Bilanz der Kanzlerin:Was Angela Merkel von Bayern lernen kann

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Bilanz zweier Politiker: Angela Merkel ist angesehen, wirtschaftspolitisch aber eher leistungsschwach - Edmund Stoiber dagegen brachte viel, wird aber bei seinem Abgang kritisch bewertet.

Marc Beise

Zwei deutsche Politiker haben in dieser Woche Rechenschaft über ihr Handeln abgelegt, das unterschiedlicher nicht sein könnte. In Berlin verabschiedete sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in die Sommerpause, was knapp zwei Jahre nach dem Start der Großen Koalition auch als Halbzeitbilanz gewertet werden konnte. In Bayern gab Landesregent Edmund Stoiber (CSU) nach 14 Jahren seine letzte Regierungserklärung ab.

Seltsam genug: Die eine glänzt in Unverbindlichkeit und erntet Traumnoten, der andere hat eine pralle Bilanz vorzuweisen und wird doch heftig beschimpft - wie kann das sein?

Ein Grund für die unterschiedliche Wahrnehmung liegt in der jeweiligen persönlichen Ausstrahlung. Nahezu sein ganzes politisches Leben kam der bayerische Karriere-Jurist Stoiber knochentrocken daher, zahlenbesessen und beckmesserisch. Erst im Ausklang seiner langen Regierungszeit, und auch dann nur gelegentlich und in besonders entspannter Atmosphäre, wurde der Administrator Stoiber auch zum Menschen.

Dagegen hat sich die ostdeutsche Physikerin als unprätentiöse Moderatorin im politischen Diskurs profiliert und sticht aus dem Kreis ihrer eifernden männlichen Konkurrenten mit augenzwinkernder Souveränität heraus. Merkel versteht das politische Geschäft so gut wie Stoiber, kommt aber einfach authentischer rüber.

Weil Wirtschaftspolitik nach dem viel zitierten Wort von Ludwig Erhard zu mindestens 50 Prozent Psychologie ist, sind Präsentation und Aura durchaus ein Pluspunkt in der wirtschaftspolitischen Bilanz der Kanzlerin.

Vergnüglicher Aufschwung

Weniger positiv zu Buche schlägt Merkel für den, der auf Inhalte achtet. Vom Glück begünstigt, die Kanzlerschaft zeitgleich mit dem Beginn eines kräftigen Aufschwungs antreten zu können, hat sie zielsicher nahezu jede Gelegenheit ausgelassen, den Bürgern weh zu tun; kein Wunder, dass ihre Umfragewerte jedes Maß sprengen. Merke: Wer nur bis zur nächsten Koalitionsrunde denkt, kommt in wirtschaftlich starken Zeiten angenehm entspannt über die Runden.

Die meisten unangenehmen Dinge - Sozialkürzungen, Beitragserhöhungen, Hartz IV - hatte noch Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) durchdrücken müssen. Oder eben Edmund Stoiber. Der hat daheim in Bayern, weitsichtiger als viele andere Ministerpräsidenten, seit Jahren und gegen allen Protest auf einen ausgeglichenen Haushalt hinregiert und damit dem Freistaat Gestaltungsspielraum geschaffen.

Dagegen Merkel: Auf ihrer wirtschaftspolitischen Habenseite stehen mit uneingeschränkt positiven Vorzeichen wenig mehr als die angesichts der Alterung der Gesellschaft sinnvolle Verschiebung des Renteneintrittsalters auf 67 sowie einige Maßnahmen zur Vereinbarung von Familie und Beruf. Schon die Mehrwertsteuererhöhung ist extrem ärgerlich, weil sie in Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen nicht gebraucht wird. Die Unternehmensteuerreform bringt den Firmen zwar international wettbewerbsfähige Steuersätze, ist aber zum steuersystematischen Monster geraten; das unübersichtliche, ungerechte und ineffiziente Steuerrecht insgesamt bleibt eine schwärende Wunde.

Die Gesundheitsreform, bei der die Kanzlerin als Ober-Sachbearbeiterin selbst Hand angelegt hatte, entpuppte sich rasch als Torso; im Herbst 2008 muss die Regierung erstmals einen einheitlichen Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung festlegen, für Millionen Bürger wird es dann ein teures Erwachen geben.

Blick nach vorne

Neue Projekte der Kanzlerin versprechen wenig Gutes: Dieselbe Angela Merkel, die vor der Bundestagswahl für große Reformen eintrat und noch in ihrer Regierungserklärung "mehr Freiheit wagen" wollte, entpuppt sich heute als begnadete Interventionistin: Staatliche Vorgaben bei der Mitarbeiterbeteiligung, ein Mindestlohn für alle Branchen, die sich nicht entziehen, Maßnahmen gegen staatlich beeinflusste Fonds aus dem Ausland - all das sind Maßnahmen, die die Rolle des Staates stärken und die Selbstgestaltungskräfte der Wirtschaft schwächen. Und Stoiber?

Auch der CSU-Politiker hat den Staat als Wirtschaftssteuerer benutzt; Landespolitiker, die immer auch Standortförderer sein müssen, können nicht anders. Stoiber hat aber auch in die Zukunft investiert, hat um die Universitäten herum Firmenansiedlungen organisiert, sogenannte Cluster, zu den Zukunftsbranchen Luft- und Raumfahrt, Biotech oder Ernährung.

Als er von der eigenen Partei gestürzt wurde, war er bereits dabei, bis 2020 weiterzuplanen. Kinderbetreuung, Bildung, Forschung, Klimaschutz und Infrastruktur - eine sehr ernsthafte Kommission unter dem Unternehmensberater Herbert Henzler hat sich in Stoibers Auftrag über Monate Gedanken gemacht über jene Maßnahmen, die auf Landesebene organisiert werden können. Merkels Beratergremien dagegen erschöpfen sich häufig im Unverbindlichen.

Stoibers Agenda 2020 bekommt eine schlechte Presse, die sie nicht verdient hat. Der Mann solle doch endlich mit dem Regieren aufhören, heißt es, nun presse er seinen Nachfolger auch noch in ein Korsett, was ungehörig sei. Politisch-stilistisch mag das stimmen, in der Sache kann Bayern froh sein, dass Stoiber das Korsett schon hat schnüren lassen.

Ähnlich müsste sich in Berlin Angela Merkel Gedanken über die Veränderung der großen Rahmenbedingungen machen, über das Steuersystem und die Sozialversicherungen, über Gentechnik und Energie, über Bildung und Forschung. Große Reformen müssen, wenn nicht jetzt, wann dann, konzipiert werden. Zieht der Aufschwung von dannen, ist es zu spät.

© SZ vom 21.7. 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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