Augsteins Welt:Amerikas Mut 

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An dieser Stelle schreiben WZB-Präsidentin Jutta Allmendinger, Franziska Augstein und Nikolaus Piper jeden Freitag im Wechsel. (Foto: N/A)

2007 begann es in den USA: Viele Schuldner konnten ihre Immobilienkredite nicht mehr bezahlen. Die USA haben die Krise besser gemeistert als die EU.

Von Franziska Augstein

Es gibt Hollywoodfilme, in denen etwas Schlimmes hereinbricht, als Sturzregen oder als Kugelhagel. Joe und Jenny suchen Zuflucht in einem Keller. Wenn sie später ins Freie treten, steht in den Gesichtern geschrieben: Oijoijoi, ist gerade noch mal gut gegangen. So ähnlich erging es den Wirtschaftsbeobachtern Jenny und Joe oder wie immer sie heißen, nachdem die Finanzkrise abgeebbt war.

Derzeit fragt alle Welt, ob dergleichen wieder geschehen könne. Die Antwort ist natürlich: Ja. Die fundamentale Imbalance, ohne die es die Finanzkrise nicht gegeben hätte, besteht immer noch: Es gibt viel mehr Geld auf der Welt als materielle Werte. Auf den Finanzmärkten wird gefuhrwerkt wie mit Spielgeld. Der Casino-Kapitalismus floriert. Zwar muss es mehr Geld geben als Waren, anderenfalls diese Waren nicht hergestellt werden könnten, weil die Produzenten keine Kredite bekämen. Aber es gibt zu viel Spielgeld. Die sogenannten Finanzprodukte machen es möglich: Nicht existierendes Geld, also Kredit, wird als Derivat weiterverkauft; auf das Steigen oder Sinken seines Werts wird gewettet. Für den Fall, dass ein solches Derivat im Wert fällt, gibt es Ausfallversicherungen: Auch auf deren Wert wird gewettet. In diesen Tagen hat der Schneefall in Süddeutschland den öffentlichen Verkehr vielerorts lahmgelegt.

Auf den Finanzmärkten muss man sich daran gewöhnen, dass der Verkehr quasi aus Versehen behindert wird. Angeblich soll man aus der Geschichte lernen können. Deshalb lohnt sich ein Blick zurück: Was war diese Krise überhaupt? Manche nennen sie eine Finanzkrise, andere eine Bankenkrise, und was Europa angeht, wird von einer Eurokrise geredet. Was war da passiert? Dieser Frage widmet sich der exzellente Wirtschaftshistoriker Adam Tooze in seinem Buch "Crashed. Wie zehn Jahre Finanzkrise die Welt verändert haben" (2018). Der ehemalige Finanzminister Wolfgang Schäuble hat in das Buch vielleicht hineingeschaut. Falls er das tat, wird er sich geärgert haben. Er kommt nämlich nicht gut weg.

Es war seinerzeit verwunderlich, das mitzuerleben: Aus der von den USA ausgelösten globalen Finanzkrise wurde in Europa 2009 eine "Eurokrise". Tooze, ein Brite, der heute in New York lehrt, schreibt: "Die Neudefinition der Krise in Europa als interne Krise der Eurozone, mit den öffentlichen Schulden im Zentrum, war an sich bereits ein politischer Akt." Damit habe eine Art "transatlantischer Kulturkampf" in Fragen der Wirtschaftspolitik begonnen.

Die Zentralbank der USA (kurz: Fed) hat angesichts der amerikanischen Krise sehr schnell erkannt, dass die ganze Welt betroffen sein werde. Es gab keine Dollars mehr. Aber viele Länder und viele Konzerne arbeiten mit Dollars. 2008 hat die Fed, so Tooze, "in letzter Minute" eine spektakuläre Maßnahme ergriffen: Sie stellte allen halbwegs seriösen Banken weltweit Dollars zur Verfügung. Sie pumpte eine Unmenge von Milliarden Dollar in das europäische Bankenwesen. Das war nötig, weil einige europäische Großbanken vorwitzig und ohne Rücklagen Riesenkredite in Dollar aufgenommen hatten. Ohne diese Aktion der Federal Reserve Bank der Vereinigten Staaten hätte es einen weltweiten Crash gegeben.

In Europa reagierte man auf die Krise deutlich zaghafter. Und als dann 2009 die griechischen Finanzprobleme klar wurden, dachte man nationalstaatlich: Mein Land, meine Wähler. Griechenland wurde zum Sündenbock erkoren. Es hieß, wenn Griechenland sich nicht mehr finanzieren könne, dann würden andere südliche Länder Europas auf den Finanzmärkten abschmieren, und dann sei es mit der Europäischen Union vorbei. Dieser Auffassung war der Europa-Freund Wolfgang Schäuble. Tooze ist nicht der erste, dem aufgefallen ist, dass Griechenlands Wirtschaft nur ein bis 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU ausmacht. Außerdem war es nur in Griechenland der Staat, der sich zu sehr verschuldet hatte. In anderen Ländern waren es private Kreditnehmer und verantwortungslose Banken, die zuviel Geld geliehen und zu wenig Eigenkapital hatten.

In den USA wurden Banken schnell gerettet (mit Ausnahme von Lehman Brothers, die man hops gehen ließ), dies nach der Devise: Erst die Wall Street, für die Bürger werde sich das auszahlen. Das hat recht gut funktioniert. In Europa hingegen entspann sich ein gehässiger Moral-Disput, befeuert von Wirtschafts-Politikern wie Wolfgang Schäuble und diversen deutschen Zeitungen. Vor allem südliche Länder der Eurozone - Griechenland, Spanien, Portugal, Italien - wurden bezichtigt, mit Geld nicht umgehen zu können. Sie wurden betrachtet wie schlecht erzogene Kinder. Es war die Zeit der großen Heuchelei: Mit dem Geld von EU-Steuerzahlern wurden Gläubiger von Banken ausgezahlt. Offiziell hieß es aber, das sei nötig, weil es leider Länder gebe, die nicht wirtschaften können. Damit ging die verbale Verschiebung von einer Banken- zu einer Eurokrise einher. Kein Wunder ist es, dass viele europäische Bürger sich verladen fühlen und den altbekannten Parteien nicht mehr vertrauen.

Erst sehr spät kamen Europas Regierende auf die Idee, dass die Maßnahmen der Fed wohl nicht ganz falsch gewesen waren. Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank - er hatte in London für das amerikanische Bankhaus Goldman Sachs gearbeitet - setzte etwas Ähnliches um, wie es die Fed Jahre zuvor gemacht hatte: Er ließ alles an Anleihen aufkaufen, was zu haben war. Damit war Europas Wirtschaft gerettet. In den 90er Jahren machte der US-Präsident Bill Clinton sich berühmt mit dem Satz "It's the economy, stupid". Adam Tooze dreht das um: Es ist alles eine Frage der Politik, Doofling.

© SZ vom 11.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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