Bei uns in London:Die City als Luftkurort

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Der historische Kern der Kapitale ist reizvoll. Aber die Straßen sind noch so eng wie im Mittelalter. Und verpestet. Gesund geht nur woanders.

Von Björn Finke

Sie ist nicht nur Europas Finanzzentrum, sondern auch der älteste Teil der Stadt: Die City of London, der nur eine Quadratmeile große historische Kern der Kapitale, beherbergt neben den Glastürmen der Banken und Versicherer betagte Kirchen und römische Ruinen. Die Besatzer aus Italien errichteten eine Mauer um ihre Siedlung Londinium, die nach ihrem Abzug weiter lange die Grenze Londons markierte. Überreste des Walls sind noch heute in der City zu sehen, genauso Spuren eines Amphitheaters oder Tempels.

Alt und Neu nebeneinander schaffen manchmal reizvolle Kontraste. Etwa wenn Flaneure vor dem modernen Hochhaus des Versicherungsmarktplatzes Lloyd's of London eine Pause machen und in Richtung des ebenso modernen Hochhauses The Gherkin schauen, in dem der Rückversicherer Swiss Re residiert. Vor dem Gherkin - der Spitzname bedeutet Gewürzgurke, denn einer solchen ähnelt die Form - steht eine kleine Kirche aus dem 16. Jahrhundert, St. Andrew Undershaft. Ein winziges Gotteshaus, eingeklemmt zwischen riesigen Kathedralen des Mammon: wie passend.

Ein deutlich weniger reizvolles Erbe der Vergangenheit ist dagegen, dass viele Straßen noch so eng sind wie im Mittelalter. Angestellte müssen sich auf dem Weg ins Büro auf schmalen Bürgersteigen aneinander vorbeischieben, während auf der Straße Busse, Taxen und andere Fahrzeuge im Stau die Luft verpesten. Für Fahrradfahrer ist die City of London die Hölle.

Die Bezirksverwaltung, die City of London Corporation, geht das Problem nun an. Die Politiker präsentierten eine Verkehrsstrategie mit radikalen Ideen. Demzufolge soll in den kommenden 25 Jahren mindestens die Hälfte der Straßen der Square Mile in Fußgängerzonen oder verkehrsberuhigte Anliegerstraßen verwandelt werden. Fahrradwege will die Kommune ausbauen, und schon in vier Jahren soll flächendeckend ein Tempolimit von 15 Meilen pro Stunde gelten, das sind 24 km/h.

Mit ihrer Begeisterung für Fußgängerzonen heben sich die Bezirksvertreter der City klar von den Politikern im benachbarten Sprengel Westminster ab. Durch Westminster verläuft die Oxford Street, Europas belebteste Shoppingmeile. Sadiq Khan, Londons sozialdemokratischer Bürgermeister, versprach im Wahlkampf, die Oxford Street zur Fußgängerzone umzuwidmen. Bisher inhalieren die Passantenmassen dort die Abgase von quälend langsam vorankommenden Doppelstockbussen und Taxen. Doch Westminsters Bezirksvertretung, die von den Konservativen beherrscht wird, blockierte die hehren Pläne des Bürgermeisters. Einkaufswütige sollen also ruhig weiter schlechte Luft einatmen und sich vor Autos in Acht nehmen müssen.

Wem das zu stressig und zu ungesund ist, kann in Zukunft immerhin hinüberlaufen in die City of London, zum Erholen. Das Bankenviertel wird zum Luftkurort der Kapitale.

© SZ vom 09.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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