Arbeitsmarktreform:Hartz macht mobil

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Das Gesetz ist noch nicht in Kraft und zeigt doch schon Wirkung: Erwerbslose machen sich verstärkt auf die Suche nach Arbeit. In Branchen wie Zeitarbeit oder Einzelhandel steigt die Zahl der Bewerbungen, sogar harte Erntejobs sind plötzlich gefragt.

Von Nina Bovensiepen, Sibylle Haas und Norbert Sturm

"Hartz IV hat Bewegung gebracht", sagte ein Sprecher der Zeitarbeitsfirma Adecco der Süddeutschen Zeitung. Seit Juni verzeichne der Personal-Dienstleister fünf bis zehn Prozent mehr Bewerber.

In einigen Regionen wie Thüringen sei dieser Trend stärker zu spüren. "Manche Menschen werden jetzt wach und merken, wie sehr ihnen die Reform weh tun wird."

Beim Marktführer Randstad fällt die Bewertung zurückhaltender aus. "Der eine oder andere bemüht sich engagierter um einen Job. Von einer Bewerberschwemme können wir aber nicht berichten", sagte eine Sprecherin der Zeitarbeitsfirma.

Es bleibe problematisch, für offene Stellen Bewerber mit der gewünschten fachlichen Qualifizierung zu finden. In Hamburg und Kiel will Randstad derzeit je 150 Jobs in Call Centern besetzen - und findet nicht genug passende Mitarbeiter.

Insgesamt verzeichnet der Marktführer aber eine positive Entwicklung. "Wenn man davon ausgeht, dass die Zeitarbeitsbranche ein Frühindikator für den Arbeitsmarkt ist, ist das ein gutes Zeichen", sagte die Sprecherin.

Ansprüche sinken

Ingrid Hartges, Geschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga, äußerte sich ähnlich. Seit einiger Zeit gebe es in Gaststätten und Hotels mehr Bewerber für eine Stelle als früher.

Vor allem Bezieher von Arbeitslosenhilfe meldeten sich öfter als bisher bei den Betrieben. Wenn Arbeitslosen- und Sozialhilfe am 1. Januar 2005 zum neuen Arbeitslosengeld II zusammengelegt werden, müssen viele ehemalige Arbeitslosenhilfeempfänger mit Einbußen rechnen.

Es sei tendenziell mehr Eigeninitiative zu beobachten und eine größere Bereitschaft, Hilfstätigkeiten im Niedriglohn-Bereich anzunehmen, sagte Hartges.

Auch das Bäckerhandwerk registriert seit einiger Zeit mehr Bewerber für offene Stellen — nicht nur im Handwerksbereich, sondern auch für Büroarbeiten. Dies bestätigte Egid Egerer vom Verband für das bayerische Bäckerhandwerk.

Egerer ist betriebswirtschaftlicher Berater beim Verband und pflegt deshalb einen engen Kontakt zu den Bäckereien. "Ob das aber unmittelbare Auswirkungen von Hartz IV sind, lässt sich nicht sagen", so Egerer.

Die Zahl der Bewerber könnte auch wegen der höheren Arbeitslosigkeit gestiegen sein. Dennoch schließe er nicht aus, dass sich die Arbeitsmarktreform bereits auswirke.

Im Handel bewerben sich ebenfalls mehr Langzeitarbeitslose als früher. So steige die Zahl der ernst gemeinten Anfragen, berichtete der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE).

Früher hätten sich Arbeitslose häufig nur pro forma gemeldet, um ihren Anspruch auf Unterstützung nicht zu verlieren. Viele seien aber nicht wirklich an der Aufnahme eines Jobs interessiert gewesen.

Ernstahfte Bemühungen

Langzeitarbeitslose würden sich dagegen jetzt ernsthaft bemühen gut anzukommen. Die Chancen dazu stehen gut. Obwohl im Handel jährlich einige zehntausend Stellen wegrationalisiert werden, suchen viele Betriebe neue Mitarbeiter.

Deutsche Arbeitslose beginnen sich sogar für harte Erntejobs zu bewerben. Jährlich engagieren Gemüse- oder Obstbauern rund 300000 ausländische Saisonarbeiter für etwas mehr als fünf Euro die Stunde.

Deutsche hätten an dieser Arbeit lange Zeit kein Interesse gehabt, hieß es beim Bauernverband. Anwerbeversuche seien wenig erfolgreich gewesen. Klappte es doch einmal, hörten deutsche Mitarbeiter wegen Kreuzschmerzen oft bald wieder auf.

Oder sie würden entlassen, weil ihre Leistungen etwa beim Spargelstechen nur halb so gut seien wie die der Polen. Doch das ändere sich nun. Nicht nur in Brandenburg arbeiteten immer häufiger auch Deutsche auf den Feldern. Die Arbeitsagentur Eberswalde bei Berlin meldete jüngst ein Drittel mehr deutsche Vermittlungen.

© SZ vom 2.9.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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