Angriff auf Mittelständler:Leer verkauft

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Immer häufiger attackieren Hedgefonds deutsche Mittelständler. Deren Aktien rauschen in die Tiefe.

Von Heinz-Roger Dohms und Harald Freiberger

So ist es, wenn ein Mittelständler aus Köln in die Fänge des internationalen Finanzkapitalismus gerät: Nach der Attacke auf seine Aktie berief der Werbeflächen-Vermarkter Ströer für Freitag eine Telefonkonferenz ein. 250 Analysten und Journalisten wählten sich ein, fünfmal so viele wie normal, wenn das Unternehmen seine Zahlen verkündet. Gründersohn Dirk Ströer und Vorstandschef Udo Müller verlesen eine 15-seitige Stellungnahme, in der sie die Vorwürfe der US-Investmentgesellschaft Muddy Waters Punkt für Punkt zu entkräften versuchen. Sie sprechen von "bewusst irreführender" Darstellung, von "falschen Behauptungen und Unterstellungen", von "Rufschädigung". Dann werden sie von den Londoner Analysten mit Fragen gelöchert und müssen unter anderem erklären, was es mit der "German Mitbestimmung" auf sich hat.

Der Schlag am Tag davor war plötzlich gekommen, seine Wirkung war verheerend. Am Donnerstag, um kurz vor 13 Uhr, breitete sich an der Börse eine Nachricht aus: Muddy Waters hatte eine desaströse Analyse über die Aktie von Ströer veröffentlicht. Den 62-seitigen Bericht erst mal lesen? Dafür fehlte die Zeit. Schnell verkauften viele Anleger ihre Aktien, binnen Minuten verloren die Papiere des MDax-Unternehmens mehr als 30 Prozent ihres Wertes.

Das erinnert an einen ähnlichen Fall: Vor einigen Wochen war dem Münchner Technologiekonzern Wirecard, dessen Anteile ebenfalls im Mittelstandssegment MDax gehandelt werden, praktisch dasselbe widerfahren. Wie kann das sein?

Es scheint tatsächlich so, als erreichten die spekulativen Attacken gegen einzelne Unternehmen derzeit eine besondere Qualität. Denn nicht nur Wirecard und Ströer stehen seit Monaten im Visier vornehmlich angelsächsischer Hedgefonds. Auch beim Traditionskonzern Heidelberger Druck, beim Technologieunternehmen Aixtron oder beim Düngemittelhersteller K+S wetten Fonds auf fallende Kurse. Der Profit entsteht dabei durch Leerverkäufe: Die Fonds leihen sich die Aktien und verkaufen sie sofort. Dann erwerben sie die Papiere nach dem erhofften Kurssturz billiger zurück, um sie schließlich dem ursprünglichen Besitzer zurückzugeben.

Auf den ersten Blick sind die Rollen von Gut und Böse klar verteilt. Wie massiv die Hedgefonds angreifen, zeigt sich exemplarisch bei Wirecard und Ströer. Die Leerverkäufe nahmen bei beiden Unternehmen in den vergangenen Monaten zu. Und: Zehn der zwölf Fonds, die in großem Umfang gegen Wirecard wetteten, bauten parallel auch Positionen gegen Ströer auf, wie das Wirtschaftsmagazin Capital herausfand. Das Vorgehen der Investmentfonds hat also beinahe kartellartige Züge.

Trotzdem stellt sich die Frage, ob Wirecard und Ströer das Treiben der Hedgefonds nicht begünstigen: Bei beiden Firmen fällt auf, dass die Aktien von Investoren und Banken in den zurückliegenden Jahren immer weiter nach oben gejubelt wurden. So empfahlen die Analysten, die regelmäßige Expertisen zu Ströer veröffentlichen, die Aktie zuletzt ausnahmslos zum Kauf. Dasselbe bei Wirecard: Lediglich eine von zwei Dutzend Banken, die das Unternehmen verfolgen, fiel in den vergangenen Monaten auch mal mit skeptischen Aussagen aus. Ansonsten waren die Empfehlungen quasi immer die gleichen: kaufen.

Dieses Phänomen konnte man nicht nur bei Mittelständlern wie Wirecard oder Ströer verstärkt beobachten, sondern beispielsweise auch bei Valeant, einem der zwischenzeitlich größten Pharmakonzerne der Welt. Mitte März sank der Börsenwert des kanadischen Unternehmens nach einer Hedgefonds-Attacke binnen einer Woche um mehr als 50 Prozent. Obwohl Valeant schon lange in der Kritik stand, hatten 21 von 23 Investmentbanken den Erwerb der Aktie empfohlen.

Mit der Vermarktung von Außenwerbung ist Ströer groß geworden. Die Aktie, die im MDax für mittelgroße Werte notiert ist, verlor am Donnerstag ein Drittel ihres Wertes. (Foto: oh)

Die Prognosen der Analysten seien "in der Regel zu positiv, zu prozyklisch und mit extrem hohen Schätzfehlern behaftet", sagt Norbert Keimling vom Investmenthaus Star Capital. Allerdings seien nicht nur die Banken für die Übertreibungen verantwortlich, die die Verkaufswetten letztlich interessant machen. "Viele Gruppen sind da beteiligt, auch die Presse." Tatsächlich ist dieser Vorwurf plausibel: So drucken Finanzzeitungen und Anlegermagazine viel lieber Kauf- als Verkaufsempfehlungen. Was auch daran liegt, dass Kleinanleger selten auf fallende Kurse wetten.

Unter den Opfern der jüngsten Spekulationsattacken bei Wirecard und Ströer dürften auch manche Privatanleger sein - zumindest deutet darauf die Beliebtheit der beiden Papiere in den einschlägigen Internetforen hin.

© SZ vom 23.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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