Asien:Rätselraten um den reichsten Chinesen

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Alibaba-Gründer Jack Ma gilt als der reichste Chinese. Das Foto zeigt ihn bei einer Podiumsdiskussion im März 2019. (Foto: Mark Schiefelbein/AP)

Seit Peking den Börsengang der Finanztochter von Alibaba stoppte, wurde Jack Ma nicht mehr gesehen.

Von Christoph Giesen, Peking

Wo ist Jack Ma? Wo steckt der reichste Mann Chinas? Seit Tagen brodelt die Gerüchteküche: Ist der Gründer des Onlinegroßhändlers Alibaba verschwunden? Verhaftet gar? Oder nimmt er nur eine Auszeit? Die Fragen erinnern ein wenig an die öffentlichen Vermisstenanzeigen, die sich in hübscher Regelmäßigkeit nach dem Gesundheitszustand von Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un erkundigen. Mal wird der Diktator für tot erklärt, mal habe er einen Herzinfarkt erlitten oder sich mit Corona angesteckt. Bislang alles Falschmeldungen, nach ein paar Wochen Abstinenz tauchte Kim immer wieder auf.

Über Jack Mas Verbleib wird gerätselt, nachdem er Auftritte als Juror in einer Fernsehshow abgesagt hatte. Ein Sprecher von Alibaba erklärte, Ma könne aufgrund von Terminkonflikten nicht teilnehmen. Bis vor ein paar Wochen hätte ein solches Statement wohl gereicht, um die Gerüchte zu zerstreuen, doch Jack Ma ist in Peking offenkundig in Ungnade gefallen.

Laut Wall Street Journal soll Staats- und Parteichef Xi Jinping persönlich angeordnet haben, den Börsengang der Alibaba Finanztochter Ant Group nur zwei Tage vor dem Debüt in Shanghai und Hongkong abzusagen. Bei der geplanten Erstnotierung am 5. November sollten eigentlich 37 Milliarden Dollar eingenommen werden, es wäre der mit Abstand größte Börsengang der Welt gewesen.

Der Grund für das Zerwürfnis ist offenbar eine Rede, die Ma Ende Oktober bei einer Finanzkonferenz in Shanghai gehalten hatte. Vor versammelter Politprominenz, etwa dem einflussreichen Vizepräsidenten und Xi-Vertrauten Wang Qishan, kritisierte Ma die chinesische Finanzaufsicht scharf. Sie würge Innovationen systematisch ab, befand er. Die staatlichen Banken operierten zudem wie "Pfandleihhäuser", beschwerte er sich. Xi soll außer sich gewesen sein, als er die Berichte über die Konferenz las, umgehend habe er eine Untersuchung angeordnet. Kurz darauf luden die Zentralbank und die Finanzaufseher Ma und leitende Ant-Manager zu "regulatorischen Interviews" nach Peking vor. Einen Tag später vermeldete dann die Shanghaier Börse in einer äußerst knappen Mitteilung, dass das Debüt der Ant Group vorübergehend ausgesetzt worden sei. Der größte Börsengang der Welt ist nun der größte abgesagte Börsengang aller Zeiten. Und seitdem wurde Ma nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen.

Der Apparat hat derweil damit begonnen, durchzugreifen. Jahrelang hatten die Behörden die chinesischen Finanzplattformen kaum reguliert, nun ziehen sie aus Furcht vor einer zu lockeren Kreditvergabe und wachsenden Kreditausfällen die Daumenschrauben an. Zudem stören sie sich an der Dominanz von Ant und des chinesischen Internetgiganten Tencent mit seinem Bezahldienst Wechat Pay, über die ein Großteil des Zahlungsverkehrs abgewickelt wird. Banken nutzen die Technologie von Ant ebenfalls, um Konsumentenkredite zu vergeben. Ant droht die Zerschlagung in China.

Ungemach bahnt sich auch in Washington an: US-Präsident Donald Trump unterzeichnete eine Verfügung, die die Benutzung von acht chinesischen Bezahldiensten verbietet. Alipay, die App von Ant gehört auch dazu. "Die chinesische Regierung verlangt, dass alle kommerziellen Unternehmen, groß und klein, die politischen Ziele der Kommunistischen Partei Chinas unterstützen", sagte Trumps Nationaler Sicherheitsberater Robert O'Brien. Fest steht: Firmengründer Jack Ma ist zwischen die Fronten geraten, unabhängig davon, wo er sich gerade aufhält.

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