Augsteins Welt:Machtvolles Kraut

Lesezeit: 3 min

An dieser Stelle schreibt künftig jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. (Foto: Bernd Schifferdecker)

Seit Langem plant Hamburg, die Elbe zu vertiefen. Das hätte unabsehbare Folgen für die Umwelt. Selbst Anrainergemeinden, zum ökonomischen Denken verpflichtet, sind dagegen.

Von Franziska Augstein

Das Wasser sucht sich seinen Weg. Die Menschen suchen den ihren. Beides passt oft nicht zusammen, weshalb der Mensch gern zurückgreift auf Goethes Vers "Und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt". Mit Macht hat sich gezeigt, was sich ergab daraus, dass viele Flüsse vor Jahrzehnten kanalisiert wurden, dass sie - derzeit ist ja viel von sexueller Übergriffigkeit die Rede - vergewaltigt wurden: Die Flüsse wollten es nicht leiden, sie überschwemmten die Ufer, traten den Menschen buchstäblich auf die Füße und sinnlich in den Magen. Die Menschen meinen, daraus gelernt zu haben.

Die Elbe soll ausgebaggert und verbreitert werden, damit Riesen-Containerschiffe den Hamburger Hafen anlaufen können. Warum das ökonomisch unabdingbar sein soll, leuchtet nicht ein. Davon handelte diese Kolumne vor zwei Wochen. Jetzt geht es um die Sicht der Naturschützer. Die Organisationen BUND und NABU im Verein sind der hamburgischen Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation bisher mächtig auf die Nerven gegangen und werden das möglicherweise im kommenden Jahr wieder tun.

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat im Februar entschieden: In drei Punkten müsse die Hansestadt der Klage der Naturschützer auf Nachbesserung folgen. Da gibt es zum Ersten, mit Joachim Ringelnatz gesagt, "ein armes Kraut, einen schwachen Halm mit Augen, Herz und Ohren" namens Schierlingswasserfenchel. Der wird zwar - anders als Ringelnatz' Sauerampfer - bis zu zwei Meter hoch, ist aber insofern schwach, als er weltweit nur in der Elbgegend vorkommt. Wo der Schierlingswasserfenchel wachsen kann, kreucht und fleucht noch vieles andere herum, was sonst nicht wüsste, wohin. Also musste Hamburg - laut EU-Gesetzgebung - Flächen anmelden, die bisher noch nicht für Naturschutzprojekte ausgewiesen waren, wohin der Schierlingswasserfenchel quasi umgetopft werden kann. Die Hafenbehörde fand ein Gebiet auf der Elbinsel Billwerder. Manfred Braasch vom BUND hält das Areal für zu klein und die künstliche Einrichtung des Ganzen für falsch.

Die zweite Auflage, die das Bundesverwaltungsgericht der Stadt Hamburg im Rahmen der EU-Gesetzgebung verpasste: bessere Einhaltung der FFH-Richtlinien. FFH steht für "Fauna-Flora-Habitat". Das betrifft auch die menschlichen Anrainer der Elbe, so zum Beispiel die Obstbauern im Alten Land, die nicht haben wollen, dass salzig-dreckiges Wasser ihren Bäumen die Füße leckt.

Der dritte Auftrag des Bundesverwaltungsgerichts: Die Hansestadt müsse sicherstellen, dass zwischen "Kilometer 670 bis 680" die Versalzung der Elbe nicht überhandnehme. Das ist seltsam. Jeder Normalbürger würde doch denken: Wenn ein Fluss versalzen ist, dann trägt er das falsche Wasser weithin. Die Juristerei aber ist ein ganz eigenes Gebiet, welches in diesem Fall halt zehn Kilometer lang ist.

Falls die geplante Ausbaggerung der Elbe vonstattengeht, dann dringt zu viel Meerwasser in den Fluss. Um es aufzuhalten, sollen gen Mündung der Elbe "Unterwasserablagerungsstätten" eingerichtet werden, aufgeschüttet teils aus dem Schlick, der bei der Ausbaggerung der Elbe anfällt. Hier nun denkt der Normalbürger: Schlick wird doch weggeschwemmt, wenn das Meerwasser drängt - oder nicht? In der Tat würden - zumindest laut den Experten des BUND - diese Dämpfungen die Auswirkungen der Strömung kaum mehr als drei Jahre lang aufhalten.

Hamburgs Schlick-Deponien heißen Francop und Feldhofe. Sie wachsen und sind giftig

In den 90er-Jahren, bevor die damalige Elbvertiefung anstand, sagt Braasch, "wurden im Hamburger Hafen etwa zwei bis drei Millionen Kubikmeter jährlich gebaggert. Seit zwei Jahren liegen wir bei elf Millionen Kubikmetern". Wohin kommt das Zeug? Teils wird es meerwärts in der Elbe versenkt, von wo es umgehend gen Hamburg zurücktreibt. Teils wird es in der Nordsee zwischen Helgoland und Scharhörn verklappt. Wenn aber das Sediment gar zu toxisch ist, so Braasch, "dann muss es im Hafen entsorgt werden. Es wird eingedampft, verfestigt und dann auf Schlick-Deponien geschickt". Die zwei, die es schon gibt, heißen Francop und Feldhofe. Die Leute in deren Umgebung mögen nicht neben wachsenden, giftigen Hügeln wohnen. Zum Rodeln werden sie nämlich nie einladen.

Der für all das zuständige Rolf Bösinger von der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation meint, die Hansestadt habe allen Auflagen des Leipziger Gerichts entsprochen. Das Gericht, sagte er im Gespräch, sei eigentlich auf Hamburgs Seite gewesen: Es habe halt notgedrungen die EU-Auflagen anwenden müssen. Manfred Braasch vom BUND hingegen empfand das Urteil als Sieg für den Umweltschutz. Bösinger sagte: "BUND und NABU sind raus." Braasch sieht das ganz anders: Seitdem das Gericht massive Änderungen an der Planung erwirkte, dürfen BUND und NABU erneut Klage einreichen. Ob sie das tun werden, hängt von den Gutachten ab, mit denen Hamburg sein weiteres Vorgehen demnächst untermauern wird.

Diese Diskrepanz der Sichtweisen bedarf einer Erklärung. Sie könnte daran liegen, dass Hamburg Gutachten anführt, die mehr als zehn Jahre alt sind, so etwa die Einschätzung der Bundesanstalt für Wasserbau von 2006. Seither aber, so Braasch, gibt es viel leistungsstärkere Computer, die Strömungsverhältnisse, Sedimentablagerung und anderes besser berechnen können. Außerdem habe Hamburg sich auf veraltete Prognosen gestützt, die den Containerumschlag in der Zukunft viel zu hoch ansetzten.

Die niedersächsischen Gemeinden Cuxhaven und Otterndorf sehen das ähnlich. Sie haben gegen die Elbvertiefung geklagt. Die Causa wird am 16. November vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhandelt.

© SZ vom 10.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: