Armut:"Soziales Großrisiko"

Lesezeit: 2 min

Der Wohlfahrtsverband warnt, dass viele Rentner in zehn Jahren staatliche Hilfe brauchen.

Von Thomas Öchsner, Berlin

In Deutschland können immer weniger alte Menschen von ihrer Rente oder anderen Einkünften leben. Die Zahl derjenigen, die auf die staatliche Grundsicherung im Alter und bei einer Erwerbsminderung angewiesen ist, stieg von 2009 bis 2013 um 200 000 auf 962 000. Gleichzeitig erhöhte sich der Anteil der Rentner an der Bevölkerung, der statistisch als arm gilt oder in die Armut abzugleiten droht, viermal so stark wie die Armutsquote in der Gesamtbevölkerung. Das geht aus dem Jahresgutachten des Paritätischen Wohlfahrtsverbands zur sozialen Lage in Deutschland hervor.

"Keine andere Bevölkerungsgruppe zeigt eine rasantere Entwicklung in Richtung Armut", sagte der Verbandsvorsitzende Rolf Rosenbrock bei der Vorstellung der Studie. Darin werden die jüngsten Gesetzespakete der Bundesregierung wie das Rentenpaket, der Mindestlohn oder Maßnahmen im Gesundheitswesen bewertet.

In seinem Gutachten rechnet der Verband damit, dass die Altersarmut in Zukunft deutlich zulegen wird, weil "das sinkende Rentenniveau, veränderte Erwerbsbiografien mit kürzeren Beschäftigungszeiten und zum Teil niedrigen Löhnen und der demografische Wandel die Rentenansprüche tendenziell verringern". Die Renten dürften "künftig nur noch langsam steigen oder ihr Wert sogar sinken". Spätestens von Mitte der 2020er-Jahre an "werden sich die Verwerfungen, die seit Anfang/Mitte der 1990er-Jahre auf dem Arbeitsmarkt auftreten, auch in der gesetzlichen Rentenversicherung abbilden". Da zugleich Geringverdiener zu wenig privat vorsorgten und die niedrigen Zinsen den Aufbau der privaten und betrieblichen Altersvorsorge dämpften, werde Altersarmut "zu einem sozialen Großrisiko". Verbandschef Rosenbrock forderte deshalb eine Reform der Altersgrundsicherung. Die Bundesregierung erwägt für langjährig Versicherte, die sich nur eine Minirente erarbeiten können, eine Mindestrente von 850 Euro einzuführen ("Lebensleistungsrente"). Das Rentenpaket mit verbesserter Mütterrente und der Rente ab 63 bezeichnete Rosenbrock als "teure Wählerpolitik", die nichts zum sozialen Zusammenhalt beigetragen hätte.

In dem Gutachten wird erneut festgestellt, dass die Kluft zwischen Reich und Arm größer geworden ist. Der Verband hatte bereits im Februar einen Bericht vorgelegt, nach dem die Armut in Deutschland einen Höchststand erreicht hat. Er orientiert sich dabei an einer innerhalb der EU üblichen Definition. Von Armut gefährdet sind demnach Personen, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in ihrer Haushaltsgruppe haben. Bei einem Single sind dies derzeit 892 Euro pro Monat.

Caritas-Generalsekretär Georg Cremer hatte dem Paritätischen Wohlfahrtsverband daraufhin in einem Beitrag in der FAZ vorgeworfen, Menschen zu verunsichern und Statistiken in alarmistischer und übertriebener Weise zu interpretieren. Rosenbrock wies diese Kritik zurück. Es nütze nichts, die Dinge zu beschönigen. "Sozialpolitik hat die Aufgabe, die Armut kontinuierlich zu verringern." In Deutschland passiere aber gerade das Gegenteil. Dies zeige die gestiegene Zahl von Kindern in Hartz-IV-Haushalten, der Rentner, die auf staatliche Hilfe angewiesen sind, und die weiter hohe Zahl von gut einer Million Langzeitarbeitslosen.

© SZ vom 29.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: