Bei uns in Rio:Stadt der Wischmopps

Lesezeit: 2 min

Rio ist ein Ort für Fortschrittsskeptiker. Wer glaubt, die heimische Autowäsche mit Schaumbad sei eine Kulturtechnik der Achtziger, war noch nie in dieser Stadt. So erklärt sich auch der immense Absatz von Besen, Wedeln, Wischmopps.

Von Boris Herrmann

Freitags kommt der Besenmann. Man hört ihn schon von Weitem rufen: "Vassoureiro! Vassoureiro!" Er trägt immer einen Strauß frischer Besen ("vassouras") auf der Schulter, hat aber auch Staubwedel, Spinnwedel, Wasserschieber und Wischmopps (zu schade, dass der Duden den Plural Wischmöppe nicht akzeptiert) im Angebot. Manchmal bleibt er ein paar Minuten an der Straßenecke stehen, dann muss man sich beeilen, wenn man bei ihm einkaufen will. Sonst ist er wieder weg, der wandernde Putzutensilienverkäufer.

Rio ist ein Ort für Fortschrittsskeptiker. Weniger Weltstadt als Freilichtmuseum. Selbst auf den berühmten Boulevards von Copacabana und Ipanema gibt es deutlich mehr Rentner als Hipster, mehr Stützstrumpfgeschäfte als Milchschaumcafés. Am internationalen Flughafen kann man keine internationalen Zeitungen kaufen und mit den Grundlagen der englischen Sprache sind nur einige Exoten vertraut. Die brasilianische Politik wird längst in Brasília gemacht, das große Geld in São Paulo verdient und veruntreut, die maßgeblichen Juristen und Schwerverbrecher sitzen in einer Stadt namens Curitíba. Rio hat seine Strände und seine Berge und sehnt sich ansonsten jeden Tag nach seiner glorreichen Vergangenheit. Menschen mit einem Sinn für Nostalgie empfinden das mitunter als sehr angenehm.

Vor allem bei der Werbung und Verkaufsförderung ist Rios wohltuende Rückständigkeit zu bestaunen. Hier gibt es sie noch, die Knoblauch-Bauchladenmänner, die wandelnden Litfaßsäulen, die Kleinflugzeuge mit Werbebanner-Schwänzchen sowie die mobilen Obst - und Gemüsestationen mit Megafon auf dem VW-Bus-Dach.

Fabiano, 24, arbeitet schon sein halbes Leben als "Vassoureiro". Familientradition, sein Vater und sein älterer Bruder leben auch vom Besenwandel. Die Familie wohnt in der Baixada Fluminense, im ebenso flachen wie armen Nordteil der Stadt. Dort kauft Fabiano jeden Morgen 30 Besen, fünf Reais pro Stück, und fährt dann mit seinem Bündel im Omnibus (auch dieses Wort existiert in Rio noch) in die Südzone. Dort liegt der aktuelle Besenmarktwert bei etwa zwölf Reais, 3,40 Euro. In Stadtteilen wie Copacabana, Gávea und Urca wohnen die Menschen, die eine Putzfrau beschäftigen - und zwar nicht einmal die Woche, sondern die ganze Woche lang. Irgendwas wird dort immer gefegt und gewischt, und wer glaubt, die heimische Autowäsche mit Schwämmchen und Schaumbad sei eine Kulturtechnik der Achtziger, der war noch nie in Rio. Das erklärt auch den immensen Besen-, Mopp- und Wedelverbrauch im wohlhabenden Süden der Stadt. Fabiano wird seine Ware stets ohne Probleme los. Dabei ist die Konkurrenz enorm. Montags und mittwochs kommen die anderen Besenmänner.

© SZ vom 02.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: