Arbeitssuche:Karriere per Klick

Lesezeit: 4 min

Fachkräfte gesucht: Deutschlands Unternehmen sprechen über die sozialen Netzwerke schon Kandidaten an, die gar keinen Job suchen.

Von Alexander Hagelüken, München

Sabrina Herold war gerade dabei, ihr Studium in Internationalem Management abzuschließen. In welches Tätigkeitsfeld und in welche Industriesparte sie streben sollte, darüber grübelte die junge Deutsche noch. Sie wollte sich nicht festlegen und deshalb erst mal zu einer Unternehmensberatung gehen. "An die Telekombranche hab' ich keine Sekunde gedacht." Aber die Branche an sie. Weil Herold ihr persönliches Profil in das Karriere-Netzwerk Linkedin gestellt hatte, sprach eine Telekom-Firma sie an. Und überzeugte sie, dort anzufangen. So startete Herold, die ihren wahren Namen verschweigen will, weil sie offen über ihre Arbeitgeber spricht, ganz überraschend ins Berufsleben. Einen Job finden, ohne ihn zu suchen - ist sie das, die moderne Arbeitswelt?

Glaubt man dem Wirtschaftsinformatiker Tim Weitzel, verändert sich gerade einiges daran, wie Menschen an Stellen gelangen und Firmen Kandidaten auswählen: "2015 ist das Jahr, in dem deutsche Unternehmen soziale Medien in großem Stil für die Personalsuche nutzen." Neben traditionelle Mechanismen wie Anzeigen oder Empfehlungen tritt etwas Neues: Das gezielte Wühlen in großen Datenmengen - jedenfalls nach den Naturwissenschaftlern, Computerexperten oder sprachgewandten Managern, deren Qualifikationen besonders gefragt sind. "Für bestimmte Tätigkeiten gibt es zu wenig Fachkräfte", sagt Weitzel. "Die Machtverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt drehen sich zugunsten dieser Beschäftigten um." Die Gründe: weniger jüngere Menschen in Deutschland als früher und zunehmend komplexe Tätigkeiten, die nicht so viele Leute erlernen können wie einst die Sacharbeiterjobs. Bei der gezielten Suche der Firmen seien Stellenanzeigen wie Fernsehen. "Einer sendet, viele schauen, aber vielleicht nicht jene, die man haben möchte."

72 Prozent der Deutschen sind mit ihrer Stelle zufrieden oder sehr zufrieden, ergibt eine aktuelle Umfrage des Netzwerks Linkedin. Diesen Wert übertreffen in Europa nur die Niederländer. Wenn aber die weitaus meisten Beschäftigten gar nicht auf dem Markt sind, wie findet eine Firma die Kandidaten, die sie am meisten will? "Es wird für uns zunehmend wichtiger, Berufserfahrene anzusprechen, die gar nicht aktiv suchen", erzählt Jörg Leuninger, Personalmanager beim BASF-Konzern.

Wo geht's hier zur nächsten Aufgabe? (Foto: imago)

Wer mit seiner Stelle eigentlich ganz zufrieden ist, registriert sich oft ungern in einem Jobportal, weil er fürchtet, dass sein Arbeitgeber ihn da erblicken könnte. Leichter fällt es den Beschäftigten, unverbindlich ihr Profil in ein Karrierenetzwerk wie Xing oder Linkedin zu stellen - und dort sehen es dann Unternehmen. "Es ist erstaunlich, wie viele Firmen auf diese Weise Bewerber direkt ansprechen", sagt Jörg Leuninger von BASF. So war es auch bei Sabrina Herold, die inzwischen nicht mehr bei der Telekom-Firma arbeitet. Die vielsprachige Managerin war zwar nicht unzufrieden, liebäugelte aber mit einem internationaleren Job. Während sie noch überlegte, was sie tun sollte, las sie keine Stellenanzeigen, frischte aber in ein paar Minuten ihre Profile in Karriere-Netzwerken auf - und wurde prompt von einer Firma angesprochen, die sich um Datensicherheit kümmert und ihr die Chance gibt, europaweit für eine Sparte zuständig zu sein.

Um diese Direktansprache wetteifern im deutschsprachigen Raum vor allem Xing, mit knapp acht Millionen Mitgliedern das größte Karrierenetzwerk, und Linkedin, mit sechs Millionen kleiner, aber international mit über 350 Millionen Mitgliedern weit größer. Gezielt suchen heißt, dass diese Netzwerke zum Beispiel einer Firma gegen Honorar nicht nur eine Liste von Buchhaltern liefern, sondern eine Liste von Buchhaltern aus der gleichen Branche, die bereits in der Nähe des Hauptsitzes der Firma arbeiten. "Das Talent ihrer Mitarbeiter ist für einen Betrieb heute das wichtigste Kapital, wichtiger als vor 15 Jahren", glaubt Eddie Vivas aus der Geschäftsführung von Linkedin. Und dieses Talent müsse man finden und dann auch wegen Anwerbemöglichkeiten von außen pflegen: "Studien zeigen, dass die Firmen mit den glücklichsten Mitarbeitern die erfolgreichsten sind."

BASF-Personalmanager Leuninger warnt davor, Fachkräften die Zukunft schönzureden: "Es ist beileibe nicht so, dass sich jeder Naturwissenschaftler den Job aussuchen kann." Klar scheint aber schon, dass sich die Unternehmen stärker auf die Wünsche mancher Fachkräfte einstellen - und auf ihre Bereitschaft, auch mal schneller den Job zu wechseln. Früher blieben Leute lange in einem Job, heißt es bei Xing. Heute hätten mehr Menschen den Anspruch, einen Job zu finden, der zu ihrer Lebenssituation passt. "Ich werde sicher nicht 20 Jahre bei meiner aktuellen Firma bleiben", sagt Sabrina Herold.

SZ-Grafik; Quelle: Linkedin (Foto: SZ-Grafik)

Kandidaten wechseln inzwischen nicht nur wegen eines höheren Gehalts, sondern auch weil sie mehr Weiterbildung wollen oder eine bessere Vereinbarkeit ihrer Arbeit mit ihrem sonstigen Leben ( siehe Grafik). Über solche Kriterien informieren sich die Fachkräfte gern nicht nur bei der Firma selbst, sondern auch bei anderen Quellen - Bewertungsportalen wie Kununu oder Glassdoor. "Da weiß ich, was bei Unternehmen wirklich läuft", sagt Herold. Inzwischen sind die Netzwerke dabei, die vielen Daten ihrer Mitglieder noch stärker zu nutzen. So können sich etwa bei Linkedin Beschäftigte ihre Qualifikationen von anderen Mitgliedern bestätigen lassen, das macht die Angaben objektiver. Und Geschäftsführer Vivas tüftelt an Möglichkeiten, wie sich ein traditionelles Instrument nutzbar machen lässt, über das in den Vereinigten Staaten 30 bis 40 Prozent der Mitarbeiter eingestellt werden: Empfehlungen durch Arbeitnehmer, die schon bei der Firma tätig sind. Wie lässt sich das aus dem Datenpool fischen? "Die nötigen Rückschlüsse sind in greifbarer Nähe", kündigt Vivas an.

Stärker als in Amerika haben Deutsche allerdings Bedenken, wenn sie Schlagworte wie Big Data hören. Ist da ein Missbrauch möglich - oder gar wahrscheinlich? "Bei uns hat die Sicherheit und Privatsphäre unserer Mitglieder die oberste Priorität", beteuert Vivas, sagt aber auch: "Wir empfehlen unseren Mitgliedern immer, nur Informationen preiszugeben, die sie in einem geschäftlichen Umfeld bedenkenlos weitergeben können." Bei all den neuen Möglichkeiten, die soziale Medien bieten, ist eine Gefahr nie weit.

© SZ vom 18.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: