Bei uns in London:Ist doch Common Sense

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Die britische Regierung verweist gerne auf den gesunden Menschenverstand, also den "Common Sense", wenn man nicht mehr weiß, welche Corona-Regeln denn gelten. Über den gesunden Menschenverstand ist man sich allerdings auch uneins.

Von Alexander Mühlauer

Immer dann, wenn man nicht genau wusste, welche Regeln denn jetzt in der Corona-Krise gelten, hatte die britische Regierung einen gut gemeinten Rat parat: Man solle doch seinen gesunden Menschenverstand benutzen - also das, was man allgemeinhin Common Sense nennt. Doch damit begann ein neues Problem: Es zeigte sich, dass jeder nun mal eine andere Auffassung davon hat, was eigentlich Common Sense bedeutet. Auch die Präzisierung des Premierministers, sich der "guten britischen" Variante des Common Sense zu bedienen, half nicht wirklich weiter. Beispiel: Wann ist es sinnvoll, eine Schutzmaske zu tragen?

Am Anfang hieß es von Seiten der wissenschaftlichen Chefberater der Regierung, dass es keine wirklichen Beweise gebe, dass Gesichtsbedeckungen die Verbreitung des Virus eindämmen würden. Kein Wunder also, dass dies erst einmal als Common Sense galt. Als dann die Infektionszahlen immer größer wurden, veränderte sich die Haltung. Und plötzlich gab die Regierung neue Leitlinien heraus, die man ja nicht mit Regeln oder gar Vorschriften verwechseln sollte. Die Guideline also lautete: In öffentlichen Verkehrsmittel sei es doch empfehlenswert, Nase und Mund zu bedecken. Und so sah man im Bus und in der Tube immer mehr Menschen, die sich wahlweise eine FFP3-Maske, einen Schal oder ein Stück Plastik am Gesicht befestigten. Je nach Gusto - pardon: Common Sense.

Was soll man sagen? Die Corona-Bilanz der britischen Regierung wurde im Verlauf des Lockdowns nicht wirklich besser, um es freundlich auszudrücken. Und nachdem in anderen Ländern mit weniger Corona-Fällen Maskenpflicht galt, hieß es auf einmal in England: In öffentlichen Verkehrsmitteln bitte ab sofort Maske aufsetzen. Aber nur dort. In Supermärkten, in der Bank oder im Einkaufszentrum durfte man weiter ohne Gesichtsbedeckung unterwegs sein. Die Logik dahinter erschloss sich nicht jedem, so mancher soll sogar angefangen haben, an seinem gesunden Menschenverstand zu zweifeln.

Als hätte er die allgemeine Verunsicherung geahnt, zeigte sich der Premierminister plötzlich eines Tages mit Gesichtsmaske. Da dachte man schon: Alles klar, jetzt meint er es ernst. Als aber dann sein Kabinettsminister im Sonntagsfernsehen erklärte, dass es in Geschäften keine Maskenpflicht geben sollte, geriet man erneut ins Grübeln. Wie war das nochmal mit dem legendären britischen Common Sense? Nun, am Ende verfügte der Premierminister schließlich eine Maskenpflicht. Und doch gibt es nicht wenige, die einfach weiter ohne Gesichtsbedeckung einkaufen gehen. Mag sein, dass sie es irgendwann leid waren, den "Leitlinien" der Regierung zu folgen. Auch das wäre dann wohl eine individuelle Form von Common Sense.

© SZ vom 31.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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