Arbeitsmarkt:"Finanzkrise wird sich kurzfristig nicht auswirken"

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Raimund Becker, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg, über die Konjunktur, die Arbeitslosenversicherung - und das Ziel der Vollbeschäftigung.

Sibylle Haas

Die Kreditkrise schlägt bisher nicht auf den Arbeitsmarkt durch. Der Arbeitsmarkt sei stabil, sagt Raimund Becker, 49, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit. Trotz der guten Entwicklung sieht Becker derzeit aber keinen Spielraum für eine Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung.

Raimund Becker (r.) im Gespräch mit dem Vortandsvorsitzenden der BA, Frank-Jürgen Weise, und BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Becker, Banken und Versicherungen entlassen Mitarbeiter wegen der Finanzkrise. Wann trifft es die Gesamtwirtschaft?

Raimund Becker: Wir konnten unsere Prognose nochmals nach unten korrigieren. Wir rechnen mit 3,43 Millionen Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt. Im Januar waren wir noch von 3,5 Millionen ausgegangen. Das zeigt, dass wir die Lage am Arbeitsmarkt derzeit positiv sehen. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich die Finanzkrise kurzfristig auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar machen wird. Im Gegenteil. Die Firmen suchen neue Mitarbeiter. Wir könnten vielleicht im September oder auch im Oktober sogar auf etwa drei Millionen Arbeitslose kommen. Das wäre zwar nur ein einmaliger Monatswert, er zeigt aber immerhin, dass der Arbeitsmarkt stabil ist.

SZ: Krisen wirken sich mit zeitlicher Verzögerung auf den Arbeitsmarkt aus. Warum sollte die Finanzmarktkrise eine Ausnahme sein?

Becker: Wenn ein Konjunkturrückgang kommt, dann schlägt sich das etwa zwei Quartale später in den Arbeitslosenzahlen nieder. Aber wie gesagt, dafür gibt es momentan noch keine Anzeichen.

SZ: Besteht da nicht die Chance für eine weitere Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung?

Becker: Wir sehen aktuell keinen weiteren Spielraum für eine Beitragssatzsenkung. Der Beitrag wurde ja erst zum Jahresanfang auf 3,3 Prozent gesenkt. Wir brauchen die Einnahmen, wenn wir wie geplant bis 2011 einen konsolidierten Haushalt hinlegen wollen. Bei einer weiteren Senkung des Beitragssatzes laufen wir Gefahr, wieder zu einer Zuschussbehörde zu werden. Wir wollen aber kein Bittsteller beim Bund sein.

SZ: Der Beitragssatz lag immerhin mal knapp über einem Prozent.

Becker: Ja, das war in den siebziger Jahren der Fall und die Arbeitslosenquote damals lag bei unter einem Prozent, bezogen auf die abhängig Beschäftigten. Der Beitrag betrug aber Anfang der Neunziger fast sieben Prozent, weil wir die deutsche Wiedervereinigung bewältigen mussten. Somit sind alle Beteiligten heute mit 3,3 Prozent sehr gut bedient.

SZ: Woraus schließen Sie, dass sich der Arbeitsmarkt langfristig stabilisieren wird?

Becker: Die Zahl derjenigen, die länger als ein Jahr ohne Arbeit sind und die Zahl älterer Arbeitsloser ist im März deutlich gesunken. Die Zahl der Arbeitslosen insgesamt ging im Jahresvergleich um 15 Prozent zurück. Bei den Langzeitarbeitslosen beträgt der Rückgang sogar 23 Prozent und bei den Älteren 19 Prozent. Das sind positive Signale.

SZ: Wir bewegen uns also, wie der Bundeswirtschaftsminister sagt, in Richtung Vollbeschäftigung?

Becker: Politik braucht sicher eine Zielmarke, für die es sich lohnt, die Rahmenbedingungen zu gestalten. Seit 2006 sind in Deutschland zusätzlich 1,25 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse geschaffen worden. Das ist sehr gut. Aber wir liegen immer noch um 600000 Stellen unter dem Wert aus dem Jahr 2000.

SZ: Das heißt, die Arbeitsmarktreformen beginnen zu wirken?

Becker: Ja. Auch die neu ausgerichtete Arbeitsmarktpolitik wirkt sich aus. Berufliche Weiterbildung und Trainingsmaßnahmen wirken spürbar. Eingliederungszuschüsse an Firmen haben dazu geführt, dass weniger gut qualifizierte Menschen die Chance auf einen Arbeitsplatz erhalten. In diesen Fällen beteiligen wir uns vorübergehend an den Lohnkosten.

SZ: Und die Arbeitnehmer werden wieder entlassen, wenn die Bundesagentur den Zuschuss zu den Lohnkosten nicht mehr bezahlt?

Becker: Nein, in der Regel bleiben die Leute beschäftigt. Die Firmen müssten den Zuschuss zurückzahlen, wenn sie die Mitarbeiter nicht noch eine bestimmte Zeit nach Ablauf der Förderung beschäftigten.

SZ: Und was geschieht danach?

Becker: Wir beobachten, dass 70 bis 80 Prozent der betroffenen Arbeitnehmer langfristig beschäftigt bleiben.

SZ: Es stecken noch immer viele Menschen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, sie fegen Straßen und säubern Parkanlagen. Warum parken Sie sie die Menschen dort, obwohl die Maßnahmen nichts bringen?

Becker: Wir haben solche Maßnahmen zurückgefahren, weil wir inzwischen wissen, dass sie geringe Eingliederungswirkung am ersten Arbeitsmarkt haben. Im vorigen Jahr waren etwa 43000 Menschen in solchen Maßnahmen. Wir haben 2007 ein Projekt gestartet, in dem Menschen mit Vermittlungshemmnissen ganzheitlich betreut werden. Damit sind vor allem externe Träger beauftragt, die auch im sozialen und psychologischen Bereich kompetent sind. Es geht darum, den schwer vermittelbaren Arbeitslosen ihr Selbstwertgefühl wiederzugeben. Wir wollen vor allem aber, dass die Menschen besser motiviert und qualifiziert werden. Dann steigt ihre Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt.

SZ: Hat es so etwas bisher nicht gegeben?

Becker: Doch, aber noch nicht so intensiv, wie wir das für notwendig halten.

© SZ vom 3.4.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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