Arbeitsmarkt:Bundesagentur befürchtet fünf Millionen Arbeitslose

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Die Regierung sieht das "gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht" gestört. Finanzminister Hans Eichel vermag nur vage Anzeichen für eine Trendwende zu erkennen. Und der Stellenabbau setzt sich fort.

Von Nina Bovensiepen und Ulrich Schäfer

Die Bundesagentur für Arbeit hat erstmals eingeräumt, dass die Zahl der Arbeitslosen in diesem Winter auf fünf Millionen und damit auf einen neuen Rekordwert steigen könnte. Vorstandsmitglied Heinrich Alt sagte, im Februar werde diese Marke womöglich überschritten.

Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) erklärte, aus statistischen Gründen müsse Anfang 2005 mit einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosenzahlen gerechnet werden.

Als Ursache nannten Alt und Clement die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Mit der Einführung des neuen Arbeitslosengeldes II werden Anfang 2005 mehrere hunderttausend Sozialhilfeempfänger erstmals in der Erwerbslosenstatistik erfasst.

Ein weiteres Problem ist die schwache Konjunktur. So gibt es nach Ansicht von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) bislang "nur erste vage Anzeichen", dass der Exportboom der Industrie auf die Binnennachfrage überspringt. "Dies hat zur Konsequenz", warnt Eichel im Entwurf für seinen Nachtragshaushalt 2004, "dass sich wahrscheinlich auch die Erwartungen zur Beschäftigungsentwicklung nicht erfüllen". Vielmehr zeichne sich ab, dass der Stellenabbau "deutlich stärker ausfallen wird" als noch zu Beginn dieses Jahres erwartet.

Steuereinnahmen weggebrochen

Auch deshalb will Eichel an diesem Mittwoch zusätzliche Kredite von 14,4 Milliarden Euro beantragen und zudem die "Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" ausrufen. Wegen der schwachen Konjunktur sind ihm die Steuereinnahmen weggebrochen, zudem musste er die Ausgaben für Arbeitslosengeld- und -hilfe kräftig erhöhen.

Clement rechnet damit, dass sich die Lage am Arbeitsmarkt erst im nächsten Jahr bessern wird. Derzeit ist jedoch keine Trendwende in Sicht. Die Zahlen seien "dramatisch", sagte DGB-Chef Michael Sommer nach einem Treffen des SPD-Gewerkschaftsrats. So ist die Zahl der Arbeitslosen im September gegenüber August um 90.000 auf 4,26 Millionen gesunken; dies sind jedoch 49.000 mehr als vor einem Jahr. Zählt man auch jene mehr als 100.000 Erwerbslosen in Trainingsmaßnahmen mit, die zu Jahresbeginn aus der Statistik herausgefallen sind, ist dies der höchste September-Stand seit der Wiedervereinigung.

SPD und Gewerkschaften appellierten an die Wirtschaft, mehr Jobs zu schaffen. Die Betriebe müssten "investieren und nicht auswandern", sagte Sommer. SPD-Chef Franz Müntefering erklärte, die Industrie solle "ihr Heil nicht im Schrumpfen und in Entlassungen" suchen.

Auch am Lehrstellenmarkt ist keine Entspannung in Sicht. Zu Beginn des Ausbildungsjahres fehlten laut Bundesagentur 31.200 Stellen und damit 11.000 mehr als vor einem Jahr. Allerdings ist auch die Zahl der Bewerber gestiegen. Wirtschaftsminister Clement räumte ein, die Lücke liege "an der oberen Kante" seiner Erwartungen. Die Gewerkschaften forderten die Regierung daher auf, die Ausbildungsplatzabgabe doch noch zu verabschieden.

© SZ vom 6.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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