Aufsichtsräte:"Wir brauchen Reibung"

Lesezeit: 3 min

Man kennt sich und man schätzt sich: Der damalige Außenminister Sigmar Gabriel (li.) ist 2017 zu Gast beim Emir des Staates Katar. Jetzt wurde der SPD-Politiker in der Aufsichtsrat der Deutschen Bank berufen, auf Initiative von Katar, das Land ist Aktionär bei dem Frankfurter Geldinstitut. (Foto: Michael Gottschalk/dpa)

Deutsche Bank, Siemens, Daimler: Die Diskussion um die Besetzung von Aufsichtsräten wird lauter. Berater fordern Aufseher, die nicht alles nur abnicken.

Von Caspar Busse, München

Der legendäre Banker Hermann Josef Abs (1901 - 1994) war immer gut für einen lockeren Spruch. "Was ist der Unterschied zwischen einer Hundehütte und einem Aufsichtsrat?", fragte er einmal und lieferte gleich die Antwort: "Die Hundehütte ist für den Hund, der Aufsichtsrat für die Katz." Immerhin: Der Mann war bis 1967 zehn Jahre lang Chef der Deutschen Bank und danach bis 1976 Chefaufseher. Seitdem haben sich die Zeiten aber grundlegend geändert.

Die Rolle des Aufsichtsrats in deutschen Unternehmen wird immer wichtiger, die Aufgaben wachsen. "Der Aufsichtsrat muss seine Aufsichtsfunktion wahrnehmen und gleichzeitig Sparringspartner zu strategischen Fragen für den Vorstand sein", sagt Sebastian Pacher von der Personalberatung Kienbaum, er berät Unternehmen unter anderem bei der Besetzung von Aufsichtsräten. Besonders wichtig sei dabei die Auswahl der Aufseher. Schlecht sei, wenn es zu viele "zu identische Personen" in einem Aufsichtsrat gebe, denn dann würden konträre Meinung nicht gehört.

Dies ist nach Meinung von Experten in Deutschland aber der Fall. Noch immer gebe es eine Clique von Managern (meist männlich), die gleich mehrere Unternehmen beaufsichtigen. Oft entscheide nur ein sehr kleiner Kreis über die Neubesetzung von frei werdenden Aufseherposten. "Wir brauchen Reibung und Aufsichtsräte, die richtige und unangenehme Fragen stellen und ihre persönliche Unabhängigkeit bewahren", fordert Pacher.

Fest steht, dass die öffentliche Diskussion über die Aufsichtsgremien heftiger wird. Beispiel eins: Die Berufung des ehemaligen SPD-Chefs, Bundesaußenministers und Vizekanzlers Sigmar Gabriel Ende vergangener Woche in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank ist für die einen ein Skandal, für die anderen ein normaler Vorgang. Gabriel selbst rechtfertigt sich. Es sei schlimm, dass gleich der Verdacht entstehe, man würde "seine Seele verkaufen". Er werde sich auch künftig nicht ändern. Gabriel wurde auf Vorschlag des Aktionärs Katar berufen. Man kennt sich, Gabriel hatte als Außenminister das Emirat besucht.

Beispiel zwei: Siemens-Chef Joe Kaeser bot der "Friday-for-Future"-Aktivistin Luisa Neubauer einen Aufsichtsratsposten in der neuen Firma Siemens Energy an. Die 23-Jährige lehnte ab. Kaeser verwahrte sich gegen Vorwürfe, das Ganze sei nur eine PR-Aktion. Man müsse vielmehr mit Kritikern ins Gespräch kommen.

Beispiel drei: Angesichts der aktuellen Krise beim Autobauer Daimler mehren sich die Stimmen gegen eine Berufung von Dieter Zetsche in den Aufsichtsrat. Der langjährige Konzernchef soll - so der Plan - nach einer zweijährigen Abkühlzeit Vorsitzender des Gremiums werden, dabei wird ihm ein Großteil der Verantwortung für das derzeitige Desaster zugeschrieben.

Kritisiert wird also eine Menge. Wie aber sollen Aufsichtsgremien besser besetzt werden?

"Bei der Auswahl von Aufsichtsräten in Deutschland wird derzeit wenig systematisch auf die individuelle Eignung hinsichtlich Kompetenzen und Persönlichkeit geachtet", moniert Kienbaum-Partner Dennis Kampschulte. "Die richtige Gewichtung ist sehr wichtig", sagt er. Man brauche "komplementäre Aufsichtsräte", sonst bestehe die Gefahr, dass sich alle gegenseitig nur bestätigen und keine kontroverse Diskussion in Gang komme. Auch Aufsichtsräte müssten sich weiterbilden, auch das geschehe derzeit noch zu wenig. Kienbaum führt dazu gerade eine Untersuchung durch und befragt Vorstände und Aufsichtsräte. Nach vorläufigen, noch unveröffentlichten Ergebnissen kritisieren fast zwei Drittel der befragten Aufsichtsräte, dass wenige dominante Persönlichkeiten oft Beiträge anderer Aufsichtsräte einschränkten. Es gebe "eine unzureichende Vielfalt an Persönlichkeiten und Meinungen". Zudem begriffen auch viele Vorstände den Aufsichtsrat oft nur als "Abnick-Gremium".

Ein Problem: Immer wieder rücken ehemalige Konzernchefs oder Vorstände an die Spitze des Aufsichtsrats, beispielsweise bei BMW und Volkswagen (sogar ohne Einhaltung der vorgeschriebenen zweijährigen Abkühlphase), aber auch bei Linde, Bayer, BASF, Allianz oder Munich Re ist das der Fall. "Der oder die Aufsichtsratsvorsitzende hat eine sehr herausgehobene Stellung und bestimmt die Kultur im Gremium", sagt Kampschulte dazu. Ihm oder ihr komme auch eine Schlüsselrolle bei der Schaffung diverser Gremien zu.

Genau das sei sinnvoll. "Aufsichtsräte müssen jünger und weiblicher werden", fordert Berater Pacher. Heute ändere sich die Welt sehr schnell, junge Firmen könnten das Geschäftsmodell etablierter Konkurrenten angreifen. Kunden von heute wollten vielfach andere Produkte als früher. Da sei es sinnvoll, jüngere Aufsichtsräte zu berufen, die diese Entwicklungen möglicherweise mehr im Blick haben. Seit 2016 muss in großen börsennotierten und mitbestimmungspflichtigen Unternehmen in Deutschland der Frauenanteil in Aufsichtsräten bei mindestens 30 Prozent liegen. Das wirkt: Nach einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) liegt der Anteil bei den hundert größten Unternehmen inzwischen bei 28 Prozent, viele Dax-Firmen erfüllen die Vorgabe. Anders sieht es beim Alter aus. Nach einer Analyse von Barkow Consulting gibt es bei den Dax-30-Unternehmen keinen Aufsichtsrat auf der Kapitalseite, der jünger als 40 Jahre ist. Für Aufsehen sorgte zuletzt, als Franziska Kayser, 32, Direktorin bei der Beteiligungsfirma KKR, in den Aufsichtsrat der Axel Springer SE berufen wurde.

Es sei durchaus von Vorteil, auch Menschen aus anderen Bereichen dabei zu haben, sagt Berater Pracher: "Insofern könnte Sigmar Gabriel durchaus Impulse für die Deutsche Bank bringen." Klar ist dabei auch: Für die Katz ist die Arbeit von Aufsichtsräten schon lange nicht mehr.

© SZ vom 28.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: