Börse:Fremde Heimat

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Viele chinesische Unternehmen gehen nicht in ihrer Heimat an die Börse, sondern bevorzugen dafür die USA. Warum ist das so?

Von Victor Gojdka

Mit der Heimatliebe vieler chinesischer Unternehmen scheint es nicht weit her zu sein. Statt in China selbst an die Börse zu gehen, steuern sie wie das Suchmaschinenunternehmen Sogou lieber Standorte außerhalb des Riesenreiches an. Das Delikate: Besonders gerne wagen sie den Sprung aufs Parkett in den Vereinigten Staaten.

Allein im vergangenen Jahr sind 33 chinesische Firmen neu an amerikanische Börsen gekommen, damit stehen sie inzwischen für knapp 20 Prozent des gesamten Marktgewichts aller Börsenneulinge in den USA, wie Zahlen der Investmentbank Renaissance Capital zeigen. "Für viele chinesische Unternehmen ist es schlicht unattraktiv, in der eigenen Heimat an die Börse zu gehen", sagt Forscher Maximilian Kärnfelt vom Chinazentrum Merics. Dafür gibt es vor allem drei Gründe. Grund eins: In den USA können die Unternehmen das internationale Kapital besser anzapfen. "Ein Unternehmen wie der Techkonzern Alibaba hätte in Asien nie 25 Milliarden Dollar einsammeln können", sagt Volker Brühl vom Center for Financial Studies. Selbst die Börse in Hongkong ist für viele Mega-Börsengänge großer Techfirmen wohl zu klein.

Grund Nummer zwei: In den USA lassen sich Börsengänge schneller abwickeln. Während es in den Vereinigten Staaten oft nur 43 Tage dauert, bis die Börsenaufsicht das Vorhaben durchwinkt, müssen sich Unternehmen in China bisweilen anderthalb Jahre gedulden, wie Daten des Dienstleisters Dealogic zeigen. "Es dauert also oft unglaublich lang, bis ein Unternehmen an der Börse in China notiert werden kann", sagt Chinaexperte Horst Löchel von der Frankfurt School of Finance and Management, "und der Prozess ist auch nicht immer transparent."

Grund Nummer drei: In den Vereinigten Staaten ist der Börsenhandel deutlich solider. Sprich: Er orientiert sich stärker an Zustand und Zahlen des Unternehmens. In China hingegen dominieren nicht Investmentprofis den Markt, die täglich Bilanzen durchwühlen, sondern unerfahrene Privatanleger. Sie reagieren weniger auf einzelne Unternehmensmeldungen, sondern lassen sich oft von der allgemeinen Marktstimmung treiben. "Das führt dazu, dass Aktienpreise dort oft viel weniger als in Übersee die Lage des einzelnen Unternehmens abbilden", sagt Chinaforscher Kärnfelt. Und genau das fürchten die Unternehmensbosse.

Die chinesische Börsenaufsicht will nun gegensteuern und Börsengänge vor Ort attraktiver machen. Dafür sollen regulatorische Hürden fallen. Für China dürfte das jedoch ein langer Marsch werden.

© SZ vom 30.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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