Ausstiegspläne:Kohleschutzkonferenz

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Verlierer: Die EU-Mittel für Regionen, die sich wegen des Klimaschutzes besonders stark anpassen müssen, wurden gekürzt: Braunkohlekraftwerk im polnischen Belchatow. (Foto: Czarek Sokolowski/dpa)

Nie war ein Klimagipfel den Problemen so nahe wie in Kattowitz. Während die Staaten über den Ausstieg diskutieren, planen Kohlefirmen neue Minen.

Von Michael Bauchmüller, Nowy Bytom/Kattowitz

Um zwei ist Schichtwechsel. Die Bergarbeiter strömen aus dem Werkstor, vorbei an den Solidarność-Fahnen. Viele haben noch den Helm auf, manchen baumelt die Grubenlampe vor der Brust. So sieht es aus in Nowy Bytom, keine 15 Kilometer von Kattowitz.

Während die neue Schicht in die Mine einfährt; während nebenan die Kokerei aus der Steinkohle Koks macht; während wenige Kilometer weiter das Steinkohlekraftwerk Kattowitz mit neuer Kohle beschickt wird; während also das alles passiert, verhandeln in Kattowitz Diplomaten aus aller Welt darüber, wie und wann das alles aufhört. Nie zuvor war ein Klimagipfel den Ursachen der Erderwärmung so nah wie hier - und auch den Schwierigkeiten, diese Ursachen aus der Welt zu schaffen.

Der Strukturwandel ist mit Händen zu greifen, auch in Oberschlesien. Nicht weit vom Werkstor in Nowy Bytom sind schon Bagger angerückt, sie reißen alte Teile der Mine nieder. Eine Stahlhütte am anderen Ende der Stadt ist auf dem Weg zum Industriedenkmal. Wo jetzt die Konferenz tagt, war mal eine Mine. Doch noch leben mehr als 70 000 Menschen von der schlesischen Kohle, sie bewohnen Plattenbauten und alte Bergarbeitersiedlungen. Vor der Kirche in Nowy Bytom steht die heilige Barbara, Schutzpatronin der Bergleute. "Wenn der Prozess der Dekarbonisierung so schnell abläuft wie sich die EU das vorstellt, werden wir das nicht überleben", sagt Dominik Kolorz, Chef der Solidarność in Schlesien, "weder ökonomisch noch sozial."

Wenn die Minen ihre Produktivität steigern wollen, müssen sie Mitarbeiter entlassen

Nichts deutet auf ein Ende der Kohle in Polen. 20 Kilometer von Kattowitz entfernt, in Imielin, will der staatliche Energiekonzern PGG 400 Millionen Euro in eine neue Mine investieren - just während der Klimakonferenz machte Firmenchef Tomasz Rogala das publik. In fünf Jahren soll sie mit der Förderung beginnen, weitere 60 Millionen Tonnen Kohle lagern unter der Erde. "Wir müssen den Klimawandel stoppen", sagte Rogala der Nachrichtenagentur Reuters. "Aber Europa ist nicht alleine verantwortlich." Die meiste Kohle werde schließlich anderswo genutzt.

Das sieht die polnische Regierung ähnlich. Am Dienstag muss Polens Umweltminister Henryk Kowalczyk in einer Art Beichtstuhl-Verfahren erklären, wie Polen den Kampf gegen den Klimawandel in den nächsten Jahren aufnehmen will. Doch die Kohle spielt für Kowalczyk nur dann eine Rolle, wenn sie in Häusern verbrannt wird. "In den Siebzigern hat keiner auf die Heizkosten von Häusern geachtet", sagt er. "Denn es gab ja ausreichend Kohle." 25 Milliarden Euro sollen nun über zehn Jahre in die Sanierung von Einfamilienhäusern fließen. So würden Kohleverbrauch und Kosten sinken, etwa durch neue Fenster. "Das ist unser realistischer Beitrag, den die Bürger akzeptieren", sagt Kowalczyk. "Denn jeder Beitrag muss akzeptiert werden". Von Kohle in Kraftwerken spricht er nicht.

Derzeit sorgt sie für fast 80 Prozent des Stroms. Dieser Anteil soll über die nächsten Jahre schrumpfen - zugunsten der Atomkraft. Von 2033 an sollen bis zu sechs Reaktoren ans Netz gehen. Bis 2040, so sieht es ein Energieplan der Regierung vor, soll der Anteil der Kohle auf 60 Prozent fallen. Ein Abschied aus der Steinkohle, wie ihn Deutschland dieser Tage vollzieht, ist nicht in Sicht. Ebenso wenig ein schrittweises Ende des Kohlestroms, wie ihn eine Regierungskommission derzeit ausheckt.

Stattdessen setzt Warschau bei der Klimakonferenz ganz auf das Konzept eines "gerechten Strukturwandels". Eine eigene Erklärung hat Polen dafür entworfen, mehrere Dutzend Staaten haben sie schon unterzeichnet. Die Schaffung guter Jobs, so heißt es darin, sei "entscheidend", um den Rückhalt für Klimapolitik zu steigern. Es sind jene Job-Alternativen, nach denen in Deutschland auch die Kohlekommission fieberhaft sucht. Parallel will Polen eine Erklärung zum Wald verabschieden. Schließlich soll auch Aufforstung dazu beitragen, die Klimabilanz aufzubessern. Was die Kohle an Treibhausgasen in die Atmosphäre schickt, sollen neue Wälder wiedergutmachen. Zumindest teilweise.

Umweltschützern reicht das alles nicht. Passend zur Klimakonferenz hat die Umweltstiftung WWF einen Plan vorgelegt, wie das schrumpfende Schlesien wieder prosperieren könnte: mit besseren Universitäten, mehr Dienstleistungen, einer moderneren Industrie. Ohnehin gerate die Kohle unter Druck. "Nur die effizientesten Minen werden sich halten können", urteilt ein Gutachten für den WWF. "Aber auch das nur, wenn sie ihre Produktivität steigern und Mitarbeiter entlassen." Klingt wie von einer Unternehmensberatung.

Die Minenarbeiter in der Solidarność wollen von alldem nichts hören. Zusammen mit US-Klimaskeptikern verfasste die Gewerkschaft dieser Tage einen Aufruf. "Es gibt keinen wissenschaftlichen Konsens über die Hauptgründe und Folgen des Klimawandels", steht darin. Es soll schließlich alles weitergehen, wie immer.

© SZ vom 12.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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