Augsteins Welt:Krise des Kapitalismus

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An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Franziska Augstein und Nikolaus Piper im Wechsel. (Foto: N/A)

Dieses System ist in der Tat nicht zu schlagen. Und genau das wird die Menschheit dem Untergang nahe bringen.

Von Franziska Augstein

Manche fragen, warum in deutschen Medien über die Flutkatastrophe in Bangladesch, die etliche Millionen Menschen um ihr Zuhause und viele um ihr Leben gebracht hat, weniger berichtet wird als über die Verwüstungen, die der Hurrikan Irma in Florida angerichtet hat und die, so schlimm sie auch sind, weniger Menschen betroffen haben als die Fluten in Bangladesch.

Eine simple Antwort ist, um den ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton zu zitieren: "It's the economy, stupid." Irma hat bisher Versicherungsschäden von zwanzig bis vierzig Milliarden Dollar verursacht. Was hingegen ist der Wert von Hunderttausenden Hütten, gebaut aus Palmzweigen und Bambus, in Bangladesch? Wie die wieder aufgebaut werden, interessiert Hilfsorganisationen, nicht aber das System und daher auch nicht die Medien. Das System heißt Kapitalismus. Und das sieht schrillen Zeiten entgegen.

Der fantasievolle Ökonom Joseph Schumpeter sprach von der "schöpferischen Zerstörung" des Kapitalismus: Geht eine Produktionsweise vor die Hunde, wird sie durch eine andere, an neue Umstände besser angepasste ersetzt. Die Idee war gut, viel sprach dafür. Aber sie gilt nicht mehr, seitdem ganz klar geworden ist, dass das gesamte kapitalistische System auf dem Raubbau an der Natur beruht. Mittlerweile sind vierzig Prozent aller Ackerflächen auf dem Globus übernutzt, der Boden wird ausgelaugt. Der Regenwald am Amazonas, die "grüne Lunge der Welt", wird abgeholzt.

Der 2016 verstorbene Chef der Faber-Bleistift-Werke, Anton-Wolfgang Graf von Faber-Castell, erzählte einmal stolz, dass er für seine Bleistifte in Südamerika auf abervielen Hektar Holz "nachhaltig" habe anpflanzen lassen. In der Broschüre, die er dann werbend übersandte, war ein Bild zu sehen: Monokultur, so weit das Auge reicht. Das ist gut gemeinter angewandter Kapitalismus, wenn auch schlecht für alle Tierarten, die zum Leben anderes brauchen als Bäume, die schon beim Wachsen quasi Bleistifte sind.

Wenn die Tiere nicht leben können, kann auch irgendwann der Mensch nicht mehr leben.

Hier eine nicht ganz unrealistische Vorstellung von der späteren Zukunft: Am Ende, wenn die Menschen einander im Kampf um Wasser und trächtigen Boden niedergemacht haben, werden übrig bleiben: Kellerasseln und ein paar Menschen, die dann immer noch im kapitalistischen Sinn miteinander umgehen.

Der Kapitalismus schließt die Vorstellung von Kooperation nicht ein. Es geht um Angebot und Nachfrage, es geht um Profit. Indes, ohne internationale Kooperation im Hinblick auf die Umwelt werden die Menschen ihre Lebensgrundlage, die Erde, kaputt machen.

Was die nahe Zukunft angeht: Haben die Finanzmärkte aus der Finanzkrise gelernt? Die Antwort ist leider: nein, bestenfalls sehr wenig. Zwar haben die USA - wie es mit guten Gründen heißt: besser als die Europäische Union - den Banken auferlegt, auf ihre Finanzen achtzugeben und nicht in der Gegend herumzuspekulieren. Hedgefonds machen aber jetzt schon wieder, was zur Krise von 2007 führte. Das Zaubermittel heißt "Bespoke Tranches". Das Wort "bespoke" ist eher bekannt aus einem anderen Gewerbe: Da geht es darum, dem Herrn, sei er zu dick oder zu klein, einen guten Anzug auf den Leib zu schneidern. Die Bespoke Tranches sind das krasse Gegenteil: Da geht es um Kreditausfall-Swaps. Es werden lauter Kredite gebündelt, und die werden verkauft, dies in der Form, dass man darauf wetten kann, ob auf die Kredite bezahlt wird oder nicht. Das alles wird nicht reguliert. Von einem passenden Anzug kann keine Rede sein.

Die Automatisierung wird dem Kapitalismus noch schwer zu schaffen machen

Laut der Financial Times belief sich die Summe der "Credit Default Swaps" in der ersten Hälfte dieses Jahres auf zwanzig bis dreißig Milliarden Dollar. Man könnte sagen: Zehn Milliarden mehr oder weniger möchten sich doch feststellen lassen; aber das Geschäft ist offenbar so undurchsichtig, dass selbst darauf spezialisierte Fachleute nicht wissen, was sich da abspielt.

Das Problem des heutigen Kapitalismus besteht darin, dass es keine Beziehung mehr gibt zwischen Geld und Wertschöpfung. Früher stand die Menge des vorhandenen Geldes noch in irgendeinem Bezug zu den Waren, die erzeugt, und den Werten, die geschaffen waren. Heute kreisen täglich, so schreibt die Journalistin Ulrike Herrmann in ihrem luziden Buch "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung", vier Billionen Dollar um den Globus, während die gesamte echte Wirtschaftsleistung der Welt pro Jahr nur vergleichsweise jämmerliche 73 Billionen Dollar betrage. Das heißt: Die Finanzmärkte haben längst übernommen. Was Stahlwerke, Autohersteller, Supermarktketten, ja selbst Apple und Facebook an Geld verdienen, ist nichts im Vergleich zu dem, was an Derivaten und anderen Finanzprodukten unterwegs ist. Das ist geschaffenes Geld, das nur virtuell existiert, aber dennoch die Weltwirtschaft lähmen kann, weil dieses Geld, oft von Computern gesteuert, in dieselbe Richtung fließt und damit wirtschaftliche Blasen erzeugt und andernorts zu unbegründeter Kapitalnot führt.

Was dem kapitalistischen System auch noch zu schaffen machen wird, ist die Automatisierung. Manche Leute meinen ja, die derzeit vielgehörte These, wonach uns die Arbeit ausgeht, stimme nicht. Nun ja. Derzeit wird davon geredet, dass automatisierte Lastkraftwagen Lkw-Fahrer überflüssig machen werden. Turnschuhe sollen per 3-D-Drucker angefertigt werden. Demnächst will eine chinesische Firma 1, 2 Millionen T-Shirts produzieren lassen, pro Jahr, automatisiert, in den USA. Die Näherinnen in Bangladesch, die eines Tages nicht einmal mehr ihren miesen Lohn bekommen, werden sich bedanken.

© SZ vom 15.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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