Chinesen weniger der Aktienkurs von Belang ist, sondern eher andere Dinge: Zugang zu Wissen, Einfluss - und Finanzierungen.

Geschickt hatte HNA die Schwäche des Geldhauses genutzt, nachdem der Aktienkurs im Herbst 2016 fast ins Bodenlose gefallen war. Ein Kurseinbruch lockt immer auch Abenteurer an: Wie viele andere Investoren hatten sich auch HNA die Bank angeschaut und kurz darauf die Kapitalerhöhung mitgetragen. Sie waren Retter in der Not. Und in Berlin war man froh.

Wie groß wäre der Aufschrei gewesen, hätten die Steuerzahler die Deutsche Bank retten müssen, noch dazu im Jahr vor der Bundestagswahl? Bafin-Chef Felix Hufeld, der dem Bundesfinanzministerium unterstellt ist, begrüßte den Einstieg chinesischer Geldgeber. Man halte das "für eine positive Geschichte". Es gebe keine "schwarze Liste" für Investoren, auch nicht für solche aus China, sagte er.

Dabei dürfte allen Beteiligten durchaus zupass kommen, dass die Finanzaufseher gar nicht gezwungen waren, genau hinzuschauen. Dass die Chinesen 9,9 Prozent gekauft haben, ist schließlich kein Zufall. Erst ab zehn Prozent hätte sich HNA einer genauen Prüfung unterziehen müssen.

Diese Hürde in Deutschland hat Guo Guangchang bereits genommen, er ist der vierte Milliardär im Bunde. Mit seiner Firma Fosun hat er die Privatbank Hauck & Aufhäuser gekauft. Auch Guo ist einflussreich in China. Er ist Chef der Vereinigung der Geschäftsleute aus Zhejiang, ein mächtiger Bund in Shanghai. Außerdem sitzt er in Beratergremien der Kommunistischen Partei. Im Dezember 2015 verschwand er plötzlich. Nach einiger Zeit musste Fosun, eingestehen, den Kontakt zum Aufsichtsratschef verloren zu haben. Rasch wurde über eine Verhaftung wegen Korruption spekuliert. Die Fosun-Aktien wurde vom Handel ausgesetzt. Nach wenigen Tagen kam Guo frei. Er habe die Polizei bei Ermittlungen unterstützt, sagt Guo seitdem. "Ist er ein politischer Entfesslungskünstler? So wie es aussieht, stehen er und die anderen Milliardäre vor großen Herausforderungen."

© SZ vom 24.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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