Bundesanleihen:Nah an der Null

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SZ-Grafik; Quelle: Bloomberg (Foto: SZ-Grafik)

Zehnjährige deutsche Staatsanleihen versprachen dereinst ordentliche Zinsen und Sicherheit. Wegen der Geldpolitik der EZB müssen Anleger wohl bald draufzahlen.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Die Geschichte der ersten Bundesanleihe begann am 6. November 1952. An diesem Tag trafen sich Wilhelm Vocke, Präsident der Bank deutscher Länder - der Vorläuferinstitution der Bundesbank - und der damalige Bundesfinanzminister Fritz Schäffer mit Vertretern der wichtigsten Kreditinstitute des Landes. Die Bundesregierung unter Konrad Adenauer wollte ihre Haushaltsdefizite nicht länger kurzfristig von der "Hand in den Mund" finanzieren. Die Emission einer langfristigen Anleihe würde mehr Finanzierungssicherheit geben. So kam es auch: Die erste Bundesanleihe brachte dem Finanzminister 500 Millionen D-Mark ein. Die Geldgeber erhielten einen Zins von stolzen fünf Prozent.

Von solchen Renditen können die Anleger 63 Jahre später nur noch träumen. Weil die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins bei 0,05 Prozent fixiert hat und darüber hinaus bis 2016 insgesamt 1,1 Billionen Euro in den Ankauf von Staatsanleihen investieren möchte, erhalten Geldgeber heute fast keinen Ertrag mehr. Ganz im Gegenteil: Bald schon wird man wohl drauflegen müssen, wenn man dem deutschen Staat Kredit gibt. Verkehrte Welt.

Am Donnerstag erhielten Käufer von Bundesanleihen zehnjähriger Laufzeit nur noch 0,09 Prozent als Zins. Die Nachfrage der EZB drückt die Rendite. Damit nähert sich der Zins des wichtigsten Kreditprodukts in der Euro-Zone immer weiter der Null-Marke. Würde die Rendite ins Negative fallen, hieße dies, dass Anleger beim Kauf solcher Bundesanleihen unterm Strich bis zur Fälligkeit ein Minusgeschäft machen würden und der Staat fürs Schuldenmachen Geld bekommen würde. Der Mythos verblasst.

In den ersten Jahrzehnten der Bundesanleihe stand der Privatanleger besonders im Fokus. Darum verpflichtete der Bund die Banken auch im Konsortialvertrag, "während der gesamten Verkaufsfrist alle Kaufaufträge entgegenzunehmen und, insbesondere diejenigen der Kleinzeichner, bevorzugt zuzuteilen", schreibt die Finanzagentur des Bundes in einem historischen Überblick. Neben dem stabilitätspolitischen Ziel, der langfristigen Deckung des staatlichen Finanzbedarfs, habe damals das vermögenspolitische Motiv, den privaten Sparer an den höheren Zinsen des Kapitalmarkts teilhaben zu lassen, im Vordergrund gestanden. Selbst Werbung wurde in den Anfangsjahren für Bundesanleihen geschaltet, um der mehrheitlich kapitalmarktunerfahrenen Bevölkerung die rentable Geldanlagemöglichkeit etwas näherzubringen.

Doch rentabel war gestern. Anfang der 1990er-Jahre brachten die zehnjährigen deutschen Staatspapiere noch mehr als acht Prozent Rendite, vor der Finanzkrise 2008 waren es immerhin noch vier Prozent. Jetzt sind es weniger als 0,1 Prozent.

Die Zinsen für Staatsanleihen geben an den anderen Kreditmärkten den Takt vor. Geld und damit Kredit ist so billig wie nie zuvor in Deutschland. Das ist gefährlich: "Wenn der Zins keine Rolle mehr spielt, weil er bei null liegt, dann fließt Geld in Investitionen, die sich in einer normalen Welt nicht lohnen würden", sagt Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ-Bank. "Wenn dann die Zinsen wieder steigen, wird man feststellen, dass viele Investitionsprojekte nicht mehr rentabel sind, weil die Anschlussfinanzierung deutlich höhere Zinskonditionen beinhalten." Diese Fehlallokationen würden später entsprechend Kapital und Wachstum kosten, so Bielmeier. "Das falsch investierte Geld ist dann verloren und steht für sinnvollere Investitionen nicht mehr zur Verfügung."

An den Börsen macht das Bonmot die Runde, aus risikolosem Zins sei ein zinsloses Risiko geworden

Risiken gibt es aber auch an den Finanzmärkten: Internationale Pensionskassen, Versicherungen und Investmentfonds müssen aufgrund der Gesetzeslage einen erklecklichen Teil ihrer Anlagegelder in sichere Staatsanleihen stecken. Die Schuldscheine des Bundes gelten hier neben Staatsanleihen der Schweiz als erste Wahl. "Anleger können so gut wie keine Erträge mehr erwarten und haben jederzeit das Risiko größerer Kursverluste", sagt Edgar Walk, Chefökonom beim Bankhaus Metzler. Früher galten Staatsanleihen der Industriestaaten als risikolos. Nun macht an den Börsen schon das Bonmot die Runde, aus einem risikolosen Zins sei ein zinsloses Risiko geworden.

"Viele Investoren müssen extrem hohe Risiken eingehen, um ihre Renditeziele und Renditeversprechen zu erfüllen", kritisiert Bielmeier. Zudem steige an den Kapitalmärkten das Liquiditätsrisiko. "Wenn die Zeiten an den Märkten wieder unruhiger werden, ist es zunehmend fraglich, ob Investoren sich von den jetzt erworbenen Investments trennen können, da geeignete Abnehmer fehlen", so Bielmeier. Ob und wann diese Risiken einträten, hänge dabei zu einem überwiegenden Teil von den Entscheidungen der EZB ab. "Das ist ein Risiko, dass für Investoren nicht absicherbar ist", sagt der DZ-Bank-Experte.

Die Finanzmärkte gehen davon aus, dass die EZB ihre Niedrigzinspolitik in den nächsten Jahren beibehalten wird, um die Euro-Zone zu stabilisieren. Das Wachstum ist sehr niedrig, gleichzeitig sind vor allem klamme Staaten wie Italien oder Frankreich darauf angewiesen.

Doch die Abschaffung des Zinses ist ein Experiment ohne Beispiel. Auch die führenden deutschen Wirtschaftsforscher warnen vor Risiken des lockeren EZB-Kurses. "Es ist nicht auszuschließen, dass es bei anhaltend expansiver Geldpolitik zu Blasen auf den Aktienmärkten kommt", schreiben die Forscher in ihrem am Donnerstag veröffentlichten Frühjahrsgutachten. Ein Platzen hätte negative Konsequenzen für die Konjunktur.

© SZ vom 17.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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