Bei uns in Rio:Schöner pfuschen

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Das Handwerk ist in Brasilien ein besonderer Wirtschaftszweig. Wer den Beruf ausübt, muss sich für Pfuscherei nicht schämen, im Gegenteil - stolz ist man in der Zunft vielmehr dann, wenn man besonders erfindungsreich pfuscht.

Von Boris Herrmann

Unter den zeitgenössischen Künsten ist die brasilianische Handwerkskunst vielleicht die seltsamste. Wer in Rio einen Handwerker bestellt, zum Beispiel weil das Schloss am Hofgatter klemmt, der erlebt am Telefon einen extrem motivierten Arbeiter. "Klar Bruder, tausche ich dir in fünf Minuten aus. Wann soll ich kommen? Morgen früh? Klar, morgen früh passt hervorragend." Nur Menschen, die Brasilien nicht kennen, gehen nach so einem Gespräch davon aus, dass am nächsten Morgen ein Handwerker vor der Tür steht.

Wenn man zwei Tage später noch einmal anruft, sagt derselbe Mann: "Junge, hast du gesehen, wie es gestern geregnet hat? Wie soll ich bei so einem Wetter draußen mit elektrischen Geräten arbeiten?" Gut, leuchtet ein. Am nächsten regenfreien Tag sei er da, verspricht der Mann.

Tage, die in Brasilien offiziell als regenfrei gelten, müssen zwei Bedingungen erfüllen. Erstens: Es darf nicht regnen. Zweitens: Es darf in keinem Wetterbericht das Wort Regen vorkommen. Selbst beim geringsten Verdacht, dass es vielleicht regnen könnte, fallen vorsorglich Straßenumzüge, Grillfeste, Schulausflüge und Handwerker-Termine aus. In der tropischen Großstadt Rio ist von Oktober bis März Regenzeit. Da kann es schon mal vorkommen, dass der für Anfang November fest zugesagte Schloss-Austausch an einem trockenen Tag kurz nach Neujahr stattfindet.

Leider schließt das Tor danach noch schlechter als vorher. Nämlich gar nicht mehr. Der Schlosser hat das Schloss und die Zarge am Türrahmen leicht höhenversetzt angeschraubt, sodass die Falle nicht in das dafür vorgesehene Loch schnappen kann. Der Mann hat sich schon in den Feierabend verabschiedet, bevor der kleine Fehler auffällt, es dauert - wetterbedingt - drei Wochen, bis er wieder kommt.

Die Besonderheit der brasilianischen Handwerker-Ethik besteht darin, dass sich niemand für eine Pfuscherei schämt. Die Kunst, ein handwerkliches Problem unfachmännisch zu lösen, gehört zur nationalen Identität. Es gibt dafür sogar einen Fachausdruck: "A Gambiarra". Stolz ist nicht, wer die beste Bohrmaschine hat, sondern wer es schafft, ein defektes Schloss mit Hammer und Küchenmesser zu reparieren - beziehungsweise so zu improvisieren, dass es wie repariert aussieht.

"Alles in Ordnung, entschuldige die Verzögerung", sagt der Schlosser nach seinem zweiten Arbeitseinsatz Ende Januar.

Erst bei genauer Betrachtung ist sein Gambiarra-Wunderwerk erkennbar: Er hat die Zarge nicht hochgesetzt, sondern bloß das Loch mit Gewalt vergrößert. Das neue Schloss schließt jetzt von innen perfekt. Es ist allerdings auch so verbeult, dass man es von außen nicht mehr aufkriegt.

© SZ vom 10.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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