Armut:Helfer brauchen Hilfe

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Die Tafeln in Deutschland verhindern, dass überschüssige Lebensmittel weggeworfen werden. (Foto: Roland Weihrauch/dpa)

Die Tafeln in Deutschland sind bislang fast ausschließlich spendenfinanziert. Das reicht nicht mehr, sagt der Verein und fordert Unterstützung vom Staat. Für immer mehr Menschen sind die Tafeln lebensnotwenig.

Von Sibylle Haas, München

Die Corona-Pandemie hat die sozialen Probleme in Deutschland verschärft. Dies beobachten auch die Lebensmittel-Tafeln, deren Arbeit bislang fast ausschließlich durch Spenden finanziert wird. Für immer mehr Menschen sei das Angebot der Tafeln existenzielle Versorgungshilfe. Gleichzeitig gehe die Zahl der ehrenamtlichen Helfer zurück. Denn etwa 70 Prozent gehörten zu einer Risikogruppe und seien daher vorerst nicht mehr bei einer Tafel tätig.

Zur Umsetzung ihrer sozialen und ökologischen Arbeit fordern die Tafeln daher, dass im Haushalt 2021 finanzielle Mittel auf lokaler, Landes- und Bundesebene zur Verfügung gestellt werden, heißt es in einem kürzlich veröffentlichten Positionspapier des gemeinnützigen Vereins.

"Tafeln sind eine der wenigen Orte in Deutschland, an denen sich noch Menschen mit völlig unterschiedlichen Hintergründen treffen und ins Gespräch kommen. Sie sind Anlaufstelle für arme und sozial ausgegrenzte Menschen", sagt Evelin Schulz, Geschäftsführerin der Tafel Deutschland e.V.. Die Tafeln vermittelten nicht nur Informationen über gesunde Ernährung, sondern sie klärten gerade jetzt Risikogruppen über den Infektionsschutz auf. Dadurch sei die Arbeit der Tafeln komplexer und zeitintensiver geworden. "Um unsere Freiwilligen nicht zu überlasten, sondern zu stärken, brauchen wir als Ehrenamtsbewegung deshalb auch das Hauptamt", erklärt Schulz.

"Tafeln sind Anlaufstelle für arme und sozial ausgegrenzte Menschen."

Tafeln seien vor allem wichtige "Lebensmittelretter", doch es fehle die logistische Infrastruktur, um große Mengen an überschüssigen Lebensmitteln von Produzenten annehmen, zwischenlagern und weiterverteilen zu können. Während die lokalen Tafeln mit dem örtlichen Lebensmitteleinzelhandel gut zusammenarbeiteten, befinde sich die Kooperation mit der Lebensmittelindustrie noch im Ausbau, betont Schulz. In Frankreich etwa stamme ein Großteil der Spenden von Lebensmittelherstellern, die Arbeit der Tafeln zur Lebensmittelweitergabe werde dort staatlich gefördert. "Eine gesicherte und stabile öffentliche Finanzierung für den Aus- und Aufbau von regionalen Logistikzentren ermöglicht eine Steigerung der Spendenannahme- und Weitergabekapazitäten der Tafeln", heißt es in dem Positionspapier weiter. Die Tafel Deutschland fordert daher die Finanzierung ihrer Geschäftsstelle zur bundesweiten Koordinierung der Landesverbände und Tafeln sowie der Lebensmittelweitergabe. Auch der Ausbau der Logistik-Infrastruktur durch Lager- und Transportmöglichkeiten müsse anteilig staatlich unterstützt werden. Auf kommunaler Ebene verlangen die Tafeln die Finanzierung der Betriebskosten und von hauptamtlichen Koordinatoren oder Sozialarbeitern.

"Vor dem Hintergrund des UN-Nachhaltigkeitsziels, die Lebensmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren, ist es für uns umso unverständlicher, dass Tafeln zwar als wichtiger Partner in der Strategie der Bundesregierung zur Reduktion der Lebensmittelverschwendung genannt werden, eine strukturelle finanzielle Unterstützung des Bundes aber nach wie vor ausbleibt", sagt Evelin Schulz. Tafeln könnten allerdings keine Aufgaben des Sozialstaats übernehmen. "Deshalb ist klar: Eine Unterstützung der Tafeln mit öffentlichen Mitteln darf nicht bedeuten, dass der Staat sich noch mehr als bisher auf unseren Leistungen ausruht."

Derzeit gebe es in Deutschland 948 Tafeln, die jährlich rund 265 000 Tonnen überschüssige Lebensmittel an bedürftige Menschen weitergeben. Für viele der 1,65 Millionen Tafel-Nutzerinnen und Nutzer sei die Arbeit der 60 000 Tafel-Engagierten existenziell.

© SZ vom 02.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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