Amerikanisierung des Wirtschaftsrechts:Was Manager fürchten sollten

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Achtung, liebe Führungskräfte aus Deutschland: Bei Korruption droht inzwischen der Knast in Amerika!

Hans Leyendecker

Der Begriff Moral ist vom lateinischen "mos" abgeleitet und bedeutete früher so viel wie Sitte, Brauch, Gewohnheit.

Weil mit Moral normalerweise Regeln und Vorschriften verbunden sind, erfanden Schlaumeier die Begriffe "Moralprediger" und "Sittenrichter" - das war (und ist) meist abschätzig gemeint.

Der Jesuit Niklaus Brantschen kam neulich auf den zierlichen (Buch)-Einfall, "mehr Tugend - weniger Moral" zu verlangen. Die durch Gebote regulierte Moral enge ein, die freiwillige Tugend befreie. Das gefiel dem Publikum; auch weil die Selbstfindung zum Guten bekanntlich eine kleine Ewigkeit dauern kann.

Im Wirtschaftsleben allerdings sind all unsere üblichen Übersprungshandlungen und gewöhnlichen Entlastungsmanöver - also die Zwillinge Selbstbetrug und Heuchelei - nur noch schwer durchzuhalten: Amerikanische Sheriffs diktieren den Großen der Industrie weltweit die neuen Regeln, und ihre Grundsätze, Standpunkte, Prinzipien bedeuten wirklich etwas.

Nicht immer wahre Helden

Deutschland steht vor einer Amerikanisierung des Wirtschaftsrechts. Das ist gut so - selbst wenn die Sheriffs der Moral nicht immer wahre Helden sind.

Unternehmen, die an der US-Börse notiert sind oder in den USA Geschäfte machen, haben als Erste die Bedeutung des Satzes - "Ich werde dich mores lehren" - kennengelernt. Mores ist der Plural von mos: Der Fall Siemens ist da nur ein Beispiel.

Als Münchner Staatsanwälte Mitte November vergangenen Jahres den Weltkonzern heimsuchten, rief der damalige Vorstandschef Klaus Kleinfeld (der übrigens besser Amerikanisch spricht als mancher Amerikaner) gleich bei DaimlerChrysler-Chef Dieter Zetsche an und fragte ihn, welche Erfahrungen dieser eigentlich mit der amerikanischen Börsenaufsicht SEC gemacht habe.

Schmiergeld in mehr als einem Dutzend Länder

Die SEC hatte vor drei Jahren gegen den an der Wallstreet notierten damaligen Daimler-Chrysler-Konzern Untersuchungen eingeleitet, weil Manager in mehr als einem Dutzend Ländern Schmiergeld gezahlt haben sollen.

Der Fall ist immer noch nicht abgeschlossen. Ein Heer amerikanischer Spezialisten ermittelt nach wie vor Details in Stuttgart und liefert die Ergebnisse beim US-Justizministerium ab.

Die Leiter der Daimler-Konzernrevision und der Rechtsabteilung verließen, natürlich freiwillig, das Unternehmen. Ein ehemaliger Daimler-Vorstand wurde bei seiner Einreise in die USA festgehalten und befragt. Selbst der einst mächtige Daimler-Chef Jürgen Schrempp wurde vorgeladen.

Neue ethische Standards

Amerikanische Anwälte ordnen in deutschen Konzernen die Finanzorganisationen neu, sie entscheiden schon durch ihr bloßes Dasein über die Besetzung von Vorstandsposten und sorgen für neue ethische Standards.

Die neuen Regeln sind klar und simpel: Strafmilderung kann nur durch volle Kooperation erreicht werden und dadurch, dass die Firma ihre künftige Unternehmenskultur nachweislich auf die Vermeidung von Straftaten ausrichtet.

Ethikkodizes müssen ernstgenommen werden. Nur die in den USA gültigen Standards zählen. Es gibt Belohnungen für ethisches Verhalten und für wahrhaftige Kontrollen. Hart bestraft wird, wer das System von Lug und Trug besonders gut versteckt hat und dabei den Saubermann mimte.

Rund siebzig amerikanische Anwälte, deren Jahressalär jeweils bei etwa einer Million Euro liegt, durchflöhen nun seit Monaten Europas größten Technologiekonzern.

Die Prüfer graben tief in der Siemens-Geschichte

Ende vergangenen Jahres hatte das US-Justizministerium im Fall Siemens in aller Stille begonnen, das Ausmaß der Korruption in dem deutschen Unternehmen auszumessen. Die Prüfer graben tief in der Siemens-Geschichte. Nur so ist es zu erklären, dass mittlerweile über verdächtige Zahlungen in Milliardenhöhe gesprochen wird.

Das hat es früher nie gegeben; auch deshalb nicht, weil deutsche Prüfer sich für verjährte Geschichten nicht interessierten. "Moral droht mit der Hölle", schreibt der Tugendhold Brantschen.

Wäre eine Milliardenstrafe für Siemens schon die Hölle? Nein, schlimmer wäre es, wenn der Konzern in den USA auf eine "black list" käme und sich nicht mehr an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen könnte. Das deutsche Vergaberecht, das auch Zuverlässigkeitsregeln kennt, wirkt - verglichen mit dieser Sanktionsmöglichkeit - lächerlich und piefig.

Wenn die amerikanischen Pensionsfonds Ärger machten und sich zurückziehen würden, hätte der Weltkonzern sehr ernsthafte Probleme. Mancher Siemens-Manager, der im Kollegenkreis über die heimlichen neuen Herrscher klagt, tut in diesen Tagen ein bisschen sehr betroffen.

Zum eigenen Besten ausgefüllt

Dabei hatte doch heimlich jeder Korrupti eine Art Multiple-Choice-Fragebogen mit sich herumgeführt, den er zu seinem eigenen Besten ausgefüllt hatte: Der Vorstand hat mich zu sehr gedrängt/zu wenig beachtet; Ich wurde als Angestellter im Außendienst verwöhnt/zurückgesetzt. Es gab zu viele Ethikanforderungen/zu wenig Ethikanforderungen. Deswegen ist mir nichts anderes übriggeblieben, als anzufüttern/ an Kartellabsprachen teilzunehmen/eine astreine Bestechung hinzulegen.

Die Begründungen änderten sich, die Lebenslügen blieben. Nachdenklicher stimmt, dass sogar hochseriöse Münchner Staatsanwälte angesichts dieses Ethikdrucks aus Amerika das böse Wort vom "Wirtschaftsimperialismus" verwenden, wenn sie sich im Kollegenkreis wähnen. Dabei ist der zunehmende Druck aus den USA eine Art Notwehr.

Bereits 1977 war in den USA durch den Foreign Corrupt Practices Act die Bestechung staatlicher Entscheidungsträger im Ausland unter Strafe gestellt worden.

Fortan hatten US-Unternehmen aus ihrer Sicht den Nachteil, dass sie beim Wettbewerb um Aufträge (anders als ihre ausländischen Konkurrenten) Beschränkungen unterlagen.

Veränderungen der internationalen Spielregeln

Das Interesse der Vereinigten Staaten, die eigenen Wettbewerbsnachteile abzubauen und die Belange der amerikanischen Anleger zu schützen, führen zu Veränderungen der internationalen Spielregeln. Zwar ist das Leben eines Top-Managers (meist jedenfalls) sowieso kein Ponyhof - aber speziell die Dienstreise ins Federal Prison Camp im amerikanischen Bundesstaat West Virginia gilt schon als sehr arge Zumutung.

Drogenhändler und sonstige Kriminelle sitzen in dem Gefängnis ein, und manchmal auch Geschäftsleute, die im Wirtschaftsleben auffällig geworden sind.

Im Sommer 1999 musste der damals 44 Jahre alte Schweizer Manager Kuno Sommer, der zuvor seinen Vorstandsposten beim Pharmakonzern Hoffmann-La Roche niederlegt hatte und aus der Firma ausgeschieden war, in diesen Knast einziehen.

Wegen Wettbewerbsdelikt im US-Gefängnis

Er war der erste Europäer, der wegen eines Wettbewerbsdelikts in den USA hinter Gitter gebracht wurde. Obwohl sich Sommer, der jahrelang in den USA gearbeitet hatte, bereits seit einem guten Jahr wieder in Basel aufhielt, verlangte die amerikanische Justiz seine Auslieferung, damit er wegen Teilnahme an einem Vitamin-Kartell eine viermonatige Haftstrafe abbüßte.

In der Schweiz hätte er, damals, wenn überhaupt, nur ein kleines Bußgeld zahlen müssen. Für sein altes Unternehmen war es schon wegen der Geschäfte in den USA sehr nett von ihm, dass er willig die Koffer packte - und vermutlich war es auch für sein weiteres Leben besser.

Mancher Beobachter zürnte aber: "Abenteuer Amerika - erbarmungslose Behörden und ein Rechtssystem aus der Zeit des Wilden Westens" schimpfte das Manager Magazin: "Auf dem Weg zur endgültigen ökonomischen Hegemonie" setzten die USA ihr in den "Grundzügen archaisches, für Europa kaum nachvollziehbares Rechtssystem" ein.

Flug in den Knast

Das Pathos ist verstummt. Etliche europäische Führungskräfte haben in den vergangenen Jahren die Sekretärin gebeten, einen Flug in den Knast zu buchen.

So erregte es kaum noch Aufsehen, als 2005 vier Manager des deutschen Halbleiter-Herstellers Infineon wegen illegaler Preisabsprachen mit drei Konkurrenzunternehmen Haftstrafen in den USA absitzen mussten.

Die Unternehmen hatten Preise für Speicherchips verabredet. Warum der Fall hier überhaupt geschildert wird: Die vier Infineon Manager (drei Deutsche und ein Amerikaner) waren in ganz unterschiedlichem Maße an den Absprachen beteiligt gewesen.

Reichlich unübersichtliches Auswahlverfahren

Zwei von ihnen waren ernsthaft verstrickt, die beiden anderen hatten mit den Mauscheleien kaum etwas zu tun gehabt, waren jedoch von den amerikanischen Ermittlern in einem für Außenstehende reichlich unübersichtlichen Auswahlverfahren herausgegriffen worden.

Auf insgesamt zweiundzwanzig Infineon-Mitarbeiter waren die Fahnder in beschlagnahmten Unterlagen und E-mails gestoßen. Vielleicht haben sie die Delinquenten durch Würfeln ermittelt. Aber warum geht jemand, mehr oder minder freiwillig, jedenfalls wenn er sich nichts hat zuschulden kommen lassen, in den Knast?

Im Firmeninteresse macht mancher mittlerweile eine ganze Menge. "Wo liegt in solchen Fällen die Grenze zwischen einer Empfehlung und einer Erpressung?" fragt ein Dax-Vorstand, der Wert darauf legt, inkognito zu bleiben.

Die Deutschen sind besonders störrisch

Wir - in Weltmoralfragen sonst überaus vorlauten - Deutschen sind bisher besonders störrisch, wenn es um mehr Ethik im Wirtschaftsleben geht. Erzählungen der Alten über den Aufbau haben den Sepiaton der Nostalgie angenommen. (Was wir alles machen mussten! Ihr habt ja keine Ahnung, wie gut es euch geht!).

Aber die Deutschen sind nicht nur wegen der Qualität ihrer Produkte Exportweltmeister geworden, sondern weil sie länger und härter als einige ihrer Konkurrenten mit Hilfe von Schmierstoff den Erfolg suchten.

Bis 1999 konnten zum Beispiel "nützliche Aufwendungen", die im Ausland getätigt worden waren, in Deutschland von der Steuer abgesetzt werden. Dass sich die Deutschen noch gegen Sauberkeitsregeln wehrten, als die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schon auf die Einhaltung von ethischen Regeln drängte, ist im Ausland manchem in Erinnerung geblieben.

Dass sich ja auch die amerikanischen Saubermänner angeblich nicht an ihre ethischen Standards halten, ist common sense unter deutschen Sudlern.

"Scheinheiliges, gespieltes Entsetzen"

Einer der Beschuldigten im Siemens-Verfahren, ein vielgereister ehemaliger Bereichsvorstand, hat sich bei einer Vernehmung Ende vergangenen Jahres nicht nur über das angebliche "scheinheilige, gespielte Entsetzen" der eigenen Konzernleitung mokiert, sondern den Fahndern seine Sicht des America Way of Ethics vorgehalten: So heuerten US-Unternehmen gern Vermittler mit dem Auftrag an, im jeweiligen Exportland Geschäfte anzubahnen.

Die Exklusivverträge würden bewusst verletzt; die US-Firmen müssten dann hohe Strafen an die Vermittler zahlen, die derart Geld für Bestechungszahlungen sammelten.

Die amerikanischen Unternehmen tarnten auf diese Art Schmiergeldtransfers. Außerdem habe die amerikanische Wirtschaft den Vorteil, dass die US-Nachrichtendienste auch für Wirtschaftsspionage eingesetzt würden. Beweise? Na ja, nicht wirklich.

Angeblich sind geplante Angebote von Siemens immer wieder in die Hände der amerikanischen Konkurrenz gelangt. Um ein gutes Geschäft zu machen, hätte Verwandte eines ausländischen Amtsträgers ein Stipendium in den USA bekommen; bei Großaufträgen erhielten ausländische Helfer den amerikanischen Pass als Dank; die US-Regierung gewähre Subventionen als Gegenleistung für Aufträge.

Klage über die Sheriffs

Die Klage über die Sheriffs gehört also zum ideologischen Handgepäck deutscher Manager.

Dabei sind natürlich und in der Tat ein paar Dinge an den Amerikanern schwer zu ertragen: Die Privatisierung des Irak-Krieges zum Beispiel ist ein Fall unvorstellbarer Korruption.

Dass ein Unternehmen, mit dem der US-Vizepräsident Dick Cheney verbandelt ist, Milliardenaufträge im Irak bekommt, wäre hierzulande Stoff für eine Serie von Untersuchungsausschüssen.

Irritierend ist auch, dass die potentiellen US-Präsidentschaftskandidaten derzeit vor allem daran gemessen werden, wie viele Millionen sie von Gönnern für den Wahlkampf erhalten.

Jeder kann also jedem auf dem Globus säuerlich 'was vorrechnen. Entlasten aber wird das deutsche Manager vor amerikanischen Staatsanwälten künftig nicht. Und ist es falsch von den Amerikanern, Sauberkeit immerhin anzustreben?

Verglichen mit der Hand, die den Geldhahn auf- und zudreht, ist ein Revolver übrigens immer noch ein lächerliches Instrument.

© SZ am Wochenende vom 18.8.07 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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