Bei uns in Rio:Die Wirtschaftskrise geht weiter

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(Foto: N/A)

In Brasilien gab es Hoffnungen, dass die Wirtschaftskrise in diesem Jahr zu Ende gehen könnte. Doch dann kam der Streik der Lkw-Fahrer.

Von Boris Herrmann

Neulich stand Brasilien still. Die Schulen und Universitäten waren geschlossen, Taxis und Busse blieben stehen, die Krankenhäuser operierten nur noch in Notfällen. Die Brasilianer sind solche Momente gewohnt, aber normalerweise ist dann entweder Karneval oder ein WM-Spiel der Fußball-Nationalmannschaft. Diesmal streikten die Brummifahrer.

Zehn Tage lang ging das so, von Ende Mai bis Anfang Juni. Und es fühlte sich an wie Karneval ohne Samba oder ein Fußballspiel ohne Ball. Bloß halt nicht 90 Minuten, sondern 240 Stunden lang. Nach ein paar Tagen kam man sich in Rio wie in Kuba vor, nach einer Woche wie in Venezuela. Erst ging den Tankstellen das Benzin aus, dann den Flughäfen das Kerosin, dann den Supermärkten das Gemüse, die Eier und das Brot. Und schließlich auch noch den Großmastbetrieben das Tierfutter. 64 Millionen Hühner mussten während des Streiks notgeschlachtet werden. Als die Maschine der brasilianischen Nationalmannschaft Anfang Juni in Richtung Russland startete, lief das im Fernsehen unter "Breaking News": "Seleção kann ausreisen". Es war der Moment, als dem letzten Brasilianer klar wurde, dass die Lkw-Fahrer zu den mächtigsten Menschen in diesem Land gehören.

Jetzt ist die Rechnung da für das, was kostete, ihren Streik zu beenden: die Inflation kletterte in den zurückliegenden vier Wochen auf den höchsten Stand seit 1995. Und mit ihr die Arbeitslosenquote. Das Konsumklima hat sich deutlich verschlechtert.

Der dramatische Versorgungsnotstand war auch das Ergebnis einer seit Jahrzehnten fehlgeleiteten Verkehrspolitik. Es gibt im fünftgrößten Staat der Erde praktisch keine Eisenbahnlinien. Nahezu alles, was hier bewegt wird, muss auf dem Asphalt bewegt werden. Es genügt deshalb, ein paar Überlandstraßen zu blockieren, um halb Brasilien einzuschläfern. Die Kraftfahrer wissen, dass die Regierung an diesem Punkt erpressbar ist. Das haben sie ausgenutzt.

Ihr Protest richtete sich gegen eine Erhöhung der Dieselpreise, die in Wahrheit eine Anpassung der zuvor staatlich gedeckelten Preise an einen realen Marktwert war, mit all seinen Ölpreis-bedingten Schwankungen. Dahinter steckte der Versuch der Regierung von Michel Temer, den halbstaatlichen Mineralölkonzern Petrobras zu sanieren. Das hat sich nun erledigt. Um die Trucker zufrieden zu stellen, erließ Temer ein Dekret, das Petrobras verpflichtet, sein Diesel zehn Prozent billiger zu verkaufen. Das kostet den Staat Milliarden, die an anderer Stelle eingespart werden müssen. Die Lkw-Fahrer tanken jetzt wieder stark subventionierten Diesel. Alle anderen Brasilianer bezahlen für ihr Fleisch, ihr Gemüse und ihr Normalbenzin dafür jetzt deutlich mehr. Die Brummiblockade steht für das Ende aller Hoffnungen, dass die brasilianische Wirtschaftskrise 2018 zu Ende gehen könnte.

© SZ vom 20.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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