Bestrafte Zukunftshoffnung:Die Familie

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Zu Weihnachten steht bei den Deutschen die Familie hoch im Kurs. Doch ansonsten werden Familien sträflich benachteiligt.

Marc Beise

Der Stall in Bethlehem. Maria und Josef, und das Kind. Weihnachten ist das Fest der Familie, die wieder auf vielen Kanzeln und in unzähligen Weihnachtsbriefen beschworen wird.

Zu Weihnachten stehen Familien wieder hoch im Kurs - gesellschaftspolitisch werden sie sonst eher vernachlässigt. (Foto: Foto: ddp)

Noch einmal lebt die Institution Familie auf; für Dreiviertel aller Deutschen, sagen Umfragen, ist sie an Weihnachten das Allerheiligste. Welch eine Heuchelei.

Bei Licht und nicht nur bei Kerzenschein betrachtet zählt Familie nur an Festtagen, oder anlässlich einer zufälligen Begegnung beim Waldspaziergang: Seht nur, wie nett und wie drollig die lieben Kleinen dahin stolpern!

Kinder als finanzielle Belastung

Aus den Innenstädten dagegen sind die Familien längst verdrängt, und wer mit Kindern noch die kulturelle Infrastruktur nutzen will, muss dafür finanziell bluten. Gebührenerhöhungen, Spritpreise, höhere Mehrwertsteuer - überall trifft es die Familien überproportional. Kein Wunder, dass die Kinder einfach wegbleiben.

Die Rede ist von einer doppelten Kinderarmut: Einerseits hat sich von 1956 bis heute die Geburtenzahl Gesamtdeutschlands von 1,3 Millionen jährlich auf 700.000 fast halbiert; nach weiteren 20 Jahren werden es unter 500.000 sein.

Das sogenannte Medianalter - also das Alter, bei dem es gleich viele Jüngere und Ältere gibt - liegt in Deutschland heute bei 41und damit über demjenigen Frankreichs (38) und der USA (36).

Schlimmer noch: 2020 wird es in Deutschland schon auf 46,7 gestiegen sein, während die USA mit 37 ihr Niveau werden halten können. Die Folgen für die Umlagesysteme, wo die aktuell Erwerbstätigen die früher Erwerbstätigen finanzieren, sind offensichtlich.

Kinder sind das Armutsrisiko Nr. eins

Weniger offensichtlich, aber noch schlimmer ist die Lähmung der wirtschaftlichen Dynamik. Eine alte Gesellschaft hat keinen Elan mehr. Sie erfindet nichts, wagt nichts, gewinnt nichts.

Andererseits hat sich in denselben 40 Jahren, in denen sich die Geburtenzahl fast halbiert hat, der Anteil der Kinder in der Sozialhilfe versechzehnfacht. Je weniger Kinder geboren werden, desto mehr geraten in Armut. Selbst ein durchschnittlicher Facharbeiterhaushalt mit zwei Kindern und einem Jahreseinkommen von 30.000 Euro brutto liegt netto 1400 Euro unter dem steuerlichen Existenzminimum. Rund die Hälfte aller Kinder lebt in prekären Einkommensverhältnissen. Kinder sind das Armutsrisiko Nummer eins.

So wenig Deutschland ein familienfreundliches Land ist, so wenig hat es eine familienfreundliche Politik. Zwar müht sich Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) redlich, und hat das Thema jetzt sogar zur Chefsache hochgeredet, womit es die Aufmerksamkeit der Bundeskanzlerin genießt.

Es ist dies freilich ein Muster von begrenztem Wert: Welches Problem, das Angela Merkel an sich gezogen hat, seit sie Kanzlerin ist, darf wirklich als gelöst gelten?

Wenn Kanzleramtschef Thomas de Maizière für die zweite Hälfte der Legislaturperiode einen "radikalen Umbau der Familienförderung" ankündigt, muss man mit dem Schlimmsten rechnen. Hinter dieser Formulierung steht die Unzufriedenheit der Politik, dass alle bisherige Förderung die Familien nicht endlich jubeln lässt.

Witwenpensionen als Familienförderung

184 Milliarden Euro lasse sich der Staat, so hat es die Regierung ausgerechnet, die Familienförderung jährlich kosten - wobei großzügig alles zusammengerechnet wird, was Ehepaaren und/oder Kindern irgendwie zugutekommt.

Locker werden die Ausgaben für das Bildungssystem (55 Milliarden) bei den Familien fehlgebucht, obwohl es sich um Investitionen fürs Land insgesamt handelt, und auch die Witwenrente (34 Milliarden) ist sicher keine Familienförderung im engeren Sinne.

Wer auf Kindergeld und Kinderfreibeträge (35 Milliarden) verweist, muss hinzufügen, dass zwei Drittel dieser Summe Ausgleich für steuerliche Ungleichbehandlung der Familien im Einkommensteuerrecht ist.

Umgekehrt stützen die Eltern über ihre Kinder die Sozialversicherungssysteme, deren Leistungen Kinderlosen ebenso zu gute kommen, ohne dass das den Eltern ausreichend vergütet würde.

Umbau der Sozialsysteme ist nötig

Dringend Not täte der familiengerechte Umbau der Steuer- und Sozialsysteme; die große Koalition hat aber gerade mal das Elterngeld zustande gebracht. Jetzt wird über kostenlose Kinderbetreuung diskutiert - und wieder fällt den Politikern nichts anders ein, als die Mittel gebenenfalls beim Kindergeld abzuzwacken: So werden Familien mit älteren Kindern gegen Familien mit jüngeren Kindern ausgespielt.

Wie aber erklärt sich die Lethargie der Politiker, obwohl ihnen doch bekannt ist, dass und wie sehr Kinder die Schicksalsfrage jeder Gemeinschaft sind? Die Antwort ist ganz einfach.

Politik lebt immer auch von der eigenen Betroffenheit. Wir aber werden von Politikern regiert und gesellschaftlichen Eliten beeinflusst, die keine Kinder um sich haben; die siebenfache Mutter von der Leyen als Ausnahme, die die Regel bestätigt.

Wenn 75 Prozent der Haushalte kinderlos sind (die Eltern erwachsener Kinder mitgerechnet), wenn es in den Parteivorständen von CDU, SPD, FDP und Grünen die Kinderlosen auf 30 bis 50 Prozent bringen bis hinauf zur kinderlosen Bundeskanzlerin, wenn die Zahl der Kinderlosen in den Medien auf 60 Prozent geschätzt wird und im Fernsehen nach einer neueren Studie Singles mit 50Prozent der Hauptrollen doppelt so häufig zu sehen sind wie im richtigen Leben und Familie dort häufig nur noch als alleinerziehende Mutter mit Kindern vorkommt - dann wird sich bei diesem Thema nur sehr schwer etwas bewegen lassen. Aber Weihnachten ist ja das Fest des Lichtes und der Hoffnung.

© SZ vom 23.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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