Bei uns in London:Von Rosen, Schafen und königlichen Geiseln

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Die Bräuche der Briten muten für Außenstehende oft kurios an. So verzichtete die Queen unlängst bei einer Rede zwar auf den sonst üblichen Prunk. Doch auf eine "Geiselnahme" verzichtete sie nicht.

Von Björn Finke

Die Briten mögen ihre Traditionen und Rituale. Sie geben ein Gefühl von Beständigkeit und Verlässlichkeit in einer Welt, die viele als kompliziert und schnelllebig empfinden. Einige dieser alten Bräuche muten für den Außenstehenden ein wenig kurios an. Als etwa Königin Elizabeth II. nun mit einer Rede das Parlament eröffnete, verzichtete sie auf den sonst üblichen Prunk. Sie trug keine Krone und fuhr nicht mit der Kutsche den knappen Kilometer vom Buckingham Palace zum Parlament, sondern schnöde mit dem Auto. Doch sie verzichtete nicht darauf, einen Parlamentarier als Geisel zu nehmen. Der konservative Abgeordnete Chris Heaton-Harris musste im Palast ausharren, während die Queen im Parlament weilte. Die Regelung stammt aus dem 17. Jahrhundert und soll sicherstellen, dass auf Krawall gebürstete Abgeordnete dem Monarchen nichts antun während dessen Visite.

Die City of London, die historische Altstadt, die heute das Bankenviertel beherbergt, hat ihre eigenen Rituale. An einem Sonntag im September scheuchen Mitglieder der Zünfte immer Schafe über die London Bridge. Dieser sheep drive erinnert an das mittelalterliche Privileg sogenannter freemen der City - also freier Bürger, die keine Leibeigenen waren -, ohne Maut Schafe über eine Themsebrücke in die City of London treiben zu dürfen.

Vor einigen Tagen wiederum war die City Schauplatz einer ungewöhnlichen Strafzahlung, die einmal im Jahr ansteht. Der Vorsitzende der Zunft der Themseschiffer schneidet eine Rose in einem Kirchgarten ab, platziert sie auf einem Samtkissen und trägt sie in einer Prozession durch die Straßen der Square Mile, wie das gut eine Quadratmeile große Bankenviertel auch genannt wird. Eskortiert wird der Rosenkavalier von Zunftmitgliedern, die mit bedrohlich langen Rudern bewaffnet sind. Die Blume wird dann dem Lord Mayor, dem Bürgermeister der Altstadt, in dessen prächtigem Amtssitz Mansion House überreicht.

Hintergrund ist ein Verstoß gegen Planungsvorschriften im Jahr 1381. Eine Familie baute über eine Straße eine Fußgängerbrücke, die ihr Haus mit ihrem Rosengarten auf der anderen Seite verband. Die Rosenfreunde hatten sich aber keine Genehmigung eingeholt, weswegen die City of London am 23. Juli 1381 eine symbolische Strafe verhängte: Die Familie und ihre Erben sollten bis in alle Ewigkeit einmal im Jahr beim Lord Mayor eine Rose abliefern.

Werden heutzutage Strafen in der City verhängt, geht es meist um die Banken dort und ihre Skandale. Und es geht um Milliardenzahlungen statt um eine Rose jährlich. Die Zeiten ändern sich, die Traditionen bleiben.

© SZ vom 23.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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