Augsteins Welt :Der Plastik-Drache

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An dieser Stelle schreiben WZB-Präsidentin Jutta Allmendinger, Franziska Augstein und Nikolaus Piper jeden Freitag im Wechsel. (Foto: N/A)

Taiwan ist ein Industrieland. In Sachen Umweltverschmutzung ist die Insel ein Vorreiter. Die Regierung weiß das. Eine Firma engagiert sich.

Von Franziska Augstein

Eine kleine Unterhaltung in einem Berliner Supermarkt: Die Kundin legt Nektarinen, Kiwis und anderes auf das Förderband der Kasse. Als sie beim Kassierer angekommen ist, sagt sie: "Wie schön, dass man bei Ihnen Obst ohne Plastikverpackung kaufen kann." Der junge Kassierer kennt das schon. "Früher war das egal", sagt er, "jetzt reden alle davon."

In der Tat. Plastik ist - buchstäblich - in aller Munde, seit bekannt wurde, dass Mikroplastikteilchen ins Trinkwasser geraten. In wenigen Jahrzehnten, so wird prognostiziert, gebe es in den Ozeanen mehr Plastiktüten und Plastikflaschen als Fische. Die Deutschen sind aufgeschreckt. Die Einwohner der Insel Taiwan sind es auch.

Taiwan hat rasant seine Industrialisierung betrieben. Das ging auf Kosten der Umwelt. Auf der Westseite der Insel, wo die großen Städte liegen, ist die Luft oft miserabel. Auch weil es keine Bodenschätze auf Taiwan gibt, hat man sich auf die industrielle Produktion spezialisiert - was der Umwelt nicht guttut. Die Insel, so sagen taiwanische Experten, stehe international an zehnter Stelle der Luftverpester. Dreimal demonstrierten Taiwaner im November: Sie forderten bessere Maßnahmen zur Luftreinhaltung.

Die Inselrepublik ist ein sehr modernes Land; darauf hält man sich etwas zugute. Entsprechend groß ist die Menge an Elektroschrott, die auf Taiwan anfällt. Elektroschrott enthält wertvolle Metalle wie Gold und Platin. Auf Taiwan gibt es seit Jahren Firmen, die aus dem Schrott das Wertvolle herauslösen und das übrig gebliebene Plastik verbrennen oder einschmelzen und in die Landschaft werfen. Einige Flüsse Taiwans, so sagte der Umweltminister Lee Ying-yuan anlässlich eines Besuches, seien seit dreißig Jahren verseucht.

Auftritt: Die Firma Super Dragon Technology im südlich von Taiwans Hauptstadt Taipeh gelegenen Taoyuan. Das ist eine Firma, die es versteht, mit Elektroschrott umweltverträglich umzugehen. Die Fabrik und das Bürohaus liegen direkt am Meer. Über das Dach windet sich ein mit Solarpaneelen besetzter Drachenschwanz: in Kurven, so wie Chinesen sich das wichtige Symbol seit Jahrhunderten vorstellen.

Die Firma Super Dragon wurde gegründet von Yao Hsun Wu. Als junger Mann arbeitete er im Juweliergeschäft. Dann versuchte er sich im Restaurationsgewerbe und Getränkehandel, was fehlschlug. Während er bankrottierte, wurde ihm klar, dass Elektroschrott Gold enthält. In den 1980er-Jahren begann er ausrangierte Computer und dergleichen zu sammeln. Was er im Juweliergeschäft gelernt hatte, zahlte sich nun aus: Er extrahierte das Gold. Das machte ihn in den 90er-Jahren zu einem reichen Mann. Lange ging das gut, der Goldpreis stand hoch. Deshalb entschloss Wu sich, eine Fabrik zu bauen, die mit den Plastikresten umweltverträglich umgeht: Super Dragon.

Das Unternehmen extrahiert Gold und Platin aus Elektroschrott und macht aus dem übrig gebliebenen Plastik sehr ansehnliche Dinge. In der Firmenzentrale gibt es einen Fahrstuhl, dessen Fußboden auch auf den zweiten Blick aussieht, als handle es sich um Parkett. Aber nein: Der Fußboden ist aus Plastik. Super Dragon kann Skulpturen herstellen, die aussehen wie aus Porzellan. Besser noch: Die Firma kann Wohnelemente aus Plastik produzieren, für Menschen, die bei Erdbeben oder einer Sturmflut ihr Zuhause verloren haben. Die sind sicher teurer als Zelte, aber haltbarer. Und wenn man sie nicht mehr braucht, kann man sie zu einer Küche umbauen. Und wem die Küche nicht mehr gefällt, der könnte sie der Firma zur Neuaufbereitung zurückgeben.

Der Firmengründer Yao Hsun Wu ist Taoist. Das Eingangstor zum Bürogebäude flankieren ein grüner Drache und ein weißer Tiger - die beiden in der Philosophie von Yin und Yang für das Gleichgewicht der Kräfte notwendigen Geschöpfe. Wu denkt langfristig und hat die Führung seines Unternehmens 2017 an seinen Sohn abgegeben.

Ken Wu ist aus demselben Holz geschnitzt wie sein Vater, nur dass er die Arbeit der Firma im Hinblick auf Umweltfragen perfektioniert hat, während sein Vater auch auf Kosteneffizienz achtete. Deshalb rauft der Chefmanager von Super Dragon sich die Haare: Seitdem die Fabrik 2016 ganz fertiggestellt wurde, sagt Cosmas Lu, habe man zwei Jahre in Folge Millionenverluste gemacht.

Windräder sind angesagt, Elektroschrott ist kein Thema

Das liegt nicht an der Firma, sondern an der Wirklichkeit. Taiwans Führung macht sich Sorgen um die Luftverschmutzung und um erneuerbare Energien. Man will viele Windräder bauen. Was mit dem Dreck auf dem Boden passiert, ist weniger relevant. Um zu überleben, braucht Super Dragon Edelmetalle. Deshalb möchte die Firma Elektronikschrott aus dem Ausland importieren. In Japan ist das erlaubt, unter der gegenwärtigen Regierung Taiwans ist es verboten. Und von den ausrangierten Computern und Tastaturen aus Taiwan bekommt die Firma auch nicht viel ab, weil es billiger ist, die bei Unternehmern zu entsorgen, die sich eine goldene Nase verdienen, indem sie den übrig gebliebenen Kunststoff auf Kosten der Umwelt irgendwie fortschaffen.

Super Dragon hat eine Dependance im großen China. Aber auch die erhält wenig wertvollen Elektronikschrott. Altgediente Funktionäre der chinesischen Kommunistischen Partei, sagt Cosmas Lu, seien schneller am Ball.

Super Dragons Bürogebäude in Taoyuan ist sehr groß. Die meisten Räume stehen leer: Vergeblich hatte man gehofft, Unternehmen, die Elektroschrott produzieren, würden sich dort ansiedeln. Die Eingangshalle ist im Rohzustand. Der hoch angesehene japanische Architekt Kengo Kuma hat das Design entworfen. Aber für die Realisierung seines Plans fehlt das Geld.

© SZ vom 08.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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