Börsen-Analysten:Im Zweifel optimistisch

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Ihr Urteil bewegt Märkte und Milliarden, aber oft liegen Analysten mit ihren Empfehlungen für Aktien völlig daneben. Wie funktioniert diese mächtige Branche?

Von Björn Finke

Kaufen, verkaufen, halten lauten die Empfehlungen. Und sie bewegen Märkte. Preisen Finanzanalysten eine Aktie an - oder warnen vor ihr -, wirkt sich das häufig direkt auf den Kurs aus. Die Fachleute arbeiten bei Banken, Fondsgesellschaften und unabhängigen Analysehäusern, täglich werden irgendwo irgendwelche Reports über Firmen veröffentlicht.

Doch die Ratschläge und Kursprognosen erweisen sich im Nachhinein oft als falsch, wie Untersuchungen belegen. Zudem blasen Analysten notorisch viel mehr Kauf- als Verkaufsempfehlungen heraus, sie sind unheilbare Optimisten.

Peter Lawrence betrachtet die Ergebnisse dieser Experten daher mit Skepsis: "Wenn ein Analyst für seine Firmen zehn Kauf- und nur eine Verkaufsempfehlung abgibt, kann irgendetwas nicht stimmen", sagt der Brite. "Manchmal kommen Analysten von Banken zu mir und versuchen, mich von solchen Studien zu überzeugen. Das ist frustrierend."

Die Kritik des 51-Jährigen ist bemerkenswert, weil er selbst Analyst ist. Allerdings einer von der besonderen Sorte: Lawrence arbeitet in London für die US-Fondsgesellschaft JP Morgan Asset Management. Er beschäftigt sich mit 32 Industrie-Unternehmen, darunter Siemens und Airbus. Doch er veröffentlicht keine Studien mit Kaufempfehlungen, sondern berät intern die Fondsmanager bei der Auswahl der Aktien. Senkt er den Daumen, fliegen Papiere schon einmal aus den Fondsportfolios - schmerzhaft für die Konzerne.

Lawrence ist ein sogenannter Buy-Side-Analyst. Er arbeitet für die Käufer der Aktien. Die allermeisten Aktienbeobachter sind dagegen Sell-Side-Analysten, also angestellt bei Banken, die Aktien an Investoren verkaufen wollen. Diese Sell-Side-Analysten sind es, die Kursziele und Empfehlungen in der Öffentlichkeit streuen - und so oft daneben liegen. Lawrence kennt beide Seiten. Er war zunächst 15 Jahre lang als Analyst auf der Verkäuferseite tätig, bevor er 2003 auf die Käuferseite wechselte und als Berater der Fondsmanager von JP Morgan Asset Management anfing.

Sell-Side-Analysten steckten in einer verzwickten Lage, sagt Lawrence, und das sei ein Grund dafür, dass sich so viele Urteile, die herumgeschickt werden, später als falsch erweisen. "Für einen Analysten bei einer Bank ist es sehr schwierig, zum Verkauf der Aktie eines Konzerns zu raten, wenn der Konzern zugleich Kunde einer anderen Abteilung der Bank ist", sagt er. Deswegen seien Kaufempfehlungen so viel häufiger. Zudem nutzten Banken Analystenstudien, um Handelsumsatz zu schaffen und Gebühren zu kassieren. Daher sei es unattraktiv, Investoren zu raten, einfach abzuwarten und nichts zu machen.

Trader verlassen sich bei ihren Entscheidungen auch auf Analysten. (Foto: Simon Dawson/Bloomberg)

Lawrence sieht aber Verbesserungen im Vergleich zu den Achtzigerjahren, als er seine Karriere begann. "Oft waren Analysten damals nicht auf eine Branche spezialisiert, sondern deckten ganz unterschiedliche Unternehmen ab", erinnert er sich. "Heute können sich Analysten auf eine Sparte konzentrieren, sie stecken tiefer drin." Im Studium beschäftigte sich der Brite nicht mit Wirtschaft, sondern mit mittelalterlichen und modernen Sprachen - an den Top-Universitäten Cambridge und Berkeley. "Wir haben in unserem Team viele Analysten, die nicht Wirtschaft belegt haben", sagt Lawrence.

Der Brite spricht regelmäßig mit den Vorständen der Konzerne, die er untersucht, mit deren Kunden und Zulieferern. In jedem Jahr fänden weit über 100 solcher Treffen statt. "Ich möchte mir ein umfassendes Bild machen. Ich muss entscheiden, was ich von der Strategie halte, ich muss einschätzen, wie stark sich der Markt ausdehnt und ob das Unternehmen schneller als die Rivalen wachsen kann", sagt er. "Alle Firmen verkünden, sie wollten schneller als der Markt wachsen, aber nicht alle schaffen das."

Vor Fusionen achtet er darauf, wie erfolgreich das Management in der Vergangenheit Zukäufe integriert hat. "Die Qualität des Managements ist entscheidend", sagt er. "Es reicht nicht, dass ein Unternehmen gut dasteht. Wichtig ist, dass ich dem Vorstand zutraue, es weiterzuentwickeln." Lawrence erstellt mehrjährige Prognosen für die Geschäftszahlen der Firmen. Ist er von Strategie und Führungsteam überzeugt, setzt er die Zahlen herauf, sonst herab. Aus den Datenkolonnen ergeben sich die Empfehlungen für die Fondsmanager.

Glaubt Lawrence an Strategie und Chancen eines Konzerns, ändern auch miese Quartalszahlen nichts an dem Urteil. "Sinkt wegen der Quartalszahlen der Aktienkurs, kann das sogar eine günstige Gelegenheit zum Kaufen sein", sagt er. Manchmal lägen seine Kollegen und er aber wirklich daneben mit ihren langfristigen Prognosen. "Dann müssen wir schauen, was der Grund dafür war", sagt er.

Bisher konnten Banken ihre Studien kostenlos an die Analysten verteilen

Peter Lawrence, 51, berät Aktienkäufer. (Foto: xy)

Schätzungen zufolge gibt es 26 000 Analysten weltweit. In Zukunft könnten es weniger sein - und das liegt an einer Regelung mit der sperrigen Abkürzung Mifid 2. Diese EU-Richtlinie für Finanzmarkt-Geschäfte sieht vor, dass von 2018 an Banken die Studien ihrer Sell-Side-Analysten nicht mehr kostenlos verteilen dürfen. Bisher finanzieren die Geldinstitute die Arbeit dieser Experten mit Provisionen aus dem Aktienhandel. Diese verdeckte Quersubventionierung will die EU beenden. Banken sollen die Aktienreports den Kunden dann gesondert in Rechnung stellen.

Nicht alle Investoren werden bereit sein, für alle Studien zu zahlen - daher erwarten Fachleute, dass die Banken Analystenabteilungen weiter verkleinern. Wer wie Lawrence auf Seiten der Käufer angestellt ist, den betrifft das nicht direkt. Indirekt aber schon: Bei Lawrence werden weniger Analystenreports der Banken eingehen. "Unser Fondshaus ist groß und hat genug eigene Experten", sagt er. Für kleinere Vermögensverwalter, welche die Studien der Bankenanalysten stark nutzen, sei diese Entwicklung jedoch ein Problem.

Eine weitere Folge wird sein, dass kleine Aktienwerte in Zukunft nur von sehr wenigen Analysten beobachtet werden. Schließlich lassen sich Reports über exotische Firmen schwer an Investoren verkaufen. Das bereitet Lawrence Sorgen: "Wenn statt 15 bloß noch fünf Bankanalysten über eine Aktie schreiben, bekommen die Einschätzungen dieser fünf Analysten ungesund viel Gewicht."

Die EU-Richtlinie krempelt das Analystenwesen also um. Doch zuverlässiger werden die Prognosen dadurch eher nicht.

© SZ vom 17.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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