Börsengänge:Ansturm aufs Parkett

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Der erfolgreiche Börsengang des Lebensmittel-Lieferanten Hello Fresh zeigt: Das Klima für Unternehmen, die Aktien an Investoren bringen wollen, ist so gut wie lange nicht.

Von Harald Freiberger, München

Hello Fresh hat auch an der Börse geliefert: Das Berliner Unternehmen, das seinen Kunden Essensboxen mit abgepackten Zutaten zum Selberkochen nach Hause schickt, legte am Donnerstag einen erfolgreichen Start an der Frankfurter Börse hin: Die Aktien, zum Preis von 10,25 Euro ausgegeben, stiegen bis auf 10,89 Euro, am Nachmittag notierten sie bei 10,61 Euro mit drei Prozent im Plus. Das spült dem Unternehmen gut 300 Millionen Euro in die Kasse.

Das Klima ist gerade ideal für Börsengänge. In Deutschland wagten in diesem Jahr bereits zwölf Unternehmen den Schritt, mindestens drei weitere dürften noch bis Ende des Jahres dazukommen. Und die meisten von ihnen haben die Investoren glücklich gemacht, weil sie deutlich besser abschnitten als der ohnehin schon gut laufende deutsche Aktienmarkt. Die Aktie des Maschinenbauers Aumann steht zum Beispiel 66 Prozent über ihrem Ausgabepreis, beim Essens-Lieferdienst Delivery Hero beträgt das Plus 40 Prozent, bei Voltabox, einem Hersteller von Batteriesystemen, sind es 20 Prozent, bei Varta, einem Produzenten von Kleinstbatterien, gut 15 Prozent.

"2017 wird weltweit das beste Jahr für Börsengänge seit 2007."

"2017 wird weltweit das beste Jahr für Börsengänge seit 2007", sagt Martin Steinbach, der für die Unternehmensberatung EY (Ernst & Young) den Markt seit Langem beobachtet. Bis Ende September gingen weltweit 1156 Unternehmen an die Börse, sie brachten Aktien im Volumen von insgesamt 127 Milliarden Dollar (109 Milliarden Euro) an die Investoren. Bis Ende des Jahres dürften es 1600 bis 1700 Börsengänge werden, schätzt Steinbach.

In Deutschland wird die Reihe schon an diesem Freitag fortgesetzt. Dann wagt sich Metallrecycler Befesa aufs Parkett. Der Preis für die Aktien wurde mit je 28 Euro festgelegt, der Börsengang könnte eine knappe halbe Milliarde Euro bringen. Das Volumen aller Börsengänge in Deutschland könnte bis zu vier Milliarden Dollar ausmachen.

Auch das ist nahe an den Höchstständen der vergangenen Jahre. Im kommenden Jahr geht es an der Frankfurter Börse dann erst richtig los. Eine Reihe von Großunternehmen bringen voraussichtlich Aktien in Milliardenhöhe unter die Investoren. Laut der Schweizer Großbank UBS wird die Liste der Interessenten von Healthineers angeführt, der Medizinsparte von Siemens; sie allein kommt auf einen geschätzten Wert von mehr als fünf Milliarden Euro. Das wäre einer der größten Aktien-Emissionen überhaupt in der Geschichte der Deutschen Börse. Mehr brachten bisher nur die Börsengänge der Telekom (gut zehn Milliarden Euro) und der Deutschen Post (gut sechs Milliarden Euro) ein. Außerdem hat für 2018 das Münchner Familienunternehmen Knorr Bremse Interesse bekundet, an die Börse zu gehen, das Volumen wird auf vier Milliarden Euro geschätzt. Weitere Groß-Emissionen sind die Deutsche Asset Management, die Vermögensverwaltung der Deutschen Bank, mit zwei Milliarden Euro, und der Glücksspielkonzern Novomatik mit einer Milliarde Euro.

Gemessen an der Wirtschaftskraft Deutschlands ist die Zahl der Börsengänge aber immer noch gering. Deutsche Unternehmen schöpfen in der Regel erst die Finanzierung durch Bankkredite oder Anleihen-Emissionen aus, bevor sie Aktien aus- und Stimmrechte abgeben. "Es gibt derzeit noch keine so ausgeprägte Kultur wie in angelsächsischen Ländern", sagt Steinbach. In Deutschland sei es erst ein zartes Pflänzchen, das langsam wachse. Angemessen wären 40 Börsengänge pro Jahr. Diese Zahl wurde zuletzt 2007 erreicht. Den bisherigen Rekord markieren die Jahre 1999 und 2000, als sich beim Boom von Technologie-Aktien jeweils etwa 140 Unternehmen an die Börse wagten.

Eine Reihe wichtiger Faktoren führen zu dem derzeit vergleichsweise guten Klima für Börsengänge: Die seit Jahren anhaltenden niedrigen Zinsen machen Aktien attraktiv, da Investoren unter Druck stehen, lukrative Anlagemöglichkeiten zu finden. Außerdem ist das wirtschaftliche Umfeld für die Unternehmen gut, besonders in Deutschland. Hinzu kommt, dass die Börsen sehr hoch bewertet sind, der Dax eilt von Rekord zu Rekord. Außerdem schwanken die Kurse seit einiger Zeit nur noch sehr gering. "Beides - hohe Bewertungen, niedrige Schwankungen - ist ideal für Börsengänge, weil die Kandidaten zum einen möglichst viel erlösen wollen und zum anderen nicht so sehr fürchten müssen, dass es zu einem abrupten Kurseinbruch kommt", sagt Steinbach. Sind Aktien dagegen billig und schwanken stark, lasse ein möglicher Kandidat den Börsengang eher.

Es gibt aber einige Faktoren, die das gute Klima für Börsengänge gefährden: Die Unsicherheiten rund um die US-Industriepolitik sind weiterhin ein Risiko, die den weltweiten Handel beeinträchtigen können. Auch der Brexit kann unabsehbare Auswirkungen haben, ebenso die Spannungen wegen Nordkorea. Und schließlich nimmt die Zinswende immer deutlichere Konturen an: In den USA ist sie bereits vollzogen, auch die EZB hat anklingen lassen, dass das Pendel in die andere Richtung schwingt, wenn auch sehr langsam. "Diese Risiko-Faktoren müssen Unternehmen auf dem Radar haben, die an die Börse gehen wollen ", sagt Steinbach.

© SZ vom 03.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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