Augsteins Welt:Alter Pullover

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An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Franziska Augstein und Nikolaus Piper im Wechsel. (Foto: N/A)

Die Europäische Union ist ausgeleiert. Ein EU-Finanzminister täte der Gemeinschaft gut. Doch müssten dafür alle Mitgliedsstaaten zustimmen, was derzeit ausgeschlossen ist. Europa muss überarbeitet werden.

Von Franziska Augstein

Vor vierzehn Tagen hatte der EU-Kommissar Pierre Moscovici in dieser Kolumne das letzte Wort. Und weil es so verheißungsvoll war, soll es jetzt wiederholt werden: Moscovici plädiert für die Schaffung eines EU-Finanzministers. Das hätte den Riesenvorzug, sagte er auf dem Berliner "History Forum" der Körber-Stiftung am 17. Mai, dass dann die Fachausschüsse und andere Sondergremien nicht mehr so viel hinter verschlossenen Türen verabreden könnten; es gäbe mehr Transparenz, mehr Debatten und damit mehr Demokratie.

Wolfgang Schäuble ist nun allerdings nicht der Einzige, der die Erfindung dieses Postens für unmöglich hält: Dafür müssten die EU-Verträge geändert werden, was das Bundesverfassungsgericht mehr als argwöhnisch betrachten würde; und die Wahrscheinlichkeit, dass alle 28 oder 27 Mitgliedsstaaten mitmachen, ist äußerst gering.

Im Übrigen hat Moscovici ein winziges Detail unerwähnt gelassen: Als EU-Kommissar für Wirtschaft und Finanzen wäre er der Erste, dem die fiskalpolitische Erstarkung der EU nützte. Wenn auch das - für die meisten EU-Parlamentarier ohnedies unverständliche - Fachsimpeln der Experten in souveräner Abgeschiedenheit nicht ersetzt werden wird durch das öffentliche, klare Reden eines politisch wachen EU-Finanzministers, wäre doch immerhin denkbar, dem Kommissar für Wirtschaft und Finanzen mehr Kompetenzen zuzuschanzen. Und das wäre derzeit: Pierre Moscovici.

Allzu große Hast bei der Verfolgung seines Vorschlags muss man Moscovici freilich nicht unterstellen: Er weiß nämlich, dass er weitere Ärmelwappen nicht bekommen wird, solange Wolfgang Schäuble etwas zu sagen hat. Der hatte zwar 2013 angeregt, die Machtfülle des Wirtschaftskommissars auszuweiten. Aber seitdem Moskovici zum Kommissar ernannt wurde, hat diese Idee für Schäuble bis auf Weiteres an Charme verloren. Gern hätte er einem Wirtschaftskommissar die Kraft übertragen, den Mitgliedsstaaten überhöhte Defizite zu verbieten. Mit der Person Moskovicis würde damit aber aus seiner Sicht der Bock zum Gärtner gemacht. Jener ist nämlich längst schon dafür, den Griechen endlich Schulden zu erlassen; und überhöhte Defizite hält der französische Sozialist im Zweifelsfall für gerechtfertigt. So gesehen, hat der Internationale Währungsfonds sich ins sozialistische Lager geschlagen: Er sieht das nämlich auch so.

Das eigentliche Problem liegt denn auch nicht in Moscovicis etwaigen Ambitionen, sondern in der allen Institutionen eigenen Schwerkraft: Einmal geschaffen, sind sie damit beschäftigt, sich zu erhalten und zu wachsen. Das gilt für globale Hilfsorganisationen genauso wie für die Institutionen der EU. Der EU gibt das nicht eben Auftrieb. Vollends gelähmt wird mutige Tatkraft indes durch die Vielzahl der Mitglieder, weshalb das "Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten" prominent auf dem Tapet ist.

Etliche vernünftige Dinge könnte die EU beschließen - fragt sich nur, wie und wann

Vertreter von Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien haben sich schon dafür ausgesprochen. Umgekehrt wünschen Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei, einige Kompetenzen der EU mögen wieder an die Nationalstaaten zurückgegeben werden. Folgt man dem Politikwissenschaftler Martin Höpner vom Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, wäre Letzteres freilich sinnlos, weil es nichts bringen würde. Die entscheidenden Fragen betreffen wettbewerbspolitische Befugnisse sowie die Grundfreiheiten wie zum Beispiel die freie Wahl des Arbeitsplatzes innerhalb der EU. Die Grundfreiheiten, sagt Höpner, seien nun aber von der Kommission und dem Europäischen Gerichtshof zu Generalbefugnissen umgeformt worden, die vom EuGH verteidigt werden. Was das bedeutet, lässt sich am besten bildlich beschreiben: Die EU ist ein gemusterter Pullover - entfernt man ein Motiv, löst sich das ganze, mühsam zusammengestrickte Gebilde auf. Ein Austritt aus der EU, siehe Brexit, ist schon diffizil genug. So, wie sie jetzt ist, in der EU bleiben wollen, bloß ein bisschen weniger, ist so gut wie unmöglich.

EU-satte Länder werden sich schwerlich nationale Alleinbestimmungen zurückholen können. Sie können allenfalls Initiativen zur verstärkten Zusammenarbeit eine Absage erteilen. Alle, die mehr Integration anstreben, haben da einiges in petto: Man könnte, analog zum Weltwährungsfonds, einen Europäischen Währungsfonds gründen. Man könnte eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik aufbauen. Man müsste ein europäisches Insolvenzrecht einführen. Eines Tages könnte es sogar einen EU-Finanzminister geben (vorausgesetzt, die Franzosen sind fiskalpolitisch weniger luschig-großzügig und die Deutschen weniger engstirnig auf die "schwarze Null" bedacht). Das Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten ist derzeit mehr im Gespräch denn je.

Petra Erler, die viele Jahre das Büro des EU-Kommissars Günter Verheugen geführt hat und am europäischen Ball blieb, indem sie heute eine Beratungsfirma leitet, hält davon "gar nichts": Die Verträge gäben das nicht her; außerdem würde es den Gemeinschaftssinn in der EU völlig untergraben. Erler mag wohl recht haben. Aber sollte die EU nicht trotzdem versuchen, sich zu reformieren, und das, was sie an Gutem hat, ausbauen? Darauf setzt denn auch Deutschlands Ex-Außenminister Joschka Fischer: Nur mit unterschiedlichen Tempi könne die EU reüssieren. Was sagen die Slowaken dazu? Fischer: Die seien einverstanden. Und was ist mit den Polen? Fischer dazu: "Die wissen das." Wissen ist nicht dasselbe wie zustimmen. Wie ein Europa verschiedener Geschwindigkeiten aufs Gleis gesetzt werden soll, ohne die "Langsamen" zu düpieren: Das weiß niemand.

© SZ vom 07.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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