Bürokratie:Kampf dem Papierkram

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Viele Unternehmen stöhnen über kleinkarierte Vorschriften und überflüssige Formulare. Der Bürokratieabbau wäre ein echtes Konjunkturprogramm zum Nulltarif.

Johannes Ludewig

Die internationale Wirtschaftskrise hat unserem Land schwierige Zeiten beschert. Dringend brauchen wir einen Aufschwung. Gleichzeitig wird der Handlungsspielraum staatlicher Finanzpolitik aufgrund der angespannten öffentlichen Haushalte immer enger. Angesichts dieser Situation ist es leicht, auf Banker zu schimpfen und gierige Manager an den Pranger zu stellen. Das mag in mancherlei Hinsicht seine Berechtigung haben. Doch inzwischen sind wir gut beraten, nach vorn zu schauen.

Chancen bestehen insbesondere bei der Entlastung der Wirtschaft von unnötiger, staatlich verordneter Bürokratie. Gemeinhin noch immer viel zu häufig als "typisch deutsche Marotte" belächelt, handelt es sich für viele - vor allem kleine und mittelständische Unternehmen - um bittere alltägliche Realität. Überflüssige Bürokratie verursacht einen erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden. Immerhin geben deutsche Unternehmen insgesamt jährlich etwa 50 Milliarden Euro allein für amtliche Statistiken, Antragsformulare, das Ablegen von Rechnungen aus. Dabei fehlt jeder unnötig ausgegebene Euro den Unternehmen für sinnvolle und notwendige Investitionen.

Wichtiger Kurswechsel ist eingeleitet

Die letzte Bundesregierung hat sich mit ihrem Programm für Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung darauf verständigt, allein die Kosten für Informationspflichten um 25 Prozent, das sind etwa zwölf Milliarden Euro, zu senken. Sie hat damit 2006 einen wichtigen Kurswechsel beim Abbau überflüssiger Bürokratie eingeleitet und die Wirtschaft inzwischen um mehr als sechs Milliarden Euro entlastet. Die Abschaffung der Bilanzierungs- und Buchhaltungspflicht nach dem Handelsgesetzbuch für etwa 500.000 Einzelkaufleute sowie die Umstellung des Handelsregisters auf vollelektronischen Betrieb sind nur zwei Beispiele von vielen. Bürokratieabbau ist also ein echtes Konjunkturprogramm, noch dazu zum Nulltarif.

Um nicht länger jährlich Millionenbeträge zu verschwenden, sah das Programm zum einen vor, bürokratische Hemmnisse bei bereits bestehenden Informationspflichten abzubauen. Zum anderen wurde in den vergangenen drei Jahren auch jedes neue Gesetz genau geprüft.

Die Ministerien mussten die Auswirkungen kostenmäßig beziffern, und erst wenn der Nationale Normenkontrollrat sein Prüfsiegel gab, konnte ein Gesetzentwurf dem Bundeskabinett vorgelegt werden. Dieses Verfahren, das anfangs noch als selbst zu aufwendig belächelt wurde, hat sich inzwischen als fester Bestandteil unserer Gesetzgebung etabliert. Heute klingeln die Alarmglocken, wenn bestimmten Betriebe und Branchen durch staatlich verordnete Informationspflichten zusätzliche Belastungen auferlegt werden sollen.

Immer ein Ärgernis

Insgesamt ist der Kampf gegen überflüssige Bürokratiekosten gut gestartet. Die Möglichkeiten sind jedoch bei weitem noch nicht ausgeschöpft, und es wird immer noch an der Spitze des Eisbergs gearbeitet. Damit Entlastungen spürbar werden und sich die Erwartungen der Betroffenen erfüllen, muss tiefer angesetzt werden. Das bisherige Programm beschränkt sich nur auf die Kosten infolge gesetzlich auferlegter Informationsverpflichtungen. Hier muss nachjustiert werden.

Die Beschränkung auf Informationspflichten ist aus Sicht der Betroffenen, der Unternehmer, schwer nachvollziehbar. Schließlich sind zusätzliche Ausgaben für staatlich verordnete Bürokratie für Betriebe immer ein Ärgernis, unabhängig davon ob die Kosten beispielsweise durch ein viel zu umfangreiches Antragsformular (Informationspflicht) ausgelöst werden oder durch die Pflicht, einen neuen Filter in eine Produktionsanlage einzubauen (sonstige Kosten).

Hier sollte die Bundesregierung in der neuen Legislaturperiode ansetzen und die Kostentransparenz erweitern. In den vergangenen Jahren wurde viel Energie darauf verwendet, die Kosten der Wirtschaft für Informationspflichten zu berechnen und diesen Teil der Bürokratiekosten flächendeckend transparent zu machen. Weitere Einsparungen sind möglich. Bei jedem neuen Gesetz sollte nicht länger nur für den kleinen Teil der Informationskosten die "Beweislast" umgekehrt werden. Vielmehr sollten die Bundesministerien für jeden zusätzlichen Euro, der den Unternehmen für staatliche Bürokratie abverlangt werden soll, Rechenschaft ablegen.

Mehr Kostenbewusstsein notwendig

Dass hier ein Nachbesserungsbedarf besteht, hat im übrigen auch der Bundestag so gesehen und auf Antrag des Wirtschaftsausschusses im Juni die Bundesregierung aufgefordert, das Programm zum Bürokratieabbau auszuweiten. Mehr Kostenbewusstsein ist allerdings nicht nur auf Bundesebene notwendig. Vielmehr sind alle staatlichen Verantwortungsebenen aufgefordert, einen Beitrag zu leisten. Für die Betroffenen ist es schließlich unerheblich, ob die Belastung von Bund, Land, Kommune oder durch die Behörde verursacht wird.

Die handelnden Behörden müssen deshalb mitwirken und ihrerseits die Vollzugspraxis auf Optimierungsmöglichkeiten hin untersuchen. Zu guter Letzt sind auch Unternehmen und Wirtschaftsverbände gefragt. Sie spüren unmittelbar, wo unnötige Bürokratie zu zusätzlichen Kosten führt. Sie können aus alltäglicher Erfahrung heraus praxisnahe Vorschläge machen, wobei "Bürokratieabbau" allerdings nicht mit "Deregulierung" verwechselt werden darf. Das Ziel bleibt, für die politischen Entscheidungsträger die Kosten transparent zu machen, die mit bestehenden oder geplanten gesetzlichen Regelungen einhergehen. Es ist wichtig, dass diejenigen, die Entscheidungen treffen und verantworten, genau wissen, was sie bewirken.

Auch vor diesem Hintergrund ist es ein gutes Zeichen, dass sich bei den derzeitigen Koalitionsverhandlungen die Arbeitsgruppe für Wirtschafts- und Energiepolitik ausdrücklich auch dem Thema Bürokratieabbau widmet und über die Qualität von Gesetzesentwürfen diskutiert. Es bleibt zu hoffen, dass als Ergebnis dieser Gespräche für die kommende Legislaturperiode die wichtigen Weichen für den Bürokratieabbau gestellt werden. So könnten insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen entlastet werden.

© SZ vom 10.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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