Bargeld:Wo die Kasse nicht mehr klingelt

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In Japan ist Cash noch King. Japaner haben oft einen dicken Umschlag voller Banknoten dabei, denn viele kleine Läden akzeptieren kein Plastikgeld. (Foto: Yuya Shino/Reuters)

Der Umgang mit Bargeld unterscheidet sich in den verschiedenen Ländern stark - was ist der Grund dafür?

Von Felicitas Wilke, Silke Bigalke, Christoph Neidhart und Bernd Dörries

Notorisch bargeldklamme Menschen haben es nicht leicht in Deutschland - denn sie sind in der Minderheit. Bei vier von fünf Einkäufen begleichen die Verbraucher hierzulande ihre Rechnung mit Scheinen und Münzen. Wer kein Bargeld im Portemonnaie hat, muss damit rechnen, leer auszugehen. In anderen Ländern hingegen raschelt und klingelt es immer seltener in den Kassen. Wenn es um das Zahlungsmittel der Wahl geht, tun sich zwischen den Ländern enorme Unterschiede auf. Allein schon in Europa: In den Niederlanden wird nur noch gut jeder zweiter Einkauf bar bezahlt, in Schweden haben nur noch 15 Prozent der Menschen ihren letzten Einkauf mit Münzen oder Scheinen bezahlt. Die Österreicher hingegen sind wie die Deutschen Bargeldfans.

In Deutschland können sich selbst viele Jüngere kein Leben ohne Bargeld vorstellen

Aber weshalb ist das so? Tendenziell gilt: Ältere Menschen nutzen eher Bargeld als jüngere. Doch dass die Menschen in Deutschland im Durchschnitt ein paar Jahre älter als die Niederländer, Dänen oder Schweden sind, erklärt nur zum Teil, weshalb sie mehr am Bargeld hängen. Eine Studie der Postbank zeigte kürzlich, dass sich nur ein gutes Viertel der jüngeren Deutschen ein Leben ohne Münzen und Scheine vorstellen kann.

In anderen Ländern, in Schweden beispielsweise, seien es die Bürger gewohnt, viel von sich preiszugeben, sagt Dorothea Schäfer, Forschungsdirektorin Finanzmärkte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW). In Schweden reicht ein Anruf bei der Behörde um zu erfahren, wie viel an Steuern der Nachbar zahlt. "Die Deutschen sind hingegen ein eher misstrauisches Volk, was ihre Daten angeht", sagt Schäfer. Also vertrauen sie auf das Zahlungsmittel, das im Nachhinein nichts über sie verrät: das Bargeld.

Dass die Münzen und Scheine gerade in Schweden oder Norwegen zunehmend verschwinden, hängt aber auch damit zusammen, dass die Länder groß und dünn besiedelt sind. In Ländern, in denen die Distanzen zwischen den Städten und Dörfern weit sind, ist es umso aufwendiger, das Geld von der Zentralbank mit Werttransportern zu den Automaten zu bringen. "Die Banken haben kein Interesse daran, das Bargeld in diesen Ländern von A nach B zu transportieren", sagt Schäfer. Die Folge: In Ortschaften, in denen es keinen Zugang zu Bargeld gibt, zahlt man mit Karte.

In Deutschland gibt es mit fast 58 000 Geräten derzeit noch ein ziemlich dichtes Geldautomatennetz - aller Filialschließungen zum Trotz. Ob das daran liegt, dass die Deutschen so gerne bar zahlen oder ob sie oft bar zahlen, weil es so viele Geldautomaten gibt, ist nicht klar. Warum die Deutschen eine "offensichtliche Vorliebe" für das Bargeld haben und die Bürger anderer Ländern nicht, lasse sich nicht vollumfänglich erklären, heißt es in einer Studie der Bundesbank, die gemeinsam mit anderen Zentralbanken entstand. Die Forscher vermuten, dass auch "gesellschaftliche Konventionen und die Kultur des spezifischen Landes eine Rolle spielen."

Drei SZ-Korrespondenten haben sich auf Spurensuche begeben: in Schweden, wo fast alle zum Bezahlen die Karte oder das Smartphone zücken, in Japan, wo die Menschen ans Bargeld glauben und in Somalia, wo bald zum ersten Mal seit mehr als 25 Jahren wieder Scheine gedruckt werden sollen.

Felicitas Wilke

Die Pioniere

Aus Schweden verschwindet das Bargeld besonders schnell. In immer mehr Geschäften, an Ticketautomaten und Marktständen können die Schweden nur noch mit Karte oder Handy-App bezahlen. In einer Umfrage haben zwei Drittel von etwa 740 befragten Händlern kürzlich angegeben, bis 2030 wahrscheinlich kein Bargeld mehr zu akzeptieren. Bargeld verursacht den Banken Kosten. Also werden sie es nur so lange anbieten, wie die Menschen und Geschäfte es einfordern, sagt Niklas Arvidsson, Experte für die bargeldlose Gesellschaft an der Königlich Technischen Hochschule, dem Svenska Dagbladet. Viele fordern es in Schweden nicht mehr ein. Selbst Kirchenkollekten funktionieren über App, Obdachlose akzeptieren Kreditkarten für die Obdachlosenzeitung. Und die ersten Diebe haben sich von ihrem Opfer Geld "swishen" lassen, weil es kein Bargeld dabei hatte. Swish heißt eine App, die die größten Banken Schwedens gemeinsam entwickelt haben, um den Abschied vom Bargeld voranzutreiben. Mit ihr kann man Geld in Echtzeit von seinem auf das Konto eines anderen Nutzers überweisen. Mehr als jeder zweite Schwede nutzt das bereits. Swish ist eine der Antworten auf die Frage, warum gerade in Schweden alles so schnell geht.

Doch auch in Schweden gibt es Menschen, die das Bargeld vermissen. Vor allem jene, die kein Konto, keine Kreditkarte, kein Smartphone haben, werden mehr und mehr ausgeschlossen. Kleine Geschäfte haben Probleme, überhaupt Wechselgeld von den Banken zu bekommen oder ihre Einnahmen zur Bank zu bringen, besonders dann, wenn sie ihr Geschäft auf dem Land haben. Gerade dort zahlen mehr Menschen gerne noch bar, vor allem Ältere. Die Rentner-Organisation PRO hat vergangenes Jahr 140 000 Unterschriften gesammelt - für die Rettung des Bargelds.

Silke Bigalke

Die ehrlichen Finder

Drei Kreditkarten hat ein erwachsener Japaner durchschnittlich in der Tasche, aber er zahlt lieber bar. Fast immer. Oder mit einer Cash-Karte, die er mit Bargeld an einem Ticket-Automaten der Metro auflädt. Obwohl es überall Geldautomaten gibt, trägt das Ehepaar von nebenan, wenn es mit dem Auto in Urlaub fährt, einen dicken Umschlag voller 10 000-Yen-Banknoten für die ganzen zwei Wochen mit, etwa 3000 bis 4000 Euro. In Japan ist Cash noch King.

Erklärungen gibt es dafür viele: Japan ist sicher. In keinem anderen OECD-Land werden pro Kopf weniger Leute beraubt als hier. Sogar wer Bargeld verliert, kann damit rechnen, es wiederzubekommen. Viele Japaner haben auch deshalb ständig viel Cash in der Tasche, weil es Spesen kostet, es auf der Bank liegen zu haben. In Japan bewegen sich die Zinsen seit 20 Jahren um Null - da kann man sein Geld gleich unter der Matratze behalten.

Viele kleine Läden, traditionelle Restaurants und Herbergen akzeptieren keine Karten. Früher ging es auch ohne. Was sie nicht sagen: Wenn die Gäste bar bezahlen, können sie leichter "Steuern sparen". Wenn sie im Urlaub in einem solchen Lokal nicht genug Bares hätte, wäre ihr das furchtbar peinlich, sagt die Nachbarin. Also zahlt sie alles bar, das erleichtere ihr die Kontrolle.

Überhaupt ist Kontrolle in Japan wichtig. Die Löhne stagnieren schon lange. Gerade junge Menschen müssen aufpassen, dass sie im Budget bleiben, Schuldenmachen ist verpönt. Vor allem aber es ist den Japanern wichtig, dass ihr Alltag "benri" ist, zu deutsch "bequem". Die Supermarktketten haben deshalb begonnen, ihre Treuekarten, mit denen die Kunden Punkte sammeln, als Kredit- oder Debitkarten anzubieten. Seither zahlen plötzlich mehr Leute mit Karte, vor allem, wenn sie nicht unterschreiben oder einen Code eintippen müssen. Auch die Cash-Karten der Bahnen sind ein großer Erfolg. Es ist "benri", keine Fahrkarten am Automaten lösen zu müssen.

Christoph Neidhardt

Die Rückkehrer

Der Schein zeigt zwei Frauen bei der Arbeit, beim Körbe flechten und ist 1000 Shilling wert, so steht es auf der Banknote. Im Jahr 1996 wurde sie in Somalia gedruckt, einem Land, das vor einem Vierteljahrhundert zusammenbrach und dessen Zentralbank 1991 die letzte offizielle Banknote druckte. Seitdem haben Farbkopierer die Arbeit der Geldpresse übernommen, etwa 98 Prozent der im Umlauf befindlichen Währung sind gefälscht, schätzt der IMF.

Der Shilling erfreut sich daher nicht unbedingt großer Beliebtheit bei Händlern und Banken. Der Dollar ist zur halb-offiziellen Währung geworden. Fast 40 Prozent aller Somalier besitzen ein Mobilkonto, mit dem alle Geldgeschäfte auf dem Handy bargeldlos abgewickelt werden. So digital ist wohl kaum ein anderes Land auf der Welt.

Dennoch will Somalia einen Schritt zurück gehen, wie es auf den ersten Blick scheint, und plant, bald wieder Banknoten zu drucken. Bisher war das Land eine Wirtschaft ohne Staat. Jetzt soll auch der staatliche Rahmen dazu kommen. Banknoten sind auch ein Symbol dafür, dass es funktionierende Institutionen gibt.

Somalia war lange das Symbol für den gescheiterten Staat, 2015 wertete die UN das Land zumindest zu einem "fragilen Staat" auf, in diesem Jahr gab es Präsidentschaftswahlen, und dem Präsident ist nun daran gelegen, dass es auch wieder eine stabile Geldpolitik gibt und einen robusten Wechselkurs. "Das geht nur, wenn man in der Lage ist, eine eigene Währung heraus zu geben", sagt Mohamed Elhage, der lokale IMF-Repräsentant. Was scheint wie ein Schritt zurück, soll für Somalia ein großer nach vorne werden.

Bernd Dörries

© SZ vom 02.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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