Autobranche:Flucht in die Größe

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Eine Mitarbeiterin bei der Produktion eines Alfa Romeo. Das 1910 gegründete Unternehmen gehört heute zu Fiat Chrysler. (Foto: Matthew Lloyd/Bloomberg)

Jahrelang suchte Fiat Chrysler vergeblich einen Fusionspartner. Jetzt ist Renault dazu bereit. Der neue Konzern könnte VW angreifen.

Von Thomas Fromm und Leo Klimm, Paris/München

Auf die Größe kommt es an. Bei Fiat Chrysler hat man diesen Glaubenssatz der Autoindustrie besonders verinnerlicht. Einmal schrieb der damalige Konzernchef Sergio Marchionne, der zwecks Anwendung des Größen-Mantras einen Fusionspartner suchte, eine E-Mail an Mary Barra, die Chefin des US-Konkurrenten General Motors, und schlug einen Zusammenschluss vor. Die Avancen blieben unerwidert, Barra hatte keine Lust auf Fusion. Vielleicht fand sie auch die etwas legere Art und Weise, wie sich ihr Marchionne näherte, nicht so charmant.

Er konnte sich ja auch ziemlich jeden als Fusionspartner vorstellen: VW, Toyota, Ford etwa. 2009 antichambrierte er im Berliner Kanzleramt, weil er bei Opel einsteigen wollte. Marchionne ist inzwischen verstorben. Aber das Dauerwerben, um das italienisch-amerikanische Konglomerat Fiat Chrysler durch eine weitere Megafusion zu vergrößern, hat der Konzern nicht aufgegeben. Jetzt sieht es so aus, als habe es Erfolg: Der Verwaltungsrat des französischen Herstellers Renault teilte am Montag mit, er studiere "mit Interesse" den Vorschlag einer Verschmelzung. Es soll eine Fusion unter Gleichen sein - in der jede Seite 50 Prozent der Anteile hält. Wird sie Wirklichkeit, wäre das eine posthume Bestätigung Marchionnes. Es entstünde ein Konzern, der VW und Toyota die Vorherrschaft in der Branche streitig macht. Und das, obwohl Fiat Chrysler derzeit zu kämpfen hat.

Auf die Größe kommt es an. Marchionnes Traum passt heute in die Zeit: Weil die Verkaufszahlen in den großen Automärkten zurückgehen, zugleich aber Milliardeninvestitionen nötig sind, um schärfere Emissionsauflagen zu erfüllen und um E-Autos oder autonome Fahrzeuge massentauglich zu machen, lotet die ganze Branche Kooperationen aus. Das verspricht - auch ohne Kapitalverflechtung - Einsparungen.

VW und Ford verkündeten Anfang des Jahres zum Beispiel eine Allianz, um gemeinsam Nutzfahrzeuge zu entwickeln. Auch bei Elektromobilität, selbstfahrenden Autos und Mobilitätsdiensten könnten die Konzerne zusammenarbeiten. Selbst die Erzrivalen Daimler und BMW tun sich zusammen und vereinen ihre Carsharing-Dienste, um den Angriff künftiger Wettbewerber wie Google abzuwehren.

Doch kein anderer Kooperationsplan in der Autoindustrie geht so weit wie die Fusion, die Marchionnes Nachfolger an der Fiat-Chrysler-Spitze, Mike Manley, nun Renault vorschlägt. Auf dem Papier sieht die Sache gut aus: Legt man die Absatzzahlen von 2018 zugrunde, würden die zwei Unternehmen kombiniert mit 8,7 Millionen verkauften Autos schlagartig zum drittgrößten Autohersteller der Welt. Rechnet man die japanischen Konzerne Nissan und Mitsubishi hinzu, mit denen Renault bereits über Kapitalbeteiligungen verflochten ist, verkauft das neue Bündnis sogar 16 Millionen Fahrzeuge pro Jahr. Das ist weit mehr als Volkswagen und Toyota, die auf etwa 10,5 Millionen kommen.

Allein der Größeneffekt, der den Herstellern sogenannte Synergien etwa beim Einkauf und in der Produktion ermöglicht, brächte jährlich fünf Milliarden Euro an Einsparungen, rechnet Manley vor. Er wirbt auch damit, wie "breit und komplementär" das künftige Angebot wäre - vom Massenmarkt, den die Stammmarken Fiat, Renault und Chrysler bedienen, über Billigautos wie Dacia, Geländewagen von Jeep bis hin zu Luxusboliden von Maserati. Ein weiterer Vorteil: Fiat Chrysler könnte Renault Zugang zum US-Markt verschaffen, während die Franzosen dem neuen Partner Russland öffnen könnten, wo sie Lada besitzen. Am meisten aber dürfte Manley die Kooperation mit dem Renault-Schwesterkonzern Nissan interessieren, um im Zukunftsmarkt Asien zu wachsen.

An der Börse kommt die italienisch-amerikanisch-französische Fusionsfantasie bestens an. Die Fiat-Chrysler-Aktie gewann am Montag in der Spitze ein Fünftel an Wert hinzu. Renault-Papiere gewannen bis zu 16,7 Prozent. Dabei zeigt die Praxis: Die Verschmelzung zweier gleichberechtigter Industriekonzerne erzeugt so viel Komplexität, dass sie leicht schief geht. Das weiß man eigentlich beim Chrysler-Konzern, dessen Verbindung mit Daimler einst schmachvoll scheiterte. Und bei Renault weiß man es auch: Gerade erst erteilte Nissan den Franzosen eine Absage. Sollte Fiat Chrysler auch die Renault-Partner Nissan und Mitsubishi in das neue Bündnis drängen wollen, entstünde maximale Komplexität im neuen Konzern.

Und dann ist da die Frage nach den Jobs. Das Geschäft des europäischen Firmenteils von Fiat Chrysler läuft so schlecht, dass viele Fabriken in Italien zu weniger als 50 Prozent ausgelastet sind. Durch eine Fusion mit dem direkten Konkurrenten Renault, der auf die gleichen Mittelschicht-Kunden zielt und ebenfalls stark in Europa verankert ist, dürfte sich das Problem mit den Überkapazitäten noch verschärfen. Italienische wie französische Gewerkschaften verlangen daher bereits Jobgarantieren. Manley beschwichtigt. Es drohten "keine Fabrikschließungen infolge des Zusammenschlusses", schreibt der Fiat-Chrysler-Chef in einem Brief an seine Mitarbeiter.

Das Renault-Management ist dank besserer Rendite in einer komfortableren Position. Ihm kommt das Angebot womöglich gerade recht: Die neue Bündnisalternative setzt Nissan unter Druck, einer französisch-japanischen Fusion zuzustimmen, ehe sich Renault umorientiert. Dabei wollten die Japaner ihren Haupteigner aus Paris nach dem spektakulären Finanzskandal um den früheren Renault-Nissan-Chef Carlos Ghosn auf Distanz halten. Kommt es aber zur Fusion von Fiat Chrysler mit Renault, stehen die Franzosen dank ihrer Kapitalverflechtungen in jedem Fall im Mittelpunkt der Dreiecksbeziehung. Obwohl Renault kleiner ist als der italienisch-amerikanische Partner und auch als Nissan.

Kein Wunder, dass Frankreichs Regierung erklärt, sie sei den Fusionsplänen "ziemlich zugeneigt". Ihre Meinung ist entscheidend. Frankreich ist mit 15 Prozent der Anteile Hauptaktionär von Renault. Nach dem angepeilten Zusammenschluss hätte allerdings die Fiat-Gründerfamilie Agnelli mehr Gewicht, da sie heute 29 Prozent am größeren Fiat-Chrysler-Konzern hält. Mit dem Agnelli-Erben John Elkann soll der Clan aus Turin Medienberichten zufolge zudem den Verwaltungsratschef des künftigen Unternehmens stellen.

Sergio Marchionne würde es gefallen.

© SZ vom 28.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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