Berlins Wirtschaft:Goldene Jahre im Konjunktiv

Lesezeit: 2 min

Ökonomen haben Berlins Chancen als Stadt der Gründer untersucht: Der Start-up-Boom hat der Stadt enorm geholfen. Wenn er aber anhalten soll, müsste die Politik einige wichtige Dinge ändern.

Von Jens Schneider, Berlin

Über das Satzzeichen am Ende der Überschrift haben sie im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW lange diskutiert. Sollte vielleicht ein Ausrufezeichen die positive Wirtschaftsentwicklung der Hauptstadt betonen? Am Ende entschieden sich die Wissenschaftler für ein Fragezeichen. So lautet der Titel einer Studie zur Wirtschaft des Landes Berlin, die das DIW jetzt vorlegte: "Von der Start-up-Hauptstadt zur Wachstumsmetropole?" Der Bericht spricht von sehr guten Aussichten, mahnt aber dringende Verbesserungen an. DIW-Präsident Marcel Fratzscher sagt, vor Deutschlands Hauptstadt "könnten goldene Jahrzehnte liegen. Die Politik muss die Weichen aber richtig stellen."

Mittlerweile wird jedes zweite Unternehmen in der Stadt von ausländischen Bürgern gegründet

Berlin befindet sich demnach nach einer langen Phase der Stagnation mittlerweile auf einem stabilen Wachstumskurs, dabei hat der Boom der Berliner Start-up-Szene der Studie zufolge wesentlich mitgeholfen. Berlins Wirtschaftsleistung nimmt seit Jahren überdurchschnittlich zu. Die Zahl der Erwerbstätigen in Berlin ist laut dem DIW in den vergangenen zehn Jahren um 290 000 gestiegen, im Vergleich deutlich stärker als im gesamten Bundesgebiet. Aber Berlin liegt bei der Arbeitslosigkeit, dem Lohnniveau und der Produktivität weiter unter dem Bundesdurchschnitt. Die Rede ist von einer Aufholjagd.

Als Wachstumstreiber werden der Tourismus, die Kulturwirtschaft und eben die digitale Wirtschaft sowie die forschungsintensive Industrie genannt. Das DIW sieht eine außergewöhnlich hohe Gründungsdynamik: In den letzten Jahren seien viele Gründungen mit Innovationspotenzial entstanden, Berlin sei ein "weltweit bekannter Magnet für kreative Gründungen". In der Hauptstadt sei 2015 mehr Risikokapital investiert worden als etwa in London, Paris, Hamburg oder München.

Dabei wird die Dynamik stark von Ausländern getragen. In Berlin werde mittlerweile beinahe jedes zweite Unternehmen von ausländischen Bürgern gegründet, so die DIW-Studie. Zwar seien dies nicht alles innovative Unternehmen, "das ist auch der kleine Laden an der Ecke", so Fratzscher, aber die Zuwanderung sei ein zentraler Faktor für das "Beschäftigungswunder". Jede sechste Gründung in Berlin habe in den vergangenen Jahren ein hohes Innovationspotenzial gehabt.

Allerdings sieht das DIW Mängel, wenn es um die Wachstumsbedingungen für Unternehmen geht. Gerade für den Übergang von der Gründung in die Wachstumsphase müssten Rahmenbedingungen verbessert werden, schreibt Alexander Kritikos, Forschungsdirektor Entrepreneurship am DIW Berlin.

Gebraucht würden hochwertige Gewerbe- und Industrieflächen, sie werden infolge des Booms knapp. Auch müssten administrative Verfahren verbessert und beschleunigt werden. Deutlich kritisiert das DIW den Zustand der vernachlässigten Infrastruktur, am dringlichsten sei der Bedarf in den Schulen.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) räumte bei der Vorstellung des Berichts ein, dass mehr in die Infrastruktur investiert werden müsse. Damit sei bereits begonnen worden. Er werde oft gefragt, warum Berlin nicht früher damit angefangen habe. Es hätten aber die finanziellen Möglichkeiten gefehlt. Das Land habe in einer Verschuldungsspirale gesteckt, "die uns gar nicht ermöglicht hat, früher entscheidende Impulse zu setzen". Erst durch einen harten Sparkurs seien Spielräume entstanden. Berlin hat zuletzt drei Milliarden Euro Schulden abgebaut, jedoch noch immer fast 60 Milliarden Miese. "Goldene Jahrzehnte sind nur möglich, wenn man investiert und gleichzeitig den Konsolidierungskurs weiterführt", sagte der Regierungschef.

Berlins Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) sagte, dass Berlin über Jahre deutlich überproportional wachsen müsse, um zu anderen Ländern aufzuschließen. Yzer sprach zudem über Optionen, die für Berlin durch den EU-Austritt Großbritanniens entstehen könnten. Bereits jetzt hätten zahlreiche Unternehmen von dort sich erkundigt, wie sie sich in Berlin ansiedeln oder zumindest ein Standbein dort schaffen könnten. Sie habe zuletzt viele Interviews dazu in britischen Medien gegeben, sagte Yzer, "danach können wir sehen, wie die Anfragen einlaufen".

© SZ vom 21.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: