Heinrich Richter-Brohm hatte schon eine Bilderbuchkarriere hinter sich, ehe er 1957 Vorstandsvorsitzender der BMW AG wurde. Der 1904 geborene promovierte Prädikatsjurist war bereits im Juni 1934 Justitiar der Mannesmann AG in Düsseldorf geworden, und 1939 kam er als Manager der zu Mannesmann gehörenden Prager Eisen-Industriegesellschaft nach Prag. Von 1942 an wirkte er dort als Vorstandschef der Böhmisch-Mährischen Maschinenfabrik.
Nach dem Krieg avancierte Richter-Brohm 1947 zum Generaldirektor der Vereinigten Österreichischen Eisen- und Stahlwerke in Linz, von 1952 an war er Industrieberater der Bayerischen Staatsbank in München, 1955 wurde er Vorstandsvorsitzender der hessischen Pintsch-Bamag AG. Und anschließend, von 1957 bis 1960, führte er den Vorstand der BMW AG; er galt als Mann des Großaktionärs Deutsche Bank.
Titelgeschichte mit langer Gültigkeit
Im Auftrag der Bank sollte er den damals kränkelnden Autokonzern sanieren. Doch als es ihm auf einer Hauptversammlung von BMW im Dezember 1959 nicht gelang, eine Übernahme der Autofirma durch die Deutsche Bank durchzusetzen, trat er zurück. Der Spiegel widmete ihm in seiner Ausgabe vom 13. Januar 1960 die Titelstory "Industrie - BMW - Bayerns Gloria" und porträtierte ihn als tragisch gescheiterten Helden.
All diese Posten sind gut dokumentiert. Aber was ist mit der Zeit von vor 1934? Hatten etwa forschende Historiker oder investigative Journalisten niemals Belastendes über die Vergangenheit des Wirtschaftsmanagers im Nationalsozialismus gefunden? Oder gibt es irgendeinen Eintrag in einem einschlägigen Lexikon, in einem Werk zur Wirtschaftsgeschichte oder in den zahlreichen Abhandlungen zur Geschichte und Gegenwart von BMW, der die politische Integrität Richter-Brohms in Frage stellt? Bis April 2011 nicht. Bis dahin galt die Darstellung der genannten Spiegel-Titelstory.
Und dort war über Richter-Brohms Zeit im Nationalsozialismus lediglich zu lesen: "Richter-Brohm wurde in Berlin als junger Mann im Preußischen Innenministerium beschäftigt. Die Prager hofierten denn auch den hochgewachsenen und blonden Herrenmenschen Richter-Brohm, der allerdings nach einem kurzen Techtelmechtel mit der Partei schon 1933 sein Mitgliedsbuch zurückgegeben und in Berliner Kneipen gegen die Nazis Stimmung gemacht hatte, als Generaldirektor. Wenn beispielsweise im Kriege die Polizei an die Tür seiner hellerleuchteten Villa in Prag-Dewitz klopfte, verwies sie der Diener: 'Herr Generaldirektor wünscht keine Verdunkelung.'"
Im April 2011 aber begann der Wikipedia-Autor Zsasz mit einem Artikel für die Internet-Enzyklopädie über einen Gestapo-Dezernatsleiter mit dem Namen Dr. Richter-Brohm. Fragmentarische Daten zu diesem hatte der Autor in der 1983 unter dem Buchtitel "Politische Polizei zwischen Demokratie und Diktatur" veröffentlichten Habilitationsschrift des Schweizer Historikers Christoph Graf gefunden. Danach wird dieser "Gerichtsassessor Dr. Richter-Brohm" auf dem Geschäftsverteilungsplan des Geheimen Staatspolizeiamtes vom 19. Juni 1933 als Leiter des Dezernats VI ("Agrarpolitik, Sozialpolitik, Funksachen; Politische Bewegungen Hannover, Sachsen, Schleswig-Holstein, Nationale Minderheiten, Saargebiet, Memelland, Danzig und Österreich") geführt. Eine simple Recherche bei google books befördert Thema und Autor der einzig unter dem Namen Richter-Brohm verfassten juristischen Dissertation zutage. Das Thema ist "Die Verschwiegenheitspflicht des Beamten", Inaugural-Dissertation, 1927; und der Autor heißt "Wilhelm Heinrich Friedrich Max Richter Brohm (dit Heinz)".
Es gibt keinen Zweifel: Der Gestapo-Jurist "Dr. Richter-Brohm" ist identisch mit dem späteren Vorstandsvorsitzenden von BMW. Da es neben Gestapo-Chef Rudolf Diels und dessen Stellvertreter Hans Volk nur insgesamt zehn Dezernatsleiter gab, gehörte Richter-Brohm im Juni 1933 zu dem einen Dutzend ranghöchster Gestapo-Funktionäre. Zu seinen Aufgaben gehörte offensichtlich auch die Beschlagnahmung und Enteignung des Frankfurter Instituts für Sozialforschung. An das von Max Horkheimer geleitete Institut ging mit Datum vom 14. Juli 1933 folgender, in Rolf Wiggershaus' Studie "Die Frankfurter Schule" nachzulesender und mit "Dr. Richter-Brohm" gezeichneter Brief der Gestapo: "Auf Grund der §§ 1 und 3 des Gesetzes über die Einziehung kommunistischen Vermögens vom 26. Mai 1933 - RGBl.I S. 293 - wird das in Frankfurt a. M. befindliche Institut für Sozialforschung beschlagnahmt und zugunsten des Freistaats Preussen eingezogen, da das genannte Institut staatsfeindliche Bestrebungen gefördert hat. Im Auftrage gez. Dr. Richter-Brohm."
Weder Wiggershaus noch Graf noch ein anderer Journalist, Historiker, NS- oder Gestapoforscher kam auf den Gedanken, dass der BMW-Vorstandsvorsitzende von 1957 bis 1960, Heinrich Richter Brohm, 1933 als Gestapo-Dezernatsleiter die Enteignung und Auflösung des Horkheimer-Institutes verfügt hatte.
Der Historiker Wigbert Benz, geboren 1954, lebt in Karlsruhe. Er hat zahlreiche Beiträge zu Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg verfasst, unter anderem die Bücher "Paul Carell. Ribbentrops Pressechef Paul Karl Schmidt vor und nach 1945" sowie "Der Hungerplan im ,Unternehmen Barbarossa' 1941".