Bei uns in Buenos Aires:Ein Wahnsinn namens Kindergeburtstag

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In Argentinien werden zum Fest nicht nur Freunde, sondern auch Cousins und Nachbars­kinder eingeladen. Ein Horror für Eltern.

Von Christoph Gurk

Argentinische Kindergeburtstage sind ein Phänomen, das sich nur unzureichend mit einem sehr, sehr starken Wirbelsturm vergleichen lässt. Während in Deutschland in einigen Elternhäusern die Regel gilt, dass der junge Jubilar so viele Gäste einladen darf, wie er Jahre alt wird, kommt in Argentinien nicht nur die gesamte Kindergartengruppe, sondern auch alle Cousinen und Cousins und dazu auch noch die Kameraden aus dem Fußballteam und sämtliche Kinder aus der Nachbarschaft. Schnell kommt man so auf eine Gästezahl, die selbst deutschen Hochzeitspaaren die Schweißperlen auf die Stirn treiben würde; dazu werden die Kinder auch nicht mit Dinkelpuffern, Vollkornkuchen und naturtrüben Fruchtsäften versorgt, sondern mit Chips, Lutschern, Schokolade und sehr viel Coca-Cola.

Wie gesagt: Der Wirbelstum-Vergleich ist unzureichend und nur wenige Eltern wollen sich dieser entfesselten Naturgewalt unvorbereitet aussetzen. Wer es sich leisten kann, der mietet einen Salon de Fiestas, eine Eventlocation, die sich in den allermeisten Fällen exklusiv auf das Ausrichten von Kindergeburtstagen beschränkt. Manchmal gibt es Hüpfburgen, andere Male Trampoline, Bällebäder, Klettergerüste, Videoleinwände und dazu noch Clowns oder Musiker, um die Kinder zu bespaßen. Der Lärm ist ohrenbetäubend, aber immerhin, es ist nicht die eigene Wohnung.

Wer aus finanziellen oder anderen Gründen nicht um eine Party Daheim herumkommt, der engagiert zumindest einen Alleinunterhalter. Mit Liedern, Zaubertricks und Bastelvorschlägen versucht er oder sie, die Kinder irgendwie in Schach zu halten. Manchmal klappt das, oft nicht. Dann steht ein einsamer Clown in einer Ecke und zaubert bunte Tücher aus seiner Nase, während Horden von Kindern auf Zucker und Koffein im Wohnzimmer der Gastgeber die Couchgarnitur zerlegen.

Es ist fast nicht möglich, diesem Wahnsinn zu entkommen. Wer Kinder hat, liefert diese jedes Wochenende bei irgendeinem "cumple" ab, der Geburtstagsfeier einer Klassenkameradin oder eines Nachbarskindes. Hat die Tochter oder der Sohn dann selbst Geburtstag, muss man natürlich all die vielen Einladungen erwidern, um das Kind nicht der sozialen Ächtung preiszugeben. Fast unweigerlich kommt dann die Frage auf, ob Topfschlagen und eine Schnitzeljagd wirklich genug sind für kleine Gäste, die sonst Karaoke und lebendige Tauben aus Zylindern gewohnt sind. Sollte man nicht doch besser bei einer dieser Eventlocations anrufen? Ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen zu geben schien - doch dann kam Corona.

Seit Ende März gilt in Buenos Aires eine strenge Ausgangsbeschränkung. Kinder dürfen nur an Wochenenden vor die Tür, eine Stunde und auch nur im Umkreis von 500 Metern. Ein Graus für Eltern, vor allem aber für die Kinder. Gleichzeitig aber sah es kurzfristig so aus, als könne die Krise auch Chancen mit sich bringen: Denn Kindergeburtstage sind seit drei Monaten ebenfalls unmöglich, was natürlich einerseits traurig ist, andererseits der Beginn einer neuen Feierkultur sein könnte. Ruhiger und besinnlicher. Oma, Opa und ein paar ausgewählte Freunde, die gemeinsam an einem Tisch sitzen und frohe Wünsche singen - so stellte man sich das vor. Bis die erste Einladung zu einem "Zoomple" kam, einem Geburtstag über das Video-Konferenzsystem Zoom, mit 56 Kindern und gleich drei Alleinunterhaltern samt Instrumenten. Es sind Momente wie dieser, in denen man PC-Entwicklern für den Einbau einer Taste zur Lautstärkeregulierung dankt.

© SZ vom 10.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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