Apple:Die netten Durchleuchter

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Der US-Konzern plant, massenhaft die Daten seiner Nutzer auszuwerten. Mit den Methoden von Google und Facebook soll das aber nichts zu tun haben.

Von Hakan Tanriverdi, New York

Auf der Entwickler-Konferenz WWDC in San Francisco erwähnte es der Software-Chef von Apple fast beiläufig. Dabei markiert der Satz eine Kehrtwende: Craig Federighi sagte, und man musste die Ohren spitzen, um es mitzubekommen, dass Apple in Zukunft Daten über seine Nutzer sammeln wird. Für diesen Schritt soll ein System eingesetzt werden, das er "differential privacy" nannte. Eine Privatsphäre, die unterscheidet.

Nun ist es schon erstaunlich genug, dass Apple plötzlich im großen Stil Daten sammeln wird. Bis jetzt inszenierte sich Apple sehr lautstark als Konzern, dessen Geschäftsmodell darin bestehe, dass man "tolle Produkte" verkaufe und keine Profile seiner Nutzer erstelle, um diese gegen Geld an Werbetreibende zu vermitteln. Und an diesem Punkt kommt das Privatsphären-Konzept ins Spiel.

Kritiker wenden ein, die Datenflut sei entweder verfälscht oder der Schutz der Privatsphäre nutzlos

Das Konzept reicht bis in die 60er-Jahre zurück. Wissenschaftler wollten Probanden Fragen stellen, bei denen eine wahrheitsgemäße Beantwortung peinlich gewesen wäre. Deshalb ließen sie die Probanden eine Münze werfen. Zeigte die Münze Kopf, lautete die Antwort automatisch Ja, unabhängig davon, ob sie stimmte. Zeigte sie Zahl, musste die Antwort der Wahrheit entsprechen.

Apple-Chef Tim Cook auf der Entwickler-Konferenz in San Francisco inmitten von ausgezeichneten Stipendiaten. Der US-Konzern will jetzt auch Daten auswerten. (Foto: David Paul Morris/Bloomberg)

Der Trick: Statistisch landet eine Münze bei 1000 Würfen 500-mal auf dem Kopf. Dadurch lässt sich errechnen, wie viele der Ja-Antworten tatsächlich der Wahrheit entsprechen. Würden alle 1000 Probanden zum Beispiel mit Nein antworten, landen 500 Münzen trotzdem auf dem Kopf - und das Ergebnis wären 500 Ja-Antworten. Die Wissenschaftler können die Informationen aber nicht auf einzelne Probanden zurückführen. Die bleiben also anonym.

Auf diesem Prinzip basiert, grob vereinfacht, Apples Daten-Analyse. (Auch Google experimentiert mit diesem Ansatz.) "Differenzielle Privatsphäre ist ein Forschungsfeld im Bereich der Statistik und Datenanalyse, das massenhaftes Lernen erlaubt, während die Daten der individuellen Nutzer privat bleiben", sagte Federighi. Einfacher gesagt: Apple geht es "darum, Daten von dir zu sammeln - aber nicht Daten über dich", fasst die Technik-Webseite Wired den Vorstoß von Apple zusammen.

Aktuell ist unklar, ob und wie gut das Prinzip für Produkte funktioniert, die von Hunderten Millionen Menschen eingesetzt werden. Die Webseite Recode verwies auf ein wissenschaftliches Papier, in dem es hieß, dass differenzielle Privatsphäre nichts tauge: "Entweder werden die erhobenen Daten sehr falsch sein oder der Privatsphäre-Schutz nutzlos."

Doch in diese Diskussion stieg Federighi gar nicht erst ein. Damit stand Apple im krassen Gegensatz zu Entwickler-Konferenzen der Konkurrenz, die allesamt in den vergangenen Wochen stattgefunden haben. Microsoft, Google und Facebook haben diese dazu genutzt, um damit anzugeben, wie weit sie im Punkt künstliche Intelligenz (KI) vorangeschritten sind. Google-Chef Sundar Pichai beispielsweise beendete gefühlt alle fünf Minuten einen Satz mit dem Hinweis darauf, dass Google seit knapp 17 Jahren Datenanalyse betreibt - und deshalb sehr gute Voraussetzungen für die kommenden Jahre, vielleicht: Jahrzehnte besitze.

Sämtliche Plattformen investieren große Teile ihres Profits, um künstliche Intelligenz zu erforschen. Bereits heute schon gibt es erste Produkte, die nur möglich sind aufgrund der Fortschritte, die im vergangenen Jahrzehnt gemacht wurden. Google kann beispielsweise Fotos von Nutzern analysieren und nur jene anzeigen, auf denen Wasser zu sehen ist. Doch generell gilt: Das Investment in künstliche Intelligenz ist stets langfristig gedacht. Es ist ein Investment, das bei Entwicklern, Analysten und Anlegern gleichermaßen ankommen soll. Dementsprechend viel Platz nahm es bei den Konferenzen ein. Apple hingegen hat sich dazu entschieden, zuzugeben, wie wichtig künstliche Intelligenz auch für das Unternehmen ist - mehr hingegen nicht.

Apple konzentrierte sich, leicht übertrieben gesagt, auf das Vergrößern von Emojis, diese Smileys, die Gemütszustände und vieles mehr ausdrücken. Dreimal so groß wie bisher sollen die symbolhaften Charakter-Gesichter in Zukunft werden. In einzelnen Nachrichten können einzelne Wörter auf Wunsch durch Emojis ersetzt werden. Außer den Emojis wird es möglich sein, Youtube-Videos oder iTunes-Lieder direkt in der App abzuspielen. Nachrichten können außerdem mit Spezialeffekten versehen werden, zum Beispiel mit unsichtbarer Tinte. Die Nutzer müssen über den Bildschirm wischen, um den Inhalt zu entschlüsseln.

Die Nachrichten-App wird für Entwickler geöffnet. Ähnlich wie bei Facebook werden Nutzer in der Lage sein, sich zusätzliche Apps herunterzuladen. Damit wird es möglich sein, direkt aus der App heraus Geld zu zahlen oder Essen zu bestellen. Apple hat die Nachrichten-App komplett neu ausgerichtet. Sie wird deutlich spielerischer werden. Dafür dürfte es zwei Gründe geben. Erstens: Die Nachrichten-App ist jene, die von iOS-Nutzern am häufigsten benutzt wird. Daher erscheint es logisch, sie besonders aufmerksam zu behandeln. Zweitens: Alle großen Konzerne versuchen die Kommunikation, die zwischen Nutzern stattfindet, als eigene Plattform zu etablieren. Die Überlegung dahinter ist, dass die Nutzer viel Zeit mit Apps verbringen, in denen sie mit Kollegen und Freunden kommunizieren können. Deswegen bauen die Konzerne diesen Ort Stück für Stück um.

© SZ vom 15.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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