BDI-Chef:Dieter Kempf hinterfragt Handelsüberschuss

Lesezeit: 4 min

Verlassene Autofabrik in Detroit: Deutsche Maschinenbauer könnten den USA bei der Modernisierung der Autobranche helfen, meint BDI-Chef Kempf. (Foto: The Washington Post/Getty Images)

Der Präsident des BDI lobt die Steuerpläne des amerikanischen Präsidenten und räumt ein, dass hohe deutsche Handelsüberschüsse ein Problem sein können.

Von Claus Hulverscheidt, Washington

Wer deutsche Wirtschaftspolitiker beim Schnappatmen beobachten will, der muss es Donald Trump, Emmanuel Macron oder Christine Lagarde nachtun und das H-Wort aussprechen: Handelsüberschuss. Vor allem konservativ-liberale Vertreter schalten in solchen Momenten reflexhaft in den Abwehrmodus um - für sie ist Kritik daran, dass die deutschen Exporte die Importe alljährlich um Hunderte Milliarden Euro übertreffen, nichts als purer Neid. Deutsche Produkte seien nun einmal so gut, dass alle Welt sie haben wolle, lautet das Argument. Das müssten die Präsidenten der USA und Frankreichs, die Chefin des Internationalen Währungsfonds und all die anderen Nörgler endlich begreifen. Selbst Kanzlerin Angela Merkel hält die Vorhaltungen für "nicht sachgerecht".

Umso bemerkenswerter ist, dass nun ausgerechnet Dieter Kempf, der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), dazu aufruft, die Argumente der Kritiker ernster zu nehmen. "Wir Deutschen sollten uns hier ein bisschen ehrlich machen", sagte Kempf der Süddeutschen Zeitung. "Handelsbilanzen müssen nicht immer ausgeglichen sein. Aber wenn ein Land dauerhaft extrem hohe Überschüsse ausweist, dann muss es sich auch einmal fragen, was es selbst dazu beitragen kann, dass die Sache nicht aus dem Ruder läuft."

Konkret sprach er sich dafür aus, die Binnenwirtschaft in Deutschland durch mehr Investitionen zu stärken. "Das käme nicht nur der Infrastruktur zugute, sondern würde auch unseren Handelsüberschuss verringern", erklärte er. "Hier ist die Wirtschaft gefordert, aber auch der Staat muss endlich mehr Geld in die Hand nehmen."

"Wir Deutschen sollten die Welt weniger belehren."

Kempf hatte in dieser Woche einmal mehr am eigenen Leib erfahren, wie groß der Ärger vor allem der Amerikaner über den "Exportweltmeister" Deutschland ist. Der BDI-Chef war bereits zum zweiten Mal binnen fünf Monaten in Washington unterwegs, um mit Vertretern der Regierung, des Kongresses und der Bundesstaaten über gemeinsame Projekte, vor allem aber auch über Meinungsverschiedenheiten zu diskutieren. Der Handelsstreit nahm dabei besonders breiten Raum ein.

Anders als die übrigen Kritiker halten die USA den immensen deutschen Exportüberschuss von zuletzt fast 270 Milliarden Euro nicht nur deshalb für schädlich, weil er in den Empfängerländern die Verschuldung erhöht. Trump und sein als beinhart geltender Handelsbeauftragter Robert Lighthizer sehen im internationalen Warenaustausch vielmehr auch eine Art sportlichen Wettkampf, in dem ihr Land den Deutschen permanent unterliegt. Das sei, so mäkelte der US-Präsident bereits im Frühjahr, "sehr, sehr schlecht".

Mit Trumps Wahlsieg hat sich die Situation für die deutsche Wirtschaft dramatisch verschärft, denn erstmals besteht die reale Gefahr, dass es der Präsident - anders als seine Vorgänger - nicht beim Reden belassen wird. Mehrfach schon hat er öffentlich über die Einführung höherer Zölle oder Steuern auf Importe sinniert - für deutsche Exporteure eine Horrorvision. "Uns treibt eine besorgte Aufmerksamkeit um", sagte Kempf. Immerhin habe man aber mittlerweile die Erfahrung gemacht, dass die US-Regierung durchaus zum Dialog bereit sei. "Unsere Gesprächspartner reden nicht lange um den heißen Brei herum, sondern kommen schnell zur Sache. Das ist vielleicht gewöhnungsbedürftig, kann aber auch nützlich sein", so Kempf.

Tatsächlich verstößt Deutschland mit Handelsüberschüssen von acht, neun Prozent der Wirtschaftsleistung seit Jahren gegen die EU-Obergrenze von sechs Prozent. Anders als beim Haushaltsdefizit, wo sich deutsche Politiker gegenüber anderen Ländern gern schulmeisterlich geben, sorgt der eigene Regelverstoß in Berlin aber nur für Achselzucken. Kempf sprach sich nun für mehr Verständnis dafür aus, dass andere Staaten nicht so gelassen reagieren. "Wir Deutschen sollten generell die Welt weniger belehren als vielmehr versuchen, Brücken auch zu Sichtweisen zu bauen, die uns zunächst einmal fremd sind", sagte er.

Zugleich bot der BDI-Chef den USA konkrete Unterstützung beim Wiederaufbau einer modernen Industrie an. So könne der deutsche Maschinenbau etwa der US-Autobranche helfen, ihre Fabriken auf den neuesten Stand zu bringen, die Exporte zu erhöhen und das Handelsdefizit abzubauen. "Deutsche Unternehmen stellen schon heute rund 700 000 Arbeitsplätze in den Vereinigten Staaten. Warum sollen wir uns nicht zum Ziel setzen, diese Zahl durch den Ausbau bestehender Werke und neue Investitionen bis 2020 zu erhöhen?", sagte Kempf. Schließlich sei es ja Trumps wichtigstes Ziel, Jobs zu schaffen. "Natürlich kann man da stillgelegte Bergwerke wiedereröffnen. Aber es gibt Branchen und Stellen, die noch zukunftsträchtiger sind", so der Industriepräsident. Kooperationen mit deutschen Firmen seien beispielsweise auch in der Elektronik sowie in der Chemie- und der Pharmaindustrie denkbar.

Auch eine Angleichung von Importzöllen schloss Kempf nicht aus. "Die USA wissen genau, dass die EU auf die Einfuhr amerikanischer Pkw zehn Prozent Zoll erhebt, während sie selbst für Importe aus Europa nur 2,5 Prozent verlangen. Dem kann ich nicht widersprechen - und vielleicht kann das auch nicht so bleiben", erklärte er. Er habe Lighthizer aber auch gesagt: "Selbst wenn wir die Zollsätze vereinheitlichen, werden US-Firmen nicht mehr Autos in Europa verkaufen - jedenfalls so lange nicht, wie sie keine Modelle anbieten, die die Menschen auch wirklich haben wollen."

Positiv bewertete der BDI-Chef die Steuerreformpläne der US-Regierung, mit denen Trump die nominale Belastung der Firmen von 35 auf 15 Prozent senken will. Im Kongress ist eher von 25 Prozent die Rede - doch selbst eine solche Senkung hätte, so Kempf, auch Folgen für Deutschland: "Bereits heute liegt der durchschnittliche Steuersatz in der EU bei nur 21,5 Prozent", sagte er. "Wenn die Iren weiterhin nur 12,5 Prozent erheben, die Briten eine Größenordnung von 17 Prozent und weniger anpeilen, und die Amerikaner eine Steuerbelastung von maximal 25 Prozent ins Auge fassen, dann wird der Abstand zu Deutschland mit 30 Prozent und mehr zu groß."

Verständnis äußerte Kempf für den Vorstoß der Finanzminister Deutschlands, Italiens, Frankreichs und Spaniens, die Steuertricksereien großer Internetkonzerne nicht länger hinzunehmen. Zwar wirft die Idee einer Besteuerung nationaler Umsätze aus Sicht des BDI-Chefs viele rechtliche, politische und praktische Fragen auf. Die Kritik vieler Bürger am Verhalten der Firmen aber kann er nachvollziehen: "In der Tat ist es fraglich", so Kempf, "ob es sein kann, dass ein Milliardenunternehmen am Ende nur drei oder fünf Prozent Steuern auf seine Gewinne zahlt."

© SZ vom 15.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: