Einst war Augsburg die Stadt des Geldes. Das war, als die Fugger mit ihrem Vermögen das Schicksal des Deutschen Reiches bestimmten. Noch immer kündet die Fuggerei, älteste Sozialsiedlung der Welt, von dieser goldenen Zeit und der Großherzigkeit Jakob Fuggers.
Heute, knapp 500 Jahre später, macht die Stadt am Lech wieder von sich reden, und wieder geht es um viel Geld, um Immobilien und ums Soziale. Ein neuartiger Wirtschaftszweig hat sich in Augsburg etabliert, er nennt sich selbst "Real-Estate-Industry". Das klingt wie Wohnen aus der Fabrik, und diese Fabrik hat einen Namen: Patrizia.
Die Patrizia ist eine Aktiengesellschaft und hat ihr Fließband vis-à-vis vom Augsburger Stadttheater aufgebaut, in der Fuggerstraße. Dort fabriziert Wolfgang Egger, Gründer und Vorstandsvorsitzender des Unternehmens, Wohnungen en masse, ohne dass er sie bauen müsste. Er kauft und verkauft sie, macht aus Mietsblöcken Eigentumswohnanlagen und bietet die Wohnungen zuerst den Bewohnern an. Das nennt sich Mieterprivatisierung, auch wenn private Kapitalanleger kaufen.
So rasant ist der Konzern mit den acht Töchtern gewachsen, dass er inzwischen "auf Augenhöhe" (Egger) mit internationalen Finanzinvestoren agiert, den Heuschrecken - ohne eine sein zu wollen, um Gottes willen! Patrizia hat sich dem Glück der Mieter verschrieben, will sie in sorgenfreie Immobilienbesitzer verwandeln. So beschreibt Egger sein Tun: "Mein Ansatz ist kein kapitalistischer."
Allein, so mancher seiner Mieter fühlt sich nicht als Hans im Glück, gerade in München, wo Patrizia so viel kauft und verkauft wie nirgendwo sonst in der Republik. Knapp 6000 Wohnungen gehören ihr derzeit an der Isar, unzählige sind schon weiterverkauft, die jüngsten und spektakulärsten Deals waren die Immobilien der Meag und die Siedlung Ludwigsfeld.
Unternehmen "Lebensraum-Provider"
Dort, auf dem Gelände eines ehemaligen KZ-Außenlagers, wehrten sich die Mieter lange vehement gegen die Augsburger, sehen den Charakter der Siedlung mit Bewohnern aus gut 20 Nationen gefährdet. Und auch in die ehemaligen Meag-Wohnungen ist Unruhe, ja Angst eingezogen. "Die Leute fliehen", heißt es, fliehen vor der Patrizia.
Wolfgang Egger, 42 Jahre alt, sitzt hinter einer durchsichtigen roten Tür im fünften Stock seines Bürohauses, Conference Area nennt sich diese Etage ganz oben. Bei Patrizia spricht man eine Mischung aus Deutsch und Englisch, und so wundert es nicht, wenn Egger sein Unternehmen einen "Lebensraum-Provider" nennt, was er in einer Presse-Verlautbarung so beschreibt: "Wir verstehen Immobilien als Lebensräume und entwickeln, bearbeiten und vermarkten sie so umfassend und professionell, wie man es sonst nur bei Produkten aus Industriezweigen kennt."
Doch wenn man den Mann mit den schwarzen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haaren so reden hört, könnte man ihn auch für einen Sozialarbeiter halten. Er erzählt, wie er als junger Spund von 19 Jahren seine Firma gründete. Er, der auf einem Bauernhof östlich von Augsburg aufgewachsen ist, der aus einer Welt kommt, in der jedem gehört, was er bewohnt. Weil er aber, noch aus Gesprächen mit seiner Oma, um die "schlaflosen Nächte" gerade älterer Leute wisse, wenn sich was mit der Wohnung ändert, habe er einst, nach Kauf eines Hauses, sofort eine Mieterversammlung einberufen. Er hat beruhigt.
Heute lässt man sich in seinem Unternehmen mitunter Zeit mit den Informationen an die Mieter. Das gehört zu den Widersprüchen im Wirken des Wolfgang Egger.
Einerseits sei die Patrizia "kein Tochterunternehmen der Caritas", andererseits versteht er sein Tun als Wohltat, sagt Sätze wie: "Deutschland kann es sich nicht leisten, das ganze Volk mit Mietwohnungen zu versorgen." Oder: "Es ist doch ein Verbrechen, wenn man Mietern die Wohnungen nicht zum Kauf anbietet." Egger skizziert eine "Win-Win-Situation" dank seines Geschäftsmodells, eine mit gleich fünf Winnern: die Stadt, weil die Privatisierung Quartiere stabilisiere; die Volkswirtschaft, weil man in die Häuser investiere; die Mieter sowieso, und auch die Patrizia ("Ich stehe zu unserem Profit."). "Und der fünfte Winner", sagt Egger, ist die "Patrizia-Kinderhausstiftung", die sich "der Schaffung von Lebensräumen für hilfsbedürftige Kinder und Jugendliche" verschrieben hat. Die Welt des Wolfgang Egger ist eine Welt voller Gewinner.
Doch Dörte Dohrn fühlt sich nicht als Winner, Ida Hochstätter und Bernd Gorgas tun das auch nicht. Ihre Wohnungen sind zum "Lebensraum" à la Patrizia geworden. Wie heißt es auf der Patrizia-Homepage unter "Asset Management": "Als Teil des Portfoliomanagements eruieren wir die optimalen Maßnahmen und Zeitpunkte, wie Mietanpassungen, Nachverdichtungsmaßnahmen oder Sanierungen. Dabei legen wir das Augenmerk auf eine nachhaltige Entwicklung mit dauerhaften Ertragssteigerungen anstelle von kurzfristigen Ertragserhöhungen."
Angst und Misstrauen
Die Anlage am Haderner Stern ist um die 30 Jahre alt, die meisten Bewohner sind gut 50, viele in Rente. Ein Dutzend Mieter treffen sich zu einem Spaziergang durch die Anlage. Ida Hochstätter, Bewohnerin und SPD-Stadträtin, zeigt nach oben: Da und da und da stehe eine Wohnung leer, beinahe täglich fahre ein Möbelwagen in die Anlage, die Leute gehen. 6800 Wohnungen waren 2006 bundesweit im Meag-Paket, 2200 davon in München.
Und seither sind Angst und Misstrauen eingezogen, eine Mieterinitiative hat sich gebildet und fordert von der Stadt, das Quartier am Haderner Stern mittels einer Erhaltungssatzung zu schützen. Eine andere will sich zu einer Genossenschaft formieren, den Block kaufen und selbst managen.
Die Betreuung der Anlagen durch Verwaltung und Hausmeister habe deutlich nachgelassen, seit man zur Patrizia gehöre, klagen die Mieter, bei Problemen laufe man "wie gegen Mauern". Verärgert sind die Mieter vor allem, weil so ziemlich das Erste, was viele aus Augsburg bekamen, ein Brief war mit einer Mieterhöhung. Dabei erfuhr man, dass die Wohnungen einer Patrizia-Tochter mit Sitz in Luxemburg gehören und dass die Mieten um bis zu 20 Prozent steigen. Das erhöht auch den Ertragswert der Wohnung - und damit wohl auch den Kaufpreis, sollten sie privatisiert werden.
Zwar räumt Patrizia auf Drängen von Stadt und Mieterverein allen Bewohnern, die 60 oder älter sind, einen lebenslangen Kündigungsschutz ein, doch die Freude darüber wird überlagert von der bangen Frage der etwas Jüngeren: Was passiert mit uns? Denn wer beispielsweise erst Mitte 50 ist, steht im Falle der Privatisierung vor einer grundlegenden Entscheidung: Die Wohnung kaufen und lange Zeit Schulden abbezahlen? Oder Mieter bleiben, womöglich weitere Erhöhungen schlucken und irgendwann im Alter Gefahr laufen, wegen Eigenbedarfs gekündigt zu werden?
All das hört man in der Conference Area an der Augsburger Fuggerstraße gar nicht gern. Angst ist schlecht fürs Geschäft. Wolfgang Egger reagiert erschrocken, die Stimmungslage in München sei ihm nicht bekannt gewesen. Er kann es nicht fassen: Sie haben den Bewohnern ja nichts getan, sie wissen ja selbst noch nicht einmal, was genau sie mit ihnen vorhaben, erst im Frühjahr 2008 entscheide sich das, vielleicht bleibe auch alles bei Mietwohnungen. Warum also hätten sie schon zu einer Mieterversammlung einladen sollen?
Überhaupt ärgert sich Egger sehr über Gerüchte, die durch seine Anlagen geisterten. Er nennt das Gerede "Scheißhausparolen" und gibt an der schlechten Stimmung auch der Politik eine Mitschuld, die den Wert von Eigentumswohnungen nicht würdige: "Mit den Ängsten wird gedealt."
Dabei genießt seine Firma gerade in politischen Kreisen einen guten Ruf, und gerade in solchen, in denen man Wert auf den Schutz der Mieter legt - wie in Münchens Rathaus. Als die Augsburger kürzlich die Siedlung Ludwigsfeld vom Bund für 10,5 Millionen Euro erwarben, da hat die SPD in Gestalt des Oberbürgermeisters Christian Ude gejubelt: Münchens bestgeschützte Mieter seien die Ludwigsfelder nun. Jeder Bewohner genieße lebenslangen Kündigungsschutz, und in Eigentumswohnungen umgewandelt werden dürfe auch erst in 15 Jahren. Hinter vorgehaltener Hand aber fragt sich mancher in der SPD-Fraktion und im Mieterverein: Was nutzt dieser Schutz, wenn die Leute über Mieterhöhungen vertrieben würden?
"Niemand muss raus!"
Baulich marode ist die Anlage, was im Patrizia-Jargon "stark entwicklungsfähiges Portfolio" heißt. Heizungen, Fenster, Fassaden sind zu sanieren, technisch machbar ist das. Die Sorgen der Bewohner aber zu kurieren, ist eine kommunikative Herausforderung, und damit, wie es scheint, eine besonders große für Patrizia. Denn die Beschwerden von Mietern und Kunden gleichen sich, sei es in den Ex-Meag-Beständen, in Ludwigsfeld oder in der Angerlohe: Die Patrizia könne nicht kommunizieren, man erreiche Mitarbeiter schlecht, werde von Pontius zu Pilatus geschickt, Briefe würden nicht beantwortet, Defektes bleibe defekt.
Das macht Egger wütend. "Für uns ist der Ruf etwas ganz extrem Wichtiges." Und gen Ludwigsfeld ruft er: "Niemand muss raus!" Sein Geschäftsführer für das "Asset Management", Gerhard Faltermeier, relativiert ein bisschen, na ja, sagt er, "es wird Bewohner dort geben, für die es eng wird". Sein Chef fragt: "Die kriegen doch Sozialgeld?" Ja, nickt der andere, Wohngeld oder wie das heißt, Geld von der Stadt jedenfalls, sodass sie auch bei einer Verdopplung der Miete nicht raus müssten. Und überhaupt, raunt Egger, es gebe in Ludwigsfeld doch auch "Leute, die haben unter ihrem Kopfkissen noch Geld".
Als ob es nicht reiche, dass der Aktienkurs seit dem Börsengang im März 2006 von 18,50 auf unter elf Euro abgesackt ist und sich Patrizia-Mitarbeiter von Kunden fragen lassen müssten, was denn los sei mit ihrer "Company". Zum Kursverfall sagt Egger, dass sein Unternehmen zu Unrecht "in Sippenhaft" genommen werde nach dem Ende des weltweiten Immobilien-Hypes. Nun auch noch nörgelnde Mieter in München, Deutschlands heißestem Immobilienmarkt und Hauptaktionsfeld der Augsburger.
Kann es sein, dass sich die Patrizia übernommen hat? "Man könnte fast meinen", mutmaßt Beatrix Zurek, Vorsitzende des Mietervereins, "dass die zu wenig Leute haben für die vielen Wohnungen." Die Gesamtzahl der Patrizia-Wohnungen ist seit 2005 von 1500 auf 12.500 gewachsen, allein vor einem Jahr kaufte man innerhalb weniger Wochen 9500 Wohnungen und damit an die 20.000 Bewohner, die verwaltet werden wollen.
"Am meisten Mist"
Die Mitarbeiterzahl aber ist in den vergangenen beiden Jahren nur von 230 auf 280 gestiegen. Ist das der Grund für das mitunter unprofessionelle Agieren? Nein, beteuert Egger, überfordert fühle man sich nicht, schließlich habe man vorher auch schon so viel verwaltet, wenn auch für Auftraggeber wie die Deutsche Annington.
Dennoch, Asset-Manager Faltermeier kündigt sofortiges Reagieren an angesichts der unguten Stimmung in München: Eine Telefon-Hotline wolle man schalten, immer erreichbar, und eine ohnehin geplante Zufriedenheitsbefragung der Münchner Patrizia-Mieter wolle man vorziehen. Intern arbeitet man, verrät Egger, zudem an einem Anti-Pannen-Programm mit dem Arbeitstitel "Shit happens". Unzulänglichkeiten wurmen die Patrizia-Chefs, doch zweifeln lässt es sie nicht. "Privatisieren kann niemand besser als wir", sagt Faltermeier, und Wolfgang Egger meint: "Das beste Pferd im Stall macht am meisten Mist."
In der Fuggerei müssen die Bewohner, als Gegenleistung fürs günstige Wohnen, dreimal täglich für die Seele ihres Wohltäters, des Bankiers und Industriellen Jakob Fugger, beten. Dass die Mieter des Real-Estate-Industriellen Wolfgang Egger in Ludwigsfeld das dereinst tun, ist eher unwahrscheinlich. Aber mit Dankbarkeit rechnet er schon, wenn alles saniert ist. "Wir sind froh, dass es passiert ist", werden sie sagen. Glaubt Egger.