Ein Manager verschwindet - und mit ihm 100 Millionen Dollar. Bei einem Betrugsfall dieser Größenordnung klingen die üblichen Reaktionen von Unternehmen schnell etwas komisch. Der Manager, der den Schweizer Automatikkonzern ABB in Südkorea um eine riesige Summe Geld erleichtert haben soll, habe "nicht im Einklang mit den Business Standards" des Unternehmens gehandelt, heißt es jetzt bei ABB. Compliance sei den Schweizern äußerst wichtig, man unterhalte "die höchsten Standards in Sachen Integrität".
Die Meldungen, die an diesem Mittwochmorgen aus Zürich kommen, zeigen vor allem, wie überrascht der Konzern war, als vor gut zwei Wochen ein Manager einer südkoreanischen Tochterfirma verschwand - und mit ihm 100 Millionen Dollar. Der Finanzmanager soll in Zusammenarbeit mit Dritten, vor allem Banken, große Summen veruntreut und unterschlagen sowie Unterlagen gefälscht haben. Beim Siemens-Konkurrenten ABB ist dadurch ein großer Schaden entstanden. So groß, dass wohl auch die Jahresbilanz 2016 betroffen sein wird. Vor rund zwei Wochen hatte ABB einen Jahresgewinn von 1,9 Milliarden Dollar publiziert. Dieser muss nun revidiert werden.
ABB-Chef befürchtet Image-Schaden
Im Moment versucht das Unternehmen, den Schaden einzugrenzen, ist im Kontakt mit Versicherungen und Anwälten. Man habe zudem sofort alle Bankkonten weltweit überprüft und festgestellt, dass "diese spezielle Situation" ausschließlich Südkorea betreffe, heißt es. Was das Motiv des Mannes angeht, geht ABB von persönlicher Bereicherung aus. Weitere Angaben über den Mann, der am 7. Februar verschwand und derzeit von der südkoreanischen Polizei und Interpol gesucht wird, will das Schweizer Unternehmen nicht machen.
Obwohl es sich bei den veruntreuten Geldern um eine erhebliche Summe handelt, sollte ABB den Verlust verkraften können: Der Schweizer Technologiekonzern hat 132 000 Mitarbeiter und verfügt über liquide Mittel in Höhe von fast sechs Milliarden Dollar. Die Aktie von ABB reagierte am Mittwoch auch kaum auf die Nachricht aus Südkorea.
Ohnehin dürfte der potentielle Schaden für das Unternehmen woanders liegen. In einem Brief an die Mitarbeiter, aus dem das Wall Street Journal zitiert, schreibt ABB-Chef Ulrich Spiesshofer: "Die finanziellen Folgen dieses kriminellen Verhaltens sind eine Seite. Noch viel schädlicher könnte die Wirkung sein, den dieses Verbrechen auf das Image von ABB hat."