Billige Importe:Gerüstet für das Dumping-Duell

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Stahl hat China in Massen produziert und will ihn billig ins Ausland exportieren. Diese Stahl-Skulptur eines chinesischen Künstlers bleibt erst mal im Land, sie verkörpert eine historische Figur aus der Geschichte Chinas. (Foto: Reuters)

Aus Angst vor chinesischen Billigprodukten will die EU-Kommission Europas Industrie besser schützen. Die Volksrepublik wird sich das nicht gefallen lassen.

Von Christoph Giesen und Alexander Mühlauer, Peking/Brüssel

In Peking hat die Führung mit Widerstand aus Brüssel gerechnet, nun hat sie Gewissheit: Die EU-Kommission will Europas Industrie auch künftig mit aller Macht vor einer Flut chinesischer Billigprodukte schützen. Am Mittwoch stellte die Brüsseler Behörde ihre Pläne für eine Reform der europäischen Anti-Dumping-Politik vor. Demnach soll es für die Verhängung von Strafzöllen nicht mehr entscheidend sein, ob ein Staat von der Welthandelsorganisation (WTO) als Marktwirtschaft eingestuft wird, sondern ob ein Land Preise durch staatliche Eingriffe verzerrt. Harte Anti-Dumping-Schritte sollen immer dann möglich sein, wenn ein Staat die direkte Kontrolle über ein Unternehmen hat, die Preise oder Herstellungskosten beeinflusst oder heimische Firmen bevorzugt behandelt.

Der Vorschlag der EU-Kommission ist die Reaktion eine Zäsur, die im Dezember bevorsteht. Gemäß dem Beitrittsprotokoll muss China dann von allen WTO-Mitgliedern als Marktwirtschaft eingestuft werden. Peking ersehnt diesen Status schon lange. Vor allem, weil er wirtschaftliche Vorteile mit sich bringt. Chinas Staatskonzerne haben in den vergangenen Jahren gewaltige Überkapazitäten angehäuft. Stahl, Aluminium und Beton gibt es in China im Überfluss und zu Schleuderpreisen. Ein Abverkauf nach Europa käme da gerade recht. Bekäme China den Statuts zugesprochen, müsste die EU künftig die Preise von Importprodukten mit den Preisen und Kosten im Herkunftsland vergleichen. Nur wenn die Importpreise darunterliegen, handelt es sich im Falle einer Marktwirtschaft um Dumping. Chinesischer Stahl müsste also mit chinesischem Stahl verglichen werden. Solange China diesen Status jedoch noch nicht hat, kann die EU relativ willkürlich Vergleichsdaten aus anderen Staaten heranziehen und so sehr viel einfacher Strafzölle verhängen.

Kein Wunder also, dass die EU bislang alles versuchte, China den Marktwirtschaftsstatus trotz Zusage zu verweigern. Selbst der Juristische Dienst der EU-Kommission ist der Meinung, dass dies gegen die Regeln der WTO verstößt. China hat für diesen Fall bereits eine Klage angekündigt. Wie es aussieht, wird die Volksrepublik wohl vor ein Schiedsgericht der WTO ziehen, um gegen die neuen Anti-Dumping-Regeln der EU vorzugehen; denn diese versuchen ja nichts anderes, als den Marktwirtschaftsstatus Chinas als irrelevant zu deklarieren. Die EU-Handelsminister werden an diesem Freitag darüber beraten. Die EU-Staaten und das Europäische Parlament müssen dem Kommissionsvorschlag noch zustimmen. Auch hier wird China versuchen, seinen Einfluss geltend zu machen.

Pekings Plan: Systematisches Lobbying soll die benötigte qualifizierte Mehrheit im Europäischen Rat verhindern. In Mitgliedsstaaten haben chinesische Diplomaten und Politiker in den vergangenen Monaten vorgesprochen und darauf gedrungen, dass die Volksrepublik inzwischen eine Marktwirtschaft sei. Den größten Erfolg erzielten Pekings Höflinge vor einem Jahr beim Staatsbesuch von Parteichef Xi Jinping in Großbritannien. London versicherte damals schriftlich seine Unterstützung. Doch dann kam das Brexit-Votum, seitdem ist die britische Amtshilfe faktisch wertlos.

In den vergangenen Wochen hat man in Peking deshalb auf Pragmatismus umgeschaltet. Von Marktwirtschaftsstatuts spricht niemand mehr. Man lege lediglich Wert darauf, dass Verträge eingehalten werden, teilten chinesischen Diplomaten ihren Gesprächspartnern zuletzt mit und bestanden auf Erfüllung von "Artikel 15". Gemeint ist das Protokoll zu Chinas WTO-Beitritt vor beinahe 15 Jahren. Darin heißt es, dass die bisherigen Anti-Dumping-Schutzmaßnahmen nach spätestens 15 Jahren abgebaut sein müssen. Das wäre Mitte Dezember so weit.

Stahlarbeiter gehen in Brüssel für die Zukunft ihrer Arbeitsplätze auf die Straße

In China interpretiert man diesen Passus so, dass auch keine neuen Hürden errichtet werden dürfen. Diesen Standpunkt bekam vergangene Woche auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) während seiner China-Reise zu hören. Sowohl Ministerpräsidenten Li Keqiang als auch der zuständige Handelsminister sprachen das Thema an. Doch Gabriels Position ist klar. "Wenn die Stahlindustrie wegbricht, geht nicht nur Werkstoffkompetenz verloren, sondern es wären ganze Wertschöpfungsketten in Gefahr", sagte er. Man müsse in der EU aktiv werden, um die Wettbewerbsfähigkeit und die damit verbundenen Tausenden Arbeitsplätze der Stahlindustrie in Europa zu sichern.

Der Druck ist jedenfalls groß. Europäische Produzenten können mit den niedrigen Preisen der Konkurrenten aus der Volksrepublik nicht mithalten. Am Mittwoch gingen Stahlarbeiter aus ganz Europa in Brüssel für die Zukunft ihrer Arbeitsplätze auf die Straße. Anlässlich des Europäischen Stahl-Aktionstages demonstrierten nach Polizeiangaben etwa 15 000 Beschäftigte gegen Billig-Importe und forderten mehr Unterstützung durch die EU. "Wir sind hier, um der Europäischen Union zu zeigen, dass sie eine Aufgabe hat. Sie muss die europäische Stahlindustrie schützen", sagte der Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann.

In diese Kerbe schlägt auch die deutsche Industrie. Es sei höchste Zeit, dass die EU-Kommission einen Reformvorschlag vorlege, sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Markus Kerber. "Die deutsche Industrie fordert, dass jede Änderung unseren Unternehmen weiterhin ausreichend effektive Anti-Dumping-Instrumente bietet."

© SZ vom 10.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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