Braunkohle-Industrie:Jenseits der Bagger

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Braunkohle-Tagebau von RWE bei Düren. Nach dem Kohle-Ausstieg sollen die betroffenen Regionen bevorzugt werden. (Foto: Oliver Berg/picture alliance)

Die Kohlekommission des Bundes lässt erstmals durchblicken, wie der Tagebau-Ausstieg verkraftet werden soll: Die Braunkohle-Reviere könnten in vielen Bereichen bevorzugt behandeln werden.

Von Michael Bauchmüller

Wenn es um Jobs geht, können Gewerkschaften sehr erfinderisch sein. In der Lausitz verteilt die Bergbau-Gewerkschaft IG BCE neuerdings kleine Survival-Kits, mit Wasser, Teelicht und Feuerzeug. "Blackout ... so schnell kann's gehen", warnt der Beipackzettel. Wobei der Blackout in der Lausitz durchaus doppeldeutig zu verstehen ist. Viele hier fürchten mit dem Ende der Kohle auch das Ende der Region. "Tausende hoch qualifizierte Jobs gehen kaputt", warnt Oliver Heinrich, Chef des IG BCE-Landesbezirks Nordost. "Ganze Regionen und Familien werden zerstört." Aus der Braunkohle auszusteigen, ohne den Revieren, wie es gern heißt, "den Stecker zu ziehen" - es ist die komplizierte Aufgabe, der sich derzeit die "Kommission Wachstum, Strukturwandel, Beschäftigung" gegenübersieht. Jetzt zeichnet sich erstmals ab, wie das laufen könnte.

Denn die derzeitigen Braunkohlereviere sollen in Zukunft in vielen Bereichen bevorzugt behandelt werden. Das geht aus einem ersten Entwurf des Berichts hervor, den die Kohlekommission an die Bundesregierung abgeben soll. Er liegt der Süddeutschen Zeitung vor. So solle es beim Ausbau von Verkehrs- und Datennetzen einen "'Revierbonus' unter dem Motto 'Vorfahrt für Strukturentwicklungsgebiete'" geben. Dies würde es etwa dem Bund erleichtern, Verkehrsprojekte bei der Planung vorzuziehen. Unabdingbar sei auch "flächendeckend ein hochmodernes digitales Infrastrukturnetz". Forschungsstandorte in den Revieren müssten verstärkt werden, Behörden oder neue Einrichtungen von Bund und Ländern "prioritär" dort angesiedelt werden. Große Industrieansiedlungen, wie sie vor allem die Gewerkschaften fordern, tauchen allerdings nicht auf.

Nach monatelangen Diskussionen nimmt damit die Arbeit der "Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" erstmals Gestalt an. Die Zeit drängt: Sie soll bis Ende des Jahres ein Konzept vorlegen, wie sich der Ausstieg aus der Kohle beschleunigen lässt. Die Unterstützung des Strukturwandels ist dabei ein zentrales Element: Die Kommission soll auch den Eindruck verhindern, der Ausstieg aus der Kohle finde über die Köpfe der Betroffenen hinweg statt. Gerade in Ostdeutschland ist vielen noch der harte Bruch nach der Wende präsent.

Den Beschäftigten soll vor allem Weiterbildung helfen. Ziel müsse sein, "die gut bezahlten Industriearbeitsplätze mit ihrem spezifischen Wissen zu sichern und auszubauen". Neuansiedlungen oder Neugründungen von Unternehmen dürften nicht daran scheitern, dass es an Fachkräften mangelt. Gleichzeitig sollen Experimentierklauseln und "Reallabore" solche Ansiedlungen erleichtern, etwa durch kürzere Genehmigungsfristen. "Die betroffenen Regionen sollten zu Innovationsregionen werden, die neue Wege beschreiten", heißt es in dem Papier. 1,5 Milliarden Euro will der Bund dafür in dieser Legislaturperiode ausgeben. Was darüber hinaus wie lange nötig wird, darauf wolle sich die Kommission noch verständigen. Den betroffenen Ländern schwebt für einen "sanften Wandel" allerdings die 40-fache Summe vor.

Die Sonderregelungen sollen insgesamt 27 Städten und Kreisen rund um die vier Braunkohlereviere zugutekommen. Allerdings verweist der Bericht auch auf die sehr verschiedenen Bedingungen in den Tagebauregionen: Während sich aus dem Helmstedter Revier die Braunkohle schon weitgehend verabschiedet hat und das mitteldeutsche Revier bei Leipzig vergleichsweise klein ist, spielen Tagebaue und Kraftwerke in der Lausitz und im Rheinland noch eine große Rolle. Erst am Donnerstag hatte die Kohlekommission eine "Revierfahrt" in die Lausitz unternommen. Sie wurde dort von Hunderten Beschäftigten mit Trillerpfeifen empfangen.

Nachhaltige Energieerzeugung könnte zum großen Thema in der Region werden

Gleichzeitig sei die Industrialisierung in allen Revieren, mit Ausnahme desjenigen bei Helmstedt, schwächer ausgeprägt als im Rest der Republik, das Gleiche gelte für die Innovationskraft. Die Bagger schaufeln meist in ländlichen Gegenden. Schon deshalb könne eine bessere Verkehrsanbindung helfen: Durch die Verknüpfung mit regionalen Wachstumskernen könnten Impulse von dort "ausstrahlen", heißt es in dem 17-seitigen Entwurf. Und weil die Infrastruktur, etwa durch große Stromtrassen, ganz auf die Energie zugeschnitten sei, kämen die Regionen auch "für die künftige Entwicklung moderner, intelligenter und nachhaltiger Energieerzeugungsanlagen" in Betracht. Experten hatten zuletzt große Stromspeicher vorgeschlagen, die am Ende der großen Stromleitungen entstehen könnten. So konkret wird der Entwurf aber nicht. Auch der Bau von Batteriezellfabriken, der als Industriealternative im Gespräch ist, taucht nicht darin auf.

Dafür hat die Kommission, die sich am Freitag erneut traf, nun erstmals eine in Papier gefasste Diskussionsbasis für ihren Abschlussbericht. Noch diesen Monat soll sie ihre Empfehlungen für die Abfederung des Kohleausstiegs vorlegen, allerdings beriet sie am Freitag erst mal über ihre Arbeitsweise. Übernächste Woche dann besucht sie das Rheinland. Die Vorbereitungen im Gewerkschaftslager laufen schon - für einen unvergesslichen Empfang.

© SZ vom 13.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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