Bei uns in Frankfurt:Mephisto am Finanzplatz

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Wegen der lockeren Geldpolitik der EZB in Frankfurt stecken mehr Deutsche ihr Geld in Aktien und Fonds. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Hier am Main ist der Banker überall, er bevölkert S-Bahn und Bürogebäude. Dabei unterschlägt man schnell, dass Frankfurt zwar Bankfurt ist, aber eben auch Goethe-Stadt. Und der auch schon einiges über Geld zu sagen wusste.

Von Markus Zydra

Der Blick auf die Skyline ist beeindruckend. Die Bankentürme geben Frankfurt ein markantes Gesicht. Die Banker trifft man morgens in der S-Bahn. An der Taunusanlage steigen viele aus. Es sind Männer mit sehr kurzen Haaren in dunklen Anzügen und Frauen in feinen Kostümen. Sie sehen ernst aus. Einige fahren weiter bis zur Ostendstraße. In der Nähe steht der Doppelturm der Europäischen Zentralbank. In Frankfurt leben 700 000 Menschen. 70 000 arbeiten in der Finanzbranche. Da spricht man schnell von "Bankfurt" und unterschlägt dabei, dass Frankfurt auch Goethe-Stadt ist. Das Geburtshaus des Dichters steht im Schatten der Türme. Die Touristen, häufig aus Fernost, stehen dort Schlange. Den Finanzplatz Frankfurt nehmen die Besucher meist nur am Rande wahr. Die hiesigen Stadtpolitiker und Interessenvertreter sprechen dafür umso häufiger vom "Finanzplatz". Sie tun das mit Stolz, obwohl der Begriff im internationalen Vergleich ein wenig dörfisch wirkt. In London nennt man den Finanzdistrikt "City", in New York "Wall Street". Das klingt cooler. Da mag es auch nicht überraschen, dass der Chef der Deutschen Börse, Carsten Kengeter, neulich sagte, Frankfurt habe gegen den Finanzstandort London keine Chance. Die Worte des ehemaligen Investmentbankers waren ehrlich und niederschmetternd zugleich: Denn die Deutsche Börse und die Londoner Börse wollen fusionieren. Das sorgt in den Finanzkreisen am Frankfurter Finanzplatz für Unsicherheit. Der Sitz der neuen Firma wäre nämlich in London. Fristet die Stadt am Main fürderhin ein Dasein in der finanzwirtschaftlichen Peripherie? Diese Sorge treibt die Leute schon seit Jahrzehnten um. Dabei hat sich Frankfurt gut behauptet. Mit einem Siegerlächeln im Gesicht betont man hier gerne, den "Place de la Finance" in Paris abgehängt zu haben. Und wenn die Briten am 23. Juni mehrheitlich tatsächlich für den Austritt aus der EU stimmen, rechnet mancher mit einer Verlagerung Londoner Jobs nach Frankfurt. Doch bei diesen kleingeistigen Konkurrenzspielchen vergisst man leider allzu häufig den Wert Goethes für den Sektor. Denn der Dichter hat im zweiten Teil des Faust die teuflische Gefahr des Finanzkapitalismus beschrieben: In dem Stück klagt der Kaiser gegenüber Mephisto: "Ich habe satt das ewige Wie und Wenn; Es fehlt an Geld, nun gut, so schaff' es denn." Mephisto tat wie ihm geheißen: "Ich schaffe, was ihr wollt, und schaffe mehr." Die Geldalchemisten und der große Dichter. Eine Stadt, zwei Antipoden. Das macht den Frankfurter Finanzplatz erst richtig groß.

© SZ vom 03.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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