Bahn: Bespitzelungsaffäre:Gewichtiges Material

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In der Bahn-Spitzelaffäre erwartet die Staatsanwaltschaft neue Akten - versehen mit zahlreichen Hinweisen auf Rechtsverstöße. Auch gegen Ex-Chef Mehdorn soll vorgegangen werden.

Hans Leyendecker

Wenn Politiker auf Zeit spielen wollen, gründen sie eine Kommission. Kritische Nachfrager werden dann mit dem Hinweis vertröstet, das Ergebnis des außerordentlich sachkundigen Gremiums müsse erst einmal abgewartet werden. Das kann dauern. Wenn Wirtschaftsführer unter Druck geraten, schalten sie gern die Strafverfolger ein, um unter Verweis auf laufende Verfahren lästige Fragen nicht mehr beantworten zu müssen.

Der frühere Bahn-Chef Hartmut Mehdorn: "Versachlichung der Debatte und eine Besinnung auf die Fakten" (Foto: Foto: AP)

Ende Januar überließ der vor ein paar Wochen zurückgetretene Bahn-Chef Hartmut Mehdorn der Berliner Staatsanwaltschaft Unterlagen zur Prüfung, um "eine Versachlichung der Debatte und eine Besinnung auf die Fakten" zu erreichen. Der "unverantwortlichen Skandalierung" werde "durch das Einschalten der Staatsanwaltschaft der Boden entzogen", sagte Mehdorn.

Jegliches Pathos war unangebracht. Strafverfolger der Berliner Behörde schauten in die von der Bahn überreichten Kartons und waren ziemlich verblüfft über das abgelieferte "unsortierte Konvolut von Unterlagen" (Staatsanwaltschaft Berlin).

Staatsanwaltschaft erwartet Bericht der Sonderermittler

Die Behörde ließ die Unterlagen prompt wieder abholen. Ein Ermittler gab der Bahn noch schriftlich den Hinweis, die Behörde wolle weder als "Sachverständiger noch als Überprüfungsinstanz der Konzernrevision" tätig werden. "Mangels Prüfung" könne keine Aussage über das "Vorliegen oder Nichtvorliegen etwaiger Straftaten" gemacht werden. Nachdem die Bahn dann doch nachgeliefert hatte, vergab die Staatsanwaltschaft immerhin ein Aktenzeichen.

Die Ermittler haben den Anfangsverdacht, dass zwei Bahn-Beschäftigte einen bislang nicht bekannten Amtsträger mit kleinen Summen von jeweils rund hundert Euro bestochen haben, um im Schienenersatzverkehr das günstigste Busunternehmen zu finden. Ein Bonsai-Verfahren.

Nun wartet die Behörde auf neues, diesmal gewichtiges, Material. Die Bahn-Führung um den neuen Chef Rüdiger Grube wird in den nächsten Tagen der Berliner Strafverfolgungsbehörde die umfangreichen Berichte der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG und der Sonderermittler Herta Däubler-Gmelin und Gerhart Baum zur Sichtung überreichen. Auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und der Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit erhalten die Berichte.

Vor allem die Kanzleien der früheren Bundesminister Däubler und Baum haben für Ermittler schon tüchtig vorgearbeitet. In ihrem 204 Seiten dicken Bericht finden sich auf vielen Seiten Hinweise auf Rechtsverstöße und zahlreiche Anhaltspunkte für strafrechtliche Ermittlungen.

Die Palette der möglicherweise strafbewehrten Verstöße reicht vom Datenschutzrecht über das Strafrecht bis hin zum Betriebsverfassungsrecht. Allerdings gibt sie nicht das ganze Ausmaß der Überwachungs- und Sammelwut im letzten großen Staatsunternehmen wieder, in dem Beschäftigte zum Objekt der Paranoia einiger Oberer geworden waren. Das Missverhältnis zwischen Taten und drohenden Strafen hängt damit zusammen, dass viele der Vorgänge mittlerweile verjährt sind. Dennoch wird die Staatsanwaltschaft vermutlich tüchtig Aktenzeichen vergeben.

"Die aktienrechtliche Verantwortlichkeit bleibt bestehen"

Ins Visier werden vor allem die Schnüffler der mittleren Ebene geraten, die Oberen scheinen raus zu sein. "Viele Verantwortliche der Deutschen Bahn AG gaben in Interviews und Gesprächen an, sie hätten weder Kenntnis von rechtlich vorwerfbaren Handlungen, noch von Gesetzesverstößen gehabt", schreiben Däubler und Baum. "Selbst wenn diese Einlassungen zu Zweifeln Anlass geben mögen", bleibe doch "die aktienrechtliche Verantwortlichkeit bestehen".

Die Sonderermittler empfahlen deshalb dem Aufsichtsrat, die "mögliche aktienrechtliche Verantwortlichkeit der Geschäftsführungsorgane unter anderem wegen Vernachlässigung der Pflicht zur Gewährleistung von Rechtskonformität" zu prüfen.

Gegen Mehdorn und seine Mitarbeiter solle zivilrechtlich vorgegangen werden. Bahn-Aufsichtsratschef Werner Müller hat zwar vorige Woche erklärt, es gebe keinen Anlass, das alte Management in Regress zu nehmen, aber mancher Aufsichtsrat hat dies so verstanden, dass derart der freiwillige Abgang von vier Bahn-Vorständen sowie einiger Bereichsleiter erleichtert werden sollte. Der Verzicht auf Schadenersatzforderungen muss nicht endgültig sein. Manchmal ergibt sich bei weiterer Prüfung der Unterlagen eine neue Lage.

© SZ vom 18.05.2009/dmo/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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