Baubranche:Was nicht passt

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Die Bauindustrie ist gut beschäftigt, auf vielen großen und kleinen Baustellen läuft der Betrieb weiter, als gäbe es keine Corona-Krise. Das könnte noch zu Problemen führen. (Foto: Christian Charisius/dpa)

Die Bauindustrie boomt, trotz Corona-Krise. Doch bei den Beschäftigten geht die Angst um - vor der Krankheit und vor dem Jobverlust.

Von Uwe Ritzer, München

Die deutsche Bauwirtschaft ist gerade besonders stolz auf sich und fühlt sich wichtiger denn je. Zumindest gilt das für ihre Spitzenverbände und deren Funktionäre. Man habe "die notwendigen Kapazitäten" und könne "trotz der momentanen Herausforderung die Bauvorhaben weiter vorantreiben", sagt Martin Steinbrecher, Präsident der Bundesvereinigung mittelständiger Bauunternehmen. Eine wichtige Stütze für das ganze Land sei die Branche, bestens "geeignet, zur Stabilisierung der Volkswirtschaft beizutragen", so Reinhard Quast, Präsident des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe. Weshalb anders als in etlichen vom Corona-Virus befallenen Regionen Europas "die Baustellen nicht geschlossen werden dürfen".

Die Botschaft hinter alledem soll heißen: Von diesem Virus lassen wir uns nicht von der Baustelle jagen, wir doch nicht!

Und in der Tat: Während ein Großteil der Nation sich zu Hause verkriecht, im Homeoffice oder überhaupt nicht mehr arbeitet, läuft auf vielen großen und kleinen Baustellen der Betrieb weiter, als gäbe es keine Corona-Krise. Immerhin wurden die mobilen Klohäuschen ausgetauscht, und neuerdings hängen überall Zettel mit Appellen an die Arbeiter, sie möchten doch Abstand halten, sich nicht in größeren Gruppen versammeln und alle Hygienevorschriften einhalten.

Das an vielen deutschen Grenzen geltende Einreiseverbot stoppt Baukolonnen nicht

Baufortschritt an sich ist politisch gewollt, schließlich wird nicht nur an Privathäuschen und Bürogebäuden gewerkelt, sondern auch an Straßen, Brücken, Einrichtungen für die Energieversorgung oder die Telekommunikation. Und damit an systemrelevanter Infrastruktur.

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Manch betroffene Bauleute allerdings plagt angesichts von so viel Eifer ein mulmiges Gefühl. Sie machen sich Sorgen um ihre Gesundheit. Denn viele Sicherheitsvorgaben wie der propagierte, anderthalb bis zwei Meter große Abstand zum Nebenmann seien auf einer Baustelle reine Theorie. "Das ist alles gut gemeint, aber in der Praxis unrealistisch und damit Blödsinn", sagt ein erfahrener Maurermeister, der, ebenso wie andere Betroffene, aus Angst vor Auftrags- oder Jobverlust nicht namentlich genannt werden möchte.

Ob Verputzer, Eisenbieger oder Trockenbauer - viele arbeiten Hand in Hand und in der Regel in Trupps von drei bis vier Leuten. "Du brauchst auf dem Bau zigmal am Tag einen oder mehrere Kollegen, die dir etwas halten, beim schweren Tragen helfen oder mit dir in eine Planskizze schauen." Auch wenn man sich noch so sehr bemühe - "du läufst dir in der Baustellen-Realität ständig nahe über den Weg."

Eine lückenlose Überwachung von Baustellen ist schwierig, Kontrollen sind eher selten

Nach Angaben eines häufig auf Großbaustellen im Rhein-Main-Gebiet tätigen Fachplaners spielt sich mancherorts werktäglich am frühen Morgen und am Abend unter Ausschluss der breiten Öffentlichkeit geradezu Absurdes ab: "Die Arbeiter kommen wie eh und je in Kleinbussen mit bis zu sieben oder neun Insassen gemeinsam auf die Baustelle", schildert der Mann. "Da fährt kaum einer wegen Corona allein mit dem Privatauto." Selbst wer während der Schicht auf Distanz zu seinen Kollegen achte, komme so bei An- und Abfahrt zwangsläufig mit ihnen in Berührung. Besonders betroffen seien ausländische Bautrupps, die dann auch nicht selten in Wohncontainern oder günstigen Unterkünften übernachten würden. "Drei- oder Vier-Bett-Zimmer und eine Gemeinschaftsküche sind da nach wie vor keine Seltenheit", erzählt der Mann vom Bau.

Vielen Betroffenen sei bei alledem nicht wohl; aus Angst vor Jobverlust würden sie aber nicht aufmucken. Erst recht nicht in einem Land, dessen Sprache viele von ihnen nicht beherrschen. Apropos ausländische Arbeiter: Das an vielen deutschen Grenzen geltende Einreiseverbot stoppt Baukolonnen nicht. Sie fallen unter die Kategorie Berufspendler und dürfen dementsprechend einreisen. Darunter sind Insidern zufolge auch Arbeitnehmer aus Risikogebieten Frankreichs oder Österreichs. Die an sich angeordnete Quarantäne findet in solchen Fällen nicht statt.

Ohne ausländische Bautrupps ginge bekanntlich vor allem auf größeren Baustellen schon lange nur mehr wenig. "Es gibt Fälle, wo Betriebe Leute aus dem Ausland einfliegen lassen, weil sie auf dem Landweg kaum oder nicht mehr über die Grenzen kämen, über die Flughäfen aber noch einreisen können", schildert ein Sprecher der Gewerkschaft IG Bau.

Den Vorwurf, dass auf deutschen Baustellen die zweifellos ausgefeilten Corona-Schutzvorschriften nicht funktionieren oder aber lasch gehandhabt würden, weist der Gewerkschafter zurück. Im Großen und Ganzen funktioniere alles, sagt er. In der vergangenen Woche verschickte die IG Bau vielfach Pressemitteilungen, auf denen mit stolzem Unterton die Zahl der Bauarbeiter in der jeweiligen Region genannt wurde. Motto: Seht her, wir trotzen Corona. Der Gewerkschaftssprecher argumentiert, schließlich sei es auch in anderen Berufen, zuvörderst etwa im Pflegebereich und in Krankenhäusern, schlechterdings unmöglich, immer anderthalb oder zwei Meter Distanz zu anderen Menschen einzuhalten. Ansonsten verlässt man sich auf die pure Existenz der Vorschriften. "Wir gehen davon aus, dass auf vielen Baustellen die Hygieneregeln eingehalten werden", sagte eine Sprecherin der Bauindustrie im Deutschlandfunk.

Zumal eine lückenlose Überwachung von Baustellen naturgemäß schwierig ist. Kontrollen, etwa durch Berufsgenossenschaft oder Zoll, seien seltener geworden, so die subjektive Beobachtung erfahrener Bauleute. Kein Wunder, auch solche Institutionen haben manchen Außendienstler ins Homeoffice geschickt.

So kommt es weiter vor, dass bei Abbruch- oder Renovierungsarbeiten in einem staubig-stickigen Raum mehrere Leute arbeiten, obwohl es nur noch eine Person sein soll. Das halten Experten aber nicht nur für unrealistisch, sondern auch für gefährlich. "Es sollten immer zwei Leute sein, damit bei Unfällen direkt geholfen werden kann." Auf Baustellen ab fünf Stockwerken ist auch der vorgeschriebene Fahrstuhl ein Problem, da er häufig von mehreren gleichzeitig benutzt wird.

Trotz alledem geht das Geschäft weiter. Die Baubranche erwirtschafte zehn Milliarden Euro monatlich, so ZDB-Präsident Quast. "Das stützt nicht nur den Binnenkonsum und die Volkswirtschaft, sondern vermittelt Zuversicht für unsere Beschäftigten und deren Familien." Die Rechnung geht also auf. Ökonomisch betrachtet.

© SZ vom 31.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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