Carlos Ghosn:Luxus auf Firmenkosten

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Erstaunt nimmt man in Japan zur Kenntnis, mit welcher Dreistigkeit Ghosn die Finanzbehörden betrogen und Nissan bestohlen haben soll. (Foto: Toshifumi Kitamura/AFP)

Teure Wohnungen an der Copacabana und in Beirut, private Reisen, Abendessen mit der Familie: Nissan-Renault-Manager Carlos Ghosn soll sich all das auf Kosten seines Unternehmens gegönnt haben. In Japan reagieren viele geschockt.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Der verhaftete Nissan-Renault-Chef Carlos Ghosn hat seine erste Nacht wegen Steuerhinterziehung und Finanzdelikten im Tokioter Gefängnis verbracht. Inzwischen wurde bekannt, mit welcher Gier er sich aus Nissans Kassen bediente.

Der 64-Jährige kaufte offenbar eine private Luxuswohnung an der Copacabana in Rio de Janeiro. Auch in Paris, Amsterdam und Beirut erwarb er Luxusimmobilien, für die Nissan insgesamt mindestens 15,5 Millionen Euro zahlte. Ghosns Arbeitgeber übernahm auch die Renovierung und den Unterhalt der Wohnungen, obwohl Nissan in Beirut keinerlei größere Geschäftsinteressen hat. Ghosn rechnete jährlich auch mehrere hunderttausend Euro für Privatreisen und -essen über Spesen ab. 2010 ließ er Nissans Budget für die Vorstandsgehälter von 15 auf 23 Millionen Euro anheben, erhöhte die Löhne seiner Kollegen jedoch kaum, sondern steckte das Geld lieber selbst ein. Architekt des Betrugs mit den Wohnungen soll der Amerikaner Greg Kelly gewesen sein, bisher ebenfalls Top-Manager bei Nissan. Nach inoffiziellen Berichten aus Justizkreisen sollen beide jede Schuld abstreiten. Das Geld für Ghosns private Anwesen kam wohl von einem Anlagefonds, den Nissan schon 2010 mit einem Startkapital von sechs Milliarden Yen schuf, etwa 46 Millionen Euro. Offiziell wollte Nissan damit in Start-ups investieren. Es gibt aber keine Hinweise, dass das geschehen ist. Nissans Allianzpartner Renault ist am Fonds nicht beteiligt.

Die französische Regierung forderte als Renault-Miteigentümer inzwischen eine kommissarische Führung, die Thierry Bolloré übernehmen dürfte, die Nummer 2 im Konzern. "Carlos Ghosn ist nicht mehr in der Position, Renault zu führen", sagte Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire. Der Partner Mitsubishi stellte sogar das gesamte Bündnis mit Nissan und Renault infrage. Am späten Dienstagabend wurde bekannt, dass Renault seine Spitze vorläufig neu strukturiert: Die operativen Geschäfte übernimmt Bolloré, Ghosn bleibt jedoch als Vorsitzende vorerst im Unternehmen.

Ein Kronzeuge packte aus: Die Staatsanwälte hatten genug Hinweise, um zuzuschlagen

Die japanische Geschäftswelt reagierte schockiert auf Ghosns Verhaftung. Erstaunt nimmt man zur Kenntnis, mit welcher Dreistigkeit Ghosn nicht nur die Steuer- und Finanzbehörden betrogen, sondern auch Nissan bestohlen haben soll. Anders als in ähnlichen Fällen, in denen japanische Konzerne Zeit hatten, Beweise zu vertuschen, ist es der Justiz am Montag gelungen, alle zu überrumpeln. Sie griff an mehreren Orten gleichzeitig zu: am Nissan-Hauptsitz in Yokohama und am Flughafen Haneda, wo Staatsanwälte und Polizisten auf Ghosns Jet warteten. Als die Gulfstream parkte, gingen sie an Bord, wo sie Ghosn verhörten und dann abführten. Dieses rasche Handeln wurde möglich, weil Japan im Juni eine Kronzeugenregelung eingeführt hat. In diesem Falle hat ein leitender Manager der Rechtsabteilung von Nissan, ebenfalls ein Ausländer, ausgepackt.

Nissan hatte nach den Skandalen um falsche Abgas- und Benzinverbrauchswerte intern einen Mechanismus für Whistleblower geschaffen. Den nutzte ein Mitarbeiter, um die Buchprüfer auf Ghosns Verhalten aufmerksam zu machen. In Tokio wird gerätselt, warum die Auditoren es in den zurückliegenden Jahren nicht selbst entdeckten. Im Fernsehsender NHK erklärte ein Experte, Ghosn habe interne Kritiker rausgeschmissen. Im Vorstand habe niemand es gewagt, ihm zu widersprechen.

Nach einer internen Untersuchung der Whistleblower-Vorwürfe schaltete Nissan die staatlichen Behörden ein. Der Kronzeuge hat sich verpflichtet, unbeschränkt mit den Ermittlern zu kooperieren. Damit hatte die Staatsanwaltschaft am Montag bereits genügend Hinweise in der Hand, um zuzuschlagen. Dies ist erst der zweite Fall in Japan, in dem die Kronzeugenregelung zur Anwendung kommt.

Dabei wird Japans Wirtschaft derzeit alle paar Wochen von einem neuen Skandal erschüttert. Im Laufe der vergangenen zwei Jahre mussten diverse Firmen grobe Verfehlungen zugeben, die sie zuvor vertuscht hatten: zwei Hersteller von Erdbebenstoßdämpfern für Hochhäuser, Toshiba, der Airbag-Hersteller Takata, Nissan, Mitsubishi Motors und Subaru. Doch der Skandal um Ghosn wird in Japan anders gesehen. Der Manager, der die Allianz von Nissan, Renault und Mitsubishi wie ein Diktator geführt haben soll, hatte den 1999 vor dem Bankrott stehenden Nissan-Konzern innerhalb weniger Jahre saniert. Bisher galt er als der einzige Ausländer, der sich als Chef eines großen japanischen Konzerns durchsetzen konnte. Jetzt entpuppt er sich als skrupelloser Manager, der das Vertrauen der japanischen Arbeitnehmer und Aktionäre missbrauchte.

Japans Finanzgesetzgebung sieht für Ghosns Verstöße eine Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren und eine Buße von maximal 80 000 Euro vor. Die Strafen für Steuerhinterziehung sind damit noch nicht berücksichtigt.

© SZ vom 21.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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