Bei uns in Tokio:Mit Badekappe, aber ohne Armbanduhr

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Wer in Japan ins Schwimmbad geht, erlebt manche Überraschung. Nichts lenkt vom eigentlichen Schwimmen ab. Keine Spaßrutsche und keine Massagedüsen­landschaft. Und es gibt klare Regeln.

Von Thomas Hahn

Man kann sich leicht lustig machen über den ganzen technischen Schnicksack, mit dem sich die Japanerinnen und Japaner ihren Alltag zustellen. Über Klobrillenheizungen, Handventilatoren, Roboterhunde. Aber der Badehosentrockner im Tatsumi-Bad ist wirklich praktisch, das kann man gar nicht anders sagen. Das Tatsumi-Bad im Süden Tokios ist ohnehin fabelhaft: ein Tempel des reinen Schwimmsports mit olympischem 50-Meter-Becken. Keine Spaßrutsche und keine Massagedüsenlandschaft lenkt hier von der Bestimmung des Schwimmers ab, nämlich sich mit Geduld und Ausdauer Bahn um Bahn immer wieder rauf und runter durch das Element Wasser zu bewegen.

Außerdem ist das Tatsumi-Bad eine Bühne des japanischen Alltags, den ein komplexes System aus Fortschritt und unabänderlichen Regeln prägt. Das bedeutet, als Zugereister wundert man sich hier über Dinge, über die sich die Einheimischen noch nie gewundert haben, und macht erst mal ziemlich viel falsch. Jene Freiheitsrechte zum Beispiel, die sich in den Schwimmbädern des Westens mit der Zeit durchgesetzt haben, haben nie den Weg über die Weltmeere in den Inselstaat Japan gefunden. Hier gelten noch Badekappenpflicht und Armbanduhrverbot. Beides überwacht ein Team aus pflichtbewussten Bademeisterinnen und Bademeistern mit ungeteilter Aufmerksamkeit. Wer keine Badekappe aufhat, muss raus und sich eine leihen. Wer eine Armbanduhr trägt, muss raus und sie ablegen. Auf Bahn eins darf man vom Startblock springen, aber niemals auf den Startblock zu schwimmen. Wer es doch tut, den wirft der diensthabende Bademeister durchaus auch mal mit seinem Rettungsknüppel aus Styropor ab. Und alle zwei Stunden müssen alle raus aus dem Becken. Alle. Ausnahmslos. Und alle Japanerinnen und Japaner wissen es. Alle wissen auch warum. Das ist die zehnminütige Sicherheitspause, damit sich keiner im Wasser verausgabt. Eine Vorsichtsmaßnahme. Nur das blonde Walross mit der kantigen Kraultechnik weiß natürlich nichts. Pflügt unverdrossen weiter durch die gechlorten Fluten. Denkt sich nichts dabei. Bis es von einem Japaner höflich angetippt wird.

Sinnfragen bringen hier wenig. Niemand in Japan verlangt vom Fremden, dass er Japan versteht. Aber niemand in Japan versteht auch so richtig, was es an Japan nicht zu verstehen geben könnte. Also fügt man sich. Schlüpft in die viel zu kleinen Pflichtschlappen vor der Toilette und versucht den Eindruck zu vermeiden, als hätte man alles lieber ganz anders oder wüsste, wie es richtig laufen sollte.

Und dann ist da eben in der Umkleide dieser Badehosentrockner, ein Gerät von anmutiger Schlichtheit, eine schmale Trommel mit einem Knopf. Man steckt die Badehose nach dem Schwimmen hinein, schließt die Klappe und hält den Knopf gedrückt. Das Gerät rumpelt leise, weil es offensichtlich die Hose schleudert. Nach zehn Sekunden lässt man den Knopf los und hat eine Badehose, die zumindest nicht mehr klatschnass ist. Sagenhaft. Seltsam. Japan ist für Zugereiste eine sehr komfortable Herausforderung.

© SZ vom 20.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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