Bahnstreik:Ein Fahrplan für den Stillstand

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Flip-Charts, Vorwürfe und Chaos-Theorien - wie sich die Vertreter von Bahn und Gewerkschaft vor dem Chemnitzer Arbeitsgericht begegnen.

Detlef Esslinger

Dass es lange dauern würde, ziemlich lange - dies zeichnet sich schon ab, bevor der Vorsitzende am Morgen um 10 Uhr die Sitzung überhaupt eröffnet. Die Vertreter der GDL, der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, bauen zwei Laptops und zwei Drucker auf ihrem Tisch auf, und ihr Anwalt hat eine Stellwand sowie Flip-Charts hereinschleppen lassen, weil er gleich zu Beginn einen Vortrag halten will, der mit der Sache allenfalls mittelbar zu tun hat.

Seiner ersten Flip-Chart hat er die schwer verständliche Überschrift gegeben: "Gerichtpflücken der Unternehmen des DB-Konzerns." Er wird diesen Vortrag mit dem Gesicht zur Presse halten, nicht zum Gericht.

Ulrich Fischer, der Frankfurter Arbeitsrechtler, der die GDL in diesem Tarifkonflikt vertritt, ist ein Anwalt, der es geradezu zur Kunst erhoben hat, sich das Wort auch bei eigentlich nicht vorhandenen Gelegenheiten zu schnappen, es der Gegenseite aber wann immer möglich streitig zu machen.

Die Kur muss ruhen

Vor vier Wochen, in der ersten Instanz vorm Arbeitsgericht, hat Fischer offene Gerichtsfenster als Revisionsgründe bezeichnet. Diesmal lässt er ausführlich seinen Mandanten, den GDL-Chef Manfred Schell, über die Wirksamkeit von Streiks reden - als aber daraufhin ein Vorstandsmitglied der Bahn-Güterzugfirma Railion zum Gegenvortrag ansetzen will, tritt Fischer einen solchen Streit über dessen Rederecht los, dass der Vorsitzende Richter nur die Hände hebt und sagt: "Wir unterbrechen jetzt mal für zehn Minuten."

Es geht also hoch her im Sächsischen Landesarbeitsgericht an diesem Freitag, es geht auch um viel: Vor vier Wochen erlaubte das Arbeitsgericht Chemnitz der GDL, im Nahverkehr zu streiken, verbot ihr dies aber für den Güter- und Fernverkehr - mit der Begründung, ihr Arbeitskampf wäre sonst unverhältnismäßig.

Dagegen haben sowohl die Gewerkschaft als auch der Bahn-Konzern Berufung eingelegt, und wie immer der Vorsitzende der 7. Kammer, Werner Leschnig, und seine beiden ehrenamtlichen Beisitzer nun entscheiden - sie werden damit die Waffen in diesem Arbeitskampf neu verteilen. Erlauben sie der GDL auch die Streiks im Güter- und Fernverkehr, geben sie ihr die Möglichkeit, die Bahn ernsthaft zu schädigen. Verbieten sie ihr auch die Streiks im Nahverkehr, ist die Gewerkschaft möglicherweise am Ende.

Von Beginn an ist dieser Tarifkonflikt vom juristischen Streit begleitet. Und mit dem Wort "Gerichtpflücken" meint Anwalt Fischer die Praxis der Bahn, in diesem Tarifkonflikt quer durchs Land Arbeitsgerichte anzurufen, in der Hoffnung, irgendwo auf eins zu stoßen, dass der GDL ihre Streiks verbietet.

So sind sich Gewerkschaft und Bahn bereits in Düsseldorf, Mainz, Hagen, Flensburg, Stuttgart, Frankfurt, Nürnberg und Chemnitz begegnet. Fischer sagt, beim Streikrecht gehe es um einen Grundpfeiler der Verfassung, und den könne man doch nicht antasten, indem man einfach mal an sieben, acht Stellen mit Probebohrungen anfange.

Nun ja, interessante Frage, aber an diesem Tag dient sie wohl eher dazu, die Bahn-Vertreter am Tisch gegenüber gleich zu Beginn in die Defensive zu bringen als die Richter von irgendetwas zu überzeugen - es wird hier schließlich nicht die Zuständigkeit des Gerichts verhandelt.

Die Bahn-Vertreter müssen in diesem Saal weitaus mehr Überzeugungsarbeit leisten als der Gewerkschaftsanwalt. GDL-Chef Schell, den es nicht mehr in seinem Kurort Radolfzell gehalten hat, sitzt entspannt an seinem Platz, während sich der Verhandlungsführer der Bahn in diesem Tarifkonflikt, Werner Bayreuther, und dessen Anwalt Thomas Ubber eine kritische Nachfrage des Vorsitzenden nach der anderen anhören müssen.

Wenn Ubber sagt, es könne doch nicht sein, dass ein Unternehmen mit zwei großen Gewerkschaften einen Tarifvertrag abschließe, und im Nachhinein komme eine kleine Gewerkschaft, fordere einen eigenen Tarifvertrag und wolle dafür streiken - dann wirft Richter Leschnig ein, wie unumstritten doch sei, dass es in einem Betrieb mehrere Tarifverträge geben könne.

Wenn Ubber daraufhin sagt, dann werde es aber sehr unübersichtlich, fragt Leschnig: "Ist das nicht übertrieben?" Später prophezeit Ubber ein Chaos für den Fall eines Streiks im Güterverkehr. Richter Leschnig entgegnet nur: "Ein Arbeitskampf bedeutet ja nicht notwendigerweise einen Exzess."

So geht das über viereinhalb Stunden hinweg. Mal rattert einer der beiden GDL-Drucker und spuckt irgendwelche Kuchendiagramme aus, mal weint in der letzten Reihe ein Säugling, dessen Eltern hier unbedingt zuschauen und ihrem Kind das Vergnügen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens nicht vorenthalten wollten. Als der Richter nach zwei Stunden die Mutter hinausbittet, zieht sie unter dem Ruf "Bitte keine Altersdiskriminierung!" ab durch die Mitte.

Zunächst ein Brief

GDL-Chef Schell gibt in einer Pause verhältnismäßig entspannte Interviews. Keine Rede von "Volksverblödung" wie jüngst zu einem Angebot der Bahn, auch keine neue Beleidigung von Bahn-Personalvorstand Margret Suckale, für die ihm vor ein paar Tagen noch das Prädikat "Außerirdische" eingefallen war.

Jetzt sagt Schell nur, es nutze doch nichts, wenn Frau Suckale "die arme Kundschaft beweint". Stattdessen solle sie lieber ein neues Angebot machen.

Und damit ist er in seiner Rhetorik an diesem Tag immer noch heftiger als in seiner Entschlossenheit, nun die Bahn wirklich lahm zu legen. Schell sagt, da ist es kurz nach zwölf Uhr mittags und bis zur Urteilsverkündung noch vier Stunden hin, es werde nun keineswegs sofort den großen Streik im Güterverkehr geben.

Zunächst werde er der Bahn einen Brief schreiben und ihr nochmals die Chance geben, ein Angebot zu machen. Anwalt Fischer hatte zuvor im Saal erklärt, die Zahl der Streiktage sei in diesem Arbeitskampf sehr viel geringer als die der Gerichtstermine. Von den Bahn-Vertretern kam dazu kein Widerspruch.

Wie sich das Verhältnis der Streik- zu den Gerichtstagen weiterentwickelt, wird sich zeigen. Erstmal darf nun auch im Güter- und Fernverkehr gestreikt werden. Aber das muss ja nicht das letzte Urteilswort gewesen sein.

© SZ vom 03.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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