Augsteins Welt:Sanftes Denken

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An dieser Stelle schreiben WZB-Präsidentin Jutta Allmendinger, Franziska Augstein und Nikolaus Piper jeden Freitag im Wechsel. (Foto: N/A)

Am Beginn der Finanzkrise stand der Bankrott der Lehman Brothers. Auf der Suche nach Lösungen wurde die "Lehman Sisters-Theorie" geboren.

Von Franziska Augstein

Die Weiber: Aus männlicher Sicht sind sie immer Lust und Last gewesen. Es galt, sie im Zaum zu halten. Seit dem 18. Jahrhundert waren die Geschlechterrollen in Europa fix: Den Frauenzimmern, sofern sie nicht im Stall und auf dem Feld gebraucht wurden, oblag es, die Zimmer des Heimes zu zieren. Was Geld und Gut anging, waren alle Frauen wie Unmündige zu behandeln. Intellektuelle Bildung war für das Weib nicht vorgesehen, hatte es doch mit anmutiger Selbstdarstellung und Gebären genug zu tun. Mit Bezug auf letzteres, schrieb damals der nüchtern denkende Schotte John Millar, Mädchen müssten eine ordentliche Erziehung erhalten: Wie sonst sollten sie ihre Söhne etwas lehren können?

Millar setzte sich damit über die bis nach dem Zweiten Weltkrieg gängige Vorstellung hinweg, derzufolge Frauen, immer voll der Mutterbrunst, zum rationalen Denken nicht geschaffen seien. Zu seiner Zeit erweckte Millars Vorschlag in Männerzirkeln distanzierte Heiterkeit.

Erheiternd ist heute der Umstand, dass Millar eigentlich egalitärer dachte als jetzige Zeitgenossen. Sehr viele Männer und übrigens auch viele Frauen halten Frauen für besondere Wesen, die ganz anders dächten als Männer - sanfter, empathischer, umsichtiger - und daher auch bei der Überwindung wirtschaftlicher Probleme dringend eingespannt werden müssten.

Anlässlich der Finanzkrise, die 2007 in den USA begann und 2008 viele Staaten erfasste, bekam diese Idee Luft unter den Flügeln. Weil den Männern zur Krise wenig einfiel, verfielen sie auf die Frauen: Wenn Frauen mehr das Sagen hätten, dann hätte die Finanzkrise sich vermeiden lassen. Denn: Frauen, mit weniger Testosteron ausgestattet, seien ihrer Natur nach vorsichtiger und scheuten Risiken. Darauf baut die "Lehman Sisters"-Theorie. Die Bank Lehman Brothers ging 2008 bankrott, weil sie sich verspekuliert hatte und die US-Regierung sie als nicht systemrelevant erachtete. Dieser Bankrott betraf Menschen in aller Welt, denen von ihren Hausbanken Lehman-Zertifikate angedreht worden waren, obgleich die Kunden gesagt hatten, dass sie ihr Geld sicher anlegen wollten (das führte zu vielen Gerichtsprozessen). Meinungsstarke Männer formulierten abschließend die "Lehman Sisters"-Theorie: Wären Frauen an der Spitze von Lehmann Brothers gewesen, hätte die Bank also "Lehman-Schwestern" geheißen, hätte es den Bankrott nicht gegeben.

Die im australischen Melbourne lehrende Wissenschaftshistorikerin Cordelia Fine weist in der Financial Times darauf hin, dass Lehman Brothers' Finanzchefin, Erin Callan, bekannt dafür war, kein Risiko zu scheuen. Die brauchte nicht viel Testosteron, um halsbrecherische Entscheidungen mitzutragen, die zum Bankrott von Lehman Brothers führten. Cordelia Fines' Artikel verdanken wir auch den Hinweis auf eine Studie, die prüfen wollte, ob der Testosteronspiegel auf einen Hang zu waghalsigen Entscheidungen schließen lässt. Und siehe, die Ergebnisse entsprachen den Erwartungen: Testosteron mache Männern Mut. (Daraus ließe sich im Umkehrschluss ableiten, dass Frauen, die naturgemäß wenig Testosteron im Körper haben, bei risikoreichen Operationen schnell überfordert seien.)

Amüsanterweise aber war bei den Testpersonen der Testosteronspiegel gar nicht gemessen worden: Aus dem Alter der untersuchten Männer hatte man ohne viel Federlesen auf den Pegel des Hormons geschlossen. So ergab die Studie lediglich, dass ältere Männer weniger risikofreudig sind als junge. Hat das nun mit Testosteron zu tun, oder liegt es vielleicht einfach daran, dass Lebenserfahrung umsichtig macht?

Viele Männer übersehen, wie sehr Frauen sich anpassen müssen, um zu bestehen

Auf diesem Sektor wird emsig weitergeforscht. Bevor die Ergebnisse beim breiten Publikum ankommen, sind wir auf Bordmittel angewiesen. Mit zwei führenden Münchner Juristen, einer Richterin und einem hohen Staatsanwalt, haben wir eine Studie angestellt. Weil sie auf zwei Personen beschränkt blieb, ist ihre empirische Aussagekraft, nun ja, begrenzt, dies zumal da der Mann nichts sagte und bloß zustimmend nickte. Versuchsweise können wir das Ergebnis der Studie trotzdem für plausibel halten.

Beide Befragte sind der Auffassung, dass es Unterschiede gebe zwischen Männern und Frauen. Die Richterin erzählte aus dem Schatz ihrer langjährigen Erfahrung: Frauen seien "ängstlicher, vorsichtiger und raffinierter". Die meisten Betrügerinnen vor Gericht hätten immer noch etwas in petto, sei es ein neues Argument, sei es "ein Haus in der Schweiz", auf das die deutsche Justiz keinen Zugriff hat.

Im Hinblick auf Statussymbole sieht die Richterin hingegen keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen: Der Mann kaufe sich in der Midlife-Krise einen Sportwagen, die Frau investiere irrwitzig viel Geld in Schuhe und Kleider. Daraus darf man vielleicht schließen, dass ihre Mentalität Frauen nicht daran hindert, am Niedergang einer Bank gehörig mitzuwirken. Wie kommt das, wenn wir einmal annehmen, dass Frauen doch eigentlich vorsichtiger sind als Männer? In vielen Spielfilmen kann man sehen: Männer schlagen sich auch, um bei Frauen Eindruck zu schinden. Umgekehrt und in der wirklichen Welt müssen Frauen sich an den Umgang mit männlichen Kollegen gewöhnen; und sie müssen gelegentlich einen besoffenen Grapscher vor sich selbst retten.

Wer immer behauptet, als "Lehman Sisters" hätte die Bank Lehman Brothers überleben können, macht sich keine Vorstellung davon, wie sehr Frauen sich an die überkommene Männerwelt anpassen müssen, um zu bestehen. Das soziale Klima in den meisten Kanzleien und Unternehmen wird nach wie vor davon bestimmt, wie Männer es eingerichtet haben.

© SZ vom 16.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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